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Die Wände sind noch etwas kahl, aber der Spaß ist trotzdem groß in der neuen Kita in Wedding.

© Gregor Fischer/Davids

Neue Kita will Integration und Inklusion: Weddinger Neujahr im Februar

Eine neue Kita und Krippe im Paul Gerhardt Stift bietet Plätze für Kinder mit Behinderung und für Kinder aus anderen Kulturen - besonders für Flüchtlingskinder. Das ist selten und für manche Eltern nicht unproblematisch.

Mide macht mit ihrer Erzieherin ein Puzzle: Sie soll die Buchstaben von A bis Z auf die dafür vorgesehenen Felder auf dem Spielfeld legen und dazu Wörter bilden. Sie nimmt das E in die Hand und legt es zielsicher auf seinen Platz. „E wie Esel“, sagt die Dreijährige. Ursprünglich kommt sie aus Nigeria, ihre Familie ist 2013 nach Deutschland geflüchtet. Andere Kinder tun sich da schwerer: „Weil viele zu Beginn noch Probleme mit der Sprache haben, kommunizieren wir viel mit Symbolen“, sagt Jonas Burkowski, der die Kindertagesstätte im Paul Gerhardt Stift leitet. „Auch mit Gebärdensprache. So sind die Regeln für alle klar.“ 

In Wedding hat am Montag eine neue Kindertagesstätte offiziell Eröffnung gefeiert. Ihr Konzept: Kita und Krippe richten ihren Fokus sowohl auf Kinder mit Migrationshintergrund als auch auf die Inklusion von Kindern mit Behinderungen. „Dieser Mix ist einzigartig“, sagt Stefan Kurzke-Maasmeier, der stellvertretende Geschäftsführer des Paul Gerhardt Stift. Flächendeckend gilt nach Informationen der Senatsverwaltung für Jugend und Familie der Ansatz, in Berlin geflüchtete Kinder in Kitas zu integrieren. „Aber den Kitas steht es frei, selbst ihre Schwerpunkte zu setzen.“, sagt Ilja Koschembar, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Jugend und Familie. Andere achteten besonders auf Sport oder bilinguale Erziehung. „Das macht die Kita-Landschaft bunter.“ 100 Berliner Kitas hätten ihren Schwerpunkt auf „Interkulturelle Pädagogik“ gelegt. Insgesamt gibt es im Raum Berlin derzeit etwa 2360 Kitas.

17 Kinder sprechen 13 Sprachen

Nur zwei Kinder der 17-köpfigen Gruppe im Paul Gerhardt Stift haben keinen Migrationshintergrund. 13 verschiedene Sprachen sprechen die Kinder. Einige, wie die dreijährige Mide, stammen aus Flüchtlingsfamilien. Zwei Kinder  aus der Gruppe brauchen außerdem aufgrund ihrer Behinderung besondere Förderung. Je nach Grad der Behinderung werