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Mutter und Tochter machen das.

© Getty Images/Maskot

„Ich bin keine Süße!“: Starke Mädchen brauchen starke Mütter

Wer möchte, dass die Tochter stark genug ist, um in dieser doch immer noch ziemlich frauenfeindlichen Welt zu bestehen, sollte an den eigenen Einstellungen arbeiten.

Ein Kommentar von Daniela Martens

Mädchen und Frauen werden noch immer ständig nach ihrem Aussehen beurteilt. Und das fängt früh an, sehr früh im Fall meiner Tochter. Sie ist drei Jahre alt; neulich sagte ein Vierjähriger aus ihrer Kitagruppe zu ihr, sie sei hässlich.

Etwas „wie ein Mädchen“ zu tun – das ist heute noch eine Beleidigung. „Wie ein Junge“ oder noch besser, „wie ein echter Mann/Kerl“, bedeutet hingegen meistens eine Aufwertung. Das haben heutige Kitakinder schon in sehr jungen Jahren verinnerlicht. Kitakinder singsangen ja gern nervige Kitasprüche vor sich hin, einige – wie der vom Eierloch – werden über Generationen immer weitergegeben.

Als meine Tochter zwei Jahre alt war, skandierte sie auf einmal zu Hause am Esstisch freudestrahlend einen Kitaspruch, der mir völlig neu war: „Jungs sind stark, Mädchen sind Salat. Jungs sind stark, Mädchen sind Salat.“ Mit der gleichen freudigen Inbrunst, mit der Demonstrant:innen bei den Freitagsdemos „Climate Justice“ forderten.

Anders als die verstand sie aber ganz offensichtlich überhaupt nicht, was sie da rief. Sie wusste damals noch nicht, was und wer eigentlich genau ein Mädchen oder ein Junge ist, geschweige denn, dass sie sich einer von beiden Gruppen zurechnete. Inzwischen weiß sie genau, wo sie einsortiert ist. Und hat den Spruch abgewandelt: „Jungs sind stark. Mädchen auch.“

 Jungs sind stark, Mädchen sind Salat. 

Kita-Spruch

Damals freute sie sich einfach über meine schockierte Reaktion, so wie Kinder auch ausprobieren, wie ihre Eltern auf Wörter wie „Kacke“ oder „Scheiße“ reagieren. Den Salat-Spruch würden bestimmte Kinder in der Kita oft rufen, erzählte sie mir damals beim ersten Mal. Dann zählte sie lauter Namen von Jungs zwischen vier und sieben Jahren auf.

Seitdem habe ich den Spruch noch sehr oft von diesen Kindern gehört, auf dem Kitaflur beim Anziehen zum Beispiel. Dann fängt einer an und die anderen fallen ein, es klingt wie Stadiongesänge in der Fankurve.

Die anderen Eltern sagen einfach gar nichts dazu, überhören es gekonnt. Vielleicht sollte ich froh sein, dass immerhin niemand den alten Spruch „Boys will be boys“, „So sind Jungs eben“, herauskramt, mit dem nicht selten sogar sexuelle Belästigung durch Teenager-Jungs entschuldigt wird. Ich will und kann aber nicht weghören. „Stopp! Ich will diesen Spruch nie wieder hören“, rufe ich in solchen Fällen laut. Und nenne die Rufer beim Namen. Das hilft allerdings immer nur kurz.

Es bleibt nicht bei dem einen nervigen Spruch

„Halte dagegen und rufe einfach ,Ich bin stark. Du bist Salat’“, riet ich meinem Kind. Doch sie sagt, sie wolle lieber den Erzieher:innen (ja, in unserer Kita gibt es beides) Bescheid sagen. Die sind zwar irgendwie meiner Meinung, haben aber auch keine richtige Strategie dagegen – auch nicht gegen die Entwicklung, dass eine Gruppe dreijähriger Mädchen, von denen meine Tochter die Älteste ist, dem Gepiesacke einer etwa gleichgroßen Gruppe vierjähriger Jungs dauerhaft ausgesetzt ist, wie ich neulich beim Elterndienst feststellte. Es bleibt längst nicht bei dem einen nervigen Spruch.

Wenn wir unsere Töchter frei begleiten wollen, wenn wir ihnen Gerechtigkeit ermöglichen wollen, müssen wir uns den Bildern in uns und hinter uns stellen.

Susanne Mierau in „New Moms for Rebel Girls“

Die Frage ist: Wie schaffe ich es, dass mein Kind, das zufällig mit einer Vulva geboren wurde, sich in einer Welt behaupten kann, die noch immer von Menschen dominiert wird, die einen Penis haben? Und das schon im Kindergarten?

„Wir können unseren Töchtern eine Widerstandsfähigkeit mitgeben, durch die sie leichter mit solchen Erfahrungen und Krisen umgehen können. Wir können sie stärken und ganz tief in ihnen das Gefühl verankern, dass sie so, wie sie sind, gut sind. Dass sie selbstbestimmt ihre Rechte einfordern dürfen – allen Widrigkeiten zum Trotz.“

Das schreibt die bekannte Berliner Pädagogin, Autorin und Feministin Susanne Mierau in ihrem Buch: „New Moms for Rebel Girls. Unsere Töchter für ein gleichberechtigtes Leben stärken“. Im Vorwort erklärt sie, warum das auch heute noch wichtig ist – in einer Zeit, in der viele denken, die Gleichberechtigung sei längst da.

Rollenklischees wirken weiter, schreibt Susanne Mierau

„Die meisten werden jetzt vielleicht denken: Was hat sie denn nur? Es geht Mädchen doch heute ganz wunderbar! Blicken wir aber ein wenig genauer hin, dann sehen wir, dass es immer noch heißt: ,Sei nicht Pippi, sei Annika! ‘ Mädchen dürfen zwar Hosen tragen, Funktionskleidung und kurze Haare, gleichzeitig führt der Spielzeugkatalog aber vor, dass die Puppenküche für Mädchen und der Akkuschrauber für Jungen ist. Ausmalbücher und Rätselhefte gibt es für Mädchen in Rosa und Jungen in Blau – die Inhalte ebenfalls an die bekannten Klischees angepasst.

Susanne Mierau
Susanne Mierau

© Verlag

Es gibt eine Body-Neutrality-Bewegung, aber wenn Mädchen sich dem gängigen Schönheitsideal verweigern, bekommen sie nicht nur ,heute kein Foto’, sondern werden ausgegrenzt und beschämt. Laut BZgA empfinden sich die Hälfte der Mädchen im Alter von 15 Jahren als zu dick, obwohl sie normalgewichtig sind. Schon Mädchen im Alter von drei bis fünf Jahren verbinden positive Eigenschaften mit einer dünnen Körperform und würden laut US-amerikanischer Studie auch eher mit dünnen Kindern spielen.

In der Schule haben Mädchen scheinbar aufgeholt, wenn die Leistungen einer bestimmten Gruppe von Mädchen betrachtet werden: Sie sind früher schulreif, wiederholen weniger häufig eine Klasse, machen eher einen Schulabschluss und beginnen sogar häufiger ein Studium. Dennoch wirken weiterhin Rollenklischees auf die Auswahl des Studienfachs oder des Ausbildungsberufes. Jungen sind trotz schlechterer Leistungsbilanz mehr von sich überzeugt und halten sich für klüger, während Frauen häufiger vom Imposter-Syndrom betroffen sind: Betroffene haben erhebliche Selbstzweifel und können Erfolge nicht internalisieren, sondern halten sich selbst für Hochstapler*innen.

Es gibt also durchaus eine ganze Liste an Problemfeldern, die heute auf Mädchen, weibliche Jugendliche und (junge) Frauen wirken und den Rückschritt in Krisenzeiten noch befeuern. Auch wenn es in den letzten 120 Jahren im Vergleich zu den Jahrtausenden zuvor mit der Gleichberechtigung relativ schnell vorangegangen ist und sich auch die Erziehung von Mädchen, wie wir noch sehen werden, in ihren Inhalten stark verändert hat, gibt es noch viele Punkte, an denen es hapert und/oder wo Gleichberechtigung zwar auf dem Papier beschrieben, im Alltag aber noch nicht umgesetzt ist.“

Ich horche in mich hinein

Dass die Gleichberechtigung noch immer nicht wirklich umgesetzt ist, merke ich vor allem, wenn ich in mich hineinhorche. Erst mit über 40 habe ich es geschafft, halbwegs dafür einzustehen, dass auch meine Meinung wichtig ist. Immer wieder passiert es, dass ich mich Männern gegenüber innerlich kleiner mache, als ich bin – ein Problem vor allem dann, wenn mein Gegenüber innerlich sehr von seiner Größe überzeugt ist. Wie wirkt man dem entgegen? Mierau sagt:

„Wenn wir unsere Töchter frei begleiten wollen, wenn wir ihnen Gerechtigkeit ermöglichen wollen, müssen wir uns den Bildern in uns und hinter uns stellen. Denn nur so können wir uns selbst frei machen und wirkliche Freiheit ermöglichen. Blicken wir daher auf die Geschichte, die hinter uns liegt, und ihre Auswirkungen bis heute“, schreibt Susanne Mierau.

