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Ein Mechaniker des Triebwerksherstellers Rolls-Royce arbeitet an einem Triebwerk im Werk Dahlewitz in Brandenburg.

© Jan Woitas dpa

IHK-Bericht: Wirtschaft in Berlin und Brandenburg fürchtet Abschwung

Die Handelskammern Berlin und Brandenburg warnen: Mit der Region könnte es bergab gehen – die Politik widerspricht. Wie instabil ist die Konjunktur?

Die fetten Jahre scheinen vorbei. Das ist das Fazit eines gemeinsamen Berichtes der Industrie- und Handelskammern aus Berlin, Cottbus, Ostbrandenburg und Potsdam, die ihre Mitglieder nach Erwartungen und Wünschen gefragt haben.

Wie schlecht sind die Aussichten wirklich?

Die kurze Antwort lautet: durchwachsen. Die Geschäfte der Firmen in Berlin und Brandenburg laufen zwar gut. In beiden Ländern beurteilen die Unternehmen ihre Lage aber mittlerweile schlechter als in den Vorjahren. Zwar sei der Anteil der zuversichtlich gestimmten Unternehmen (27 Prozent) nach wie vor größer als jener der pessimistisch gestimmten (12 Prozent), heißt es im Bericht. Doch sei dieses Verhältnis deutlich schlechter als in den vorausgegangen Umfragen.

Der IHK-Konjunkturklimaindex für beide Bundesländer verringert sich um vier Punkte auf 134 Zähler. „Nachdem der Indikator bereits im Herbst einen Punkt verloren hat, markiert der zweite Rückgang in Folge nun das Ende der außergewöhnlich stabilen Wachstums- und Hochkonjunkturphase, in welcher sich die Wirtschaft der Region seit Jahresbeginn 2015 befand“, heißt es im Bericht. Und weiter: „Der Konjunktursommer ist damit nicht beendet, aber es mehren sich die Zeichen, dass es dem Herbst entgegengehen könnte.“

Allerdings: Bis es wirklich frostig wird, dürfte noch Zeit vergehen. Davon jedenfalls geht Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop aus – und verweist auf die Statistik. „Berlins Konjunktur wächst weit über den Bundesdurchschnitt. Auch für 2019 erwarten wir zurzeit ein Wachstum von 2,3 Prozent“, sagt die Grünen-Politikerin. „Das zeigt eine stabile Entwicklung, die nun verstetigt werden muss.“ Allerdings: Die Risiken für eine Wachstumsdelle steigen, davon geht auch Pop aus und verweist auf den Brexit und den US-Handelsstreit als Gründe für einen möglichen Abschwung. Folgen dürfte die Konjunkturflaute auch für den Arbeitsmarkt haben. Viele Unternehmen der Region planen einen im Vergleich zum Herbst weniger rasanten Personalaufbau, heißt es im IHK-Bericht.

Wie groß ist die Bedeutung der Weltwirtschaft?

Groß. Um gut wirtschaften zu können, brauchen Firmen vor allem eines: politische Stabilität. Um die ist es derzeit aber schlecht bestellt. Egal ob Großbritanniens anstehender EU-Ausstieg oder die Handelskriege, die US-Präsident Donald Trump mit China führt – für die Unternehmen der Region gibt es Grund genug zur Sorge. „Bei den Exportgeschäften in Berlin und Brandenburg hat die Dynamik deutlich nachgelassen“, sagt deshalb Marcus Tolle, Hauptgeschäftsführer der IHK Cottbus. Konten die Unternehmen zuletzt ihre Umsätze im Exportgeschäft steigern, dürfte das in den kommenden Monaten schwerer werden, vermutet er.

