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Plakat des Berliner Filmfestivals Dokumentale, das im Oktober 2024 erstmals stattfindet.

© Veronika Neubauer/Dokumentale

Nach der Ankündigung der Dokumentale: Streit um Berliner Filmfestivals

Eine Dokumentale im Oktober, neben dem Dokuarts- und dem Human Rights Film Festival Berlin im gleichen Monat? Die ersten Nachrichten über ein neues Filmfestival irritieren die Szene.

Die Nachricht, dass Berlin im Oktober mit der zehntägigen Dokumentale (10. - 20. Oktober) ein neues internationales Filmfestival bekommt, sorgt für Irritationen in der Berliner Festivalszene. Vor allem das seit 2006 existierende Dokuarts-Festival und das 2018 gegründete Human Rights Film Festival Berlin (HRFFB), die beide ebenfalls im Oktober stattfinden, mit sich überschneidenden Terminen und ähnlicher Ausrichtung, sorgen sich um ihre Zukunft. Nicht zuletzt deshalb, weil die Dokumentale-Leiterin Anna Ramskogler-Witt noch bis zum März das HRFFB leitete. Bringt sie ihr früheres Festival in Gefahr?

„Wir begrüßen selbstverständlich die Vielfalt der Berliner Filmfestivals, stellt HRFFB-Gründer Jan Sebastian Friedrich-Rust im Gespräch mit dem Tagesspiegel zunächst klar. „Dass unsere ehemalige Leiterin aber ohne uns zu informieren ein thematisch sehr ähnliches Festival in einem ähnlichen Zeitraum im Oktober starten möchte, finden wir äußerst irritierend und kritisieren das ausdrücklich“, sagt Friedrich-Rust, der auch Geschäftsführer NGO „Aktion gegen den Hunger“ ist, die das Festival ausrichtet. Gemeinsam mit Lydia Spiesberger, die sich bisher um Bildungsprogramme auch beim Festival kümmerte, leitet er seit Ramskogler-Witts Ausscheiden das HRFFB.

Auch für Dokuarts, das dem HRFFB freundschaftlich verbunden ist, kam die Meldung am Mittwoch überraschend. „Unser Festival wurde zehn Jahre vom Bund gefördert“, sagt dessen Künstlerischer Leiter Andreas Lewin. „Nun fürchten wir, dass wir vor dem Aus stehen, weil die Senatskanzlei andere Pläne hat und die Dokumentale finanziert.“

Die Berliner Senatskanzlei hat der neuen Plattform The Good Media Network, die die Dokumentale organisiert, 300.000 Euro Fördergelder über das Medienboard Berlin-Brandenburg zugesichert, außerdem 200.000 Euro für das neue Festival. Bei einer Veranstaltung zur Impact-Initiative der Plattform im Roten Rathaus während der Berlinale hatte Senatskanzlei-Chef Florian Graf die neue Institution zur Förderung von Dokumentarfilmformaten ausdrücklich begrüßt. Impact-Programme verknüpfen Filmprojekte mit sozialen und Umwelt-Initiativen – auch das HRFFB veranstaltet Impact Days.    

Müssen andere Festivals wie die Dokuarts um ihre Finanzierung fürchten?

„Die Sorge ist groß, dass hier eine Neustrukturierung stattfindet“, so Andreas Lewin von Dokuarts. Es bestehe die Gefahr, dass „die vielen kleinen gewachsenen Berliner Filmfestivals in die Privatwirtschaft abgeschoben werden“.

Das Dokuarts-Festival wird bisher unter anderem von der Bundeskulturstiftung und vom Hauptstadtkulturfonds unterstützt. Die jährliche Projektförderung seitens des Hauptstadtkulturfonds muss jedoch nach jeweils drei Jahren für ein Jahr ausgesetzt werden – so die Vorschrift, damit keine verdeckte institutionelle Subvention daraus wird.

Eine in Aussicht gestellte verstetigte Festivalförderung seitens des Landes Berlin, die sich über vier Jahre erstreckt, wurde abschlägig beschieden. So müssen Lewin und sein Team etwa in diesem Jahr mit weniger Mitteln auskommen und können im Oktober nur ein abgespecktes Programm präsentieren. Der genaue Termin steht noch nicht fest.

Auch das Human Rights Film Festival, das 2018 mit Ai Weiwei als erstem Schirmherrn startete und 2023 mit 16.000 Zuschauer:innen einen Besucherrekord verzeichnete, sieht seine Finanzierung durch die aktuelle Entwicklung gefährdet. Zu den Geldgebern zählt neben dem Auswärtigen Amt und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit das Medienboard, mit 110.000 Euro im letzten Jahr. Für 2024 und 2025 sind je 200.000 Euro in Aussicht gestellt. Wandern die Gelder jetzt zur Dokumentale ab?  

Anna Ramskogler-Witt leitete bisher das Human Rights Film Festival Berlin, jetzt plant sie für Oktober die erste Dokumentale.

© IMAGO/dts

Bei der Frage nach der Gesamtfinanzierung ihres neuen Festivals bittet Anna Ramskogler-Witt um etwas Geduld. „Wir sind im Austausch mit verschiedenen Institutionen, Förderern, Stiftungen, Koproduktionspartnern und Sponsoren – und kalkulieren natürlich auch mit Einnahmen aus dem Ticketverkauf.“ Sobald die Details feststehen, werde man transparent kommunizieren.

In der finalen Abstimmung sei man auch bei den Kinos und Festivalorten. Zwar hat Berlin reichlich Filmtheater, aber die als Festival-Spielstätten geeigneten Häuser werden im Oktober bislang von Dokuarts genutzt (mit dem Kino in der Kulturbrauerei als Hauptaustragungsort) und vom Human Rights Film Festival (mit dem Colosseum als Eröffnungs- und Abschluss-Spielstätte). Nun droht ein Konkurrenzstreit um die Säle. Zumal die von der Dokumentale angekündigte Sommer-Preview im Juli nicht nur im Kant-Kino und den Atelier Gardens in Tempelhof stattfinden soll, sondern außerdem bereits im Colosseum.

Den Vorwurf einer unguten Konkurrenz weist Anna Ramskogler-Witt auf Nachfrage zurück. „Wir wollen keinen Festivals Konkurrenz machen, sondern uns mit einer Thematik auseinandersetzen, für die es bisher unseres Wissens keinen Raum gab. Unser Konzept einer medienübergreifenden Plattform für dokumentarische Erzählweisen – von Film über Podcasts und Virtual Reality bis hin zu Sachbüchern – gab es bisher nicht.“ Wer die Programme von Dokuarts und HRFFB kennt, weiß allerdings, dass auch dort keineswegs nur Filme präsentiert, sondern auch Netzwerke zwischen Filmpartnern und zivilgesellschaften Initiativen geknüpft werden.

Und die Terminkollision – das HRFFB findet dieses Jahr vom 4. bis 12. Oktober statt? Nach intensiver Auseinandersetzung mit den Festivalkalendern habe sich der Oktober als guter Termin herausgestellt, so Ramskogler-Witt. Wegen des Fokus auch auf Sachbücher sei zudem „die zeitliche Nähe zur Frankfurter Buchmesse“ ein wichtiger Aspekt.

Dass sie die anderen Oktober-Filmfeste über die geplante Dokumentale nicht informiert hat, bestreitet die Festivalleiterin nicht. Auch sie verweist auf die kulturelle Vielfalt, die Berlin auszeichnet, und will „alle Akteure, mit denen wir bisher nicht gesprochen haben, zu einem Austausch laden“. Man wolle anderen nichts wegnehmen, sondern gemeinsam einen stärkeren Impact generieren. Ihr früherer Kollege Jan Sebastian Friedrich-Rust vom HRFFB sieht das anders. Gerade der Einsatz für Menschenrechte und für das Dokumentarfilmschaffen erfordere eher eine Bündelung der Kräfte als eine Zersplitterung.

Der Streit fängt wohl gerade erst an. Im Sinne des Publikums wäre vor allem eine Entzerrung der Festivaltermine geboten. Und die Geldgeber aus der Politik sollten bei aller Sympathie für neue Initiativen darauf achten, dass sie engagierten, gut besuchten und international renommierten Festivals nicht ohne Not das Wasser abgraben.

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