In meiner eigenen Mutter hatte ich als Kind kein verständnisvolles Elternteil. Sie erkannte meine Stärken selten an, sah dafür aber jede meiner Schwächen ganz genau und legte einen Finger drauf. Meinen Körper kommentierte sie ausführlich, und das meistens negativ.

Das Gehirn in der Waschmaschine

Kein Wunder als, dass eine meiner größten Baustellen folgende ist: Meinen Körper so akzeptieren, wie er ist. Nicht immer darüber nachzudenken, dass ich zu dick und nicht schön genug sein könnte. Wie vielen Frauen es so geht, brachte die britische Schauspielerin Emma Thompson auf einer Pressekonferenz bei der letzten Berlinale auf den Punkt: „Ich kann nicht einfach vor einem Spiegel stehen“, sagte sie, „wenn ich vor einem Spiegel stehe, ziehe ich etwas ein, den Bauch.“ Es fühle sich grauenhaft an, einfach so vor dem Spiegel zu stehen. „Uns Frauen wurde eingetrichtert, unsere Körper zu hassen.“ Thompson spricht von „Gehirnwäsche“.

„Alles um uns herum erinnert uns daran, wie unperfekt wir sind, und dass alles mit uns falsch ist. Frauen wird genau vorgegeben, wie sie auszusehen haben. Einfach vor einem Spiegel zu stehen, mich nicht zu bewegen und den Anblick einfach zu akzeptieren – das war das Schwierigste, das ich jemals tun musste.“

Ich fühlte mich damals so richtig ertappt, speicherte mir das Video von ihrer Rede ab, und habe es mir seitdem mehrmals angesehen. Ich will auf keinen Fall, dass das Gehirn meiner Tochter in derselben Wäschetrommel landet. Ist sie in der Nähe, verkneife ich mir mit viel Willenskraft möglichst jeden Kommentar zu meinem Aussehen und gebe mir auch Mühe, auch das Äußere anderer Menschen nicht zu beurteilen. Wer mich vor 20 Jahren kannte, merkt, wie sehr ich mich in dieser Hinsicht verändert habe.

Liebe ist nicht die einzige Antwort

Meine Tochter ist zum Glück jetzt schon gut darin, für sich selbst einzustehen. „Meine Süße“ nannten mein Mann und ich sie als Baby, etwa so lange, wie sie nicht sprechen konnte. Ich dachte mir nichts dabei, ich fand sie einfach immer so niedlich, wenn ich sie ansah. Es muss etwa mit zweieinhalb Jahren gewesen sein, da sagte sie energisch: „Ich bin nicht süß!“

Aus einem Tigerchen kann eine starke Tigerin werden.
Aus einem Tigerchen kann eine starke Tigerin werden.

© picture alliance / dpa

Wir diskutierten über einen neuen Spitznamen, und kamen gemeinsam auf „Tigerchen“. Den finde ich super: Aus einem Tigerchen kann leichter eine starke Tigerin werden als aus einer „Süßen“. Sie hat inzwischen mehrere T-Shirts und Pullover mit Tigern drauf, die sie sehr liebt – und ich hoffe, dass die ihr etwas Respekt bei der Bande vierjähriger Jungs in der Kita verschaffen.

„Ich wünschte, Liebe wäre die einzige Antwort auf die Frage, was unsere Töchter brauchen. Sie ist es leider nicht. Unsere Töchter brauchen zweifellos Liebe, aber auch Freiheit und vor allem Gerechtigkeit. Wir können ihnen Liebe geben, wenn wir sie spüren, aber Freiheit und Gerechtigkeit müssen wir noch erkämpfen“, schreibt Susanne Mierau.

„Auf genau dieses Buch habe ich immer gewartet – als Tochter, als Mutter und als Kämpferin für eine gleichberechtigte Welt“, meint die Feministin und Journalistin Teresa Bücker über Susanne Mieraus Buch. Liebe Mütter: Bitte lest es und beschäftigt Euch mit Euren Baustellen! Und liebe Väter - Ihr auch. Aber das ist ein anderes Thema.

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