Vor allem der nahende Brexit setzt den Firmen zu, denn mit ihm drohen neue bürokratische Hürden. So geht die Berliner Kammer davon aus, dass alleine für die Hauptstadt jedes Jahr 500.000 Papiere bei den Zollkontrollen zusätzlich ausgefüllt werden müssen. „Der Brexit beschäftigt derzeit vor allem die kleinen Unternehmen“, sagt Mario Tobias, Chef der IHK in Potsdam. „Bei denen wird derzeit jeder kleine Schraube und Dichtung auf ihre Herkunft überprüft.“

Gibt es regionale Probleme?

Viele. Denn nicht nur Donald Trump und Theresa May bereiten den Firmen Sorgen, auch der wirtschaftspolitische Kurs in der Heimat wird kritisch verfolgt. Jan Eder nennt drei Baustellen für die Politik: „Die öffentlichen Investitionen müssen endlich auf den Weg gebracht, der Wohnungsbau beschleunigt und das Vergaberecht attraktiver gemacht werden.“ Die Reform der öffentlichen Auftragsvergabe wird von den Unternehmen seit Langem eingefordert. Beispiel Wohnungswirtschaft: Wenn der Staat Bauleistungen ausschreibt, müssen Unternehmen sich durch langwierige Prozeduren und Antragsverfahren quälen. Das hat Konsequenzen.

Dem IHK-Bericht zufolge beteiligen sich mittlerweile sieben von zehn Unternehmen überhaupt nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen, weil die Verfahren zu kompliziert sind.

„Vor allem die vergabefremden Kriterien sowie nicht immer marktgerechte Preise machen Aufträge der öffentlichen Hand unattraktiv“, heißt es im Bericht der Kammern. Ein Beispiel nennt Jan Eder: „Wem ist damit geholfen, wenn ein Kinderspielplatz nicht gebaut wird, weil das von männlichen Arbeitern geprägte Bauunternehmen erst einen Frauenförderplan vorlegen muss?“, fragt er – und meint es rhetorisch.

Auch dem Berliner Senat ist nicht entgangen, dass er ein Bürokratieproblem hat. Er drückt es gleichwohl deutlich vornehmer aus. Struktur und Inhalt des Gesetzes sollen „anwenderfreundlicher“ werden, versprach die Senatsverwaltung im Mai in einem Eckpunktepapier. Wirtschaftssenatorin Pop versprach am Dienstag erneut Besserung. „Zukünftig können sich Unternehmen unbürokratischer an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen. Dafür werden beispielsweise Wertgrenzen vereinheitlicht und bisherige Hemmnisse beseitigt.“

Welche Rolle spielt die Stimmung?

Dass Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie ist, soll schon der Wirtschaftswunder-Minister und spätere Kanzler Ludwig Erhard gewusst haben. Und die Kammern der Region wissen es noch immer. Die schlechteren Wachstumserwartungen seien nicht zuletzt auf die schlechte Stimmung zwischen Politik und Wirtschaft zurückzuführen, glaubt Jan Eder. Vor allem Berlins Firmen vermissten aktuell ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft.

Eder spielt damit auf die immer lauter werdenden Forderungen im Senat an, private Immobilienkonzerne wie Vonovia oder die Deutsche Wohnen zu enteignen.

Für Eder ist eine solche Debatte hingegen tabu: „Gedankenspielereien zur Verstaatlichung von Privateigentum schaden dem Standort, und dass eine staatlich gelenkte Wirtschaft ökonomisch nicht funktioniert, dürfte die Vergangenheit hinreichend bewiesen haben.“ Senatorin Pop zeigte sich am Dienstag ebenfalls bemüht, die Stimmung zu heben. Alle Akteure seien gefragt, Anstrengungen zu unternehmen, um Investitionen als Konjunkturtreiber voranzubringen und neue Kapazitäten zu erschließen. „Hierzu gehört auch, Berlin als Wirtschaftsstandort nicht schlechtzureden. Investoren haben starkes Vertrauen in unseren Wirtschaftsstandort. Gemeinsam müssen wir dafür arbeiten, dass das auch so bleibt.“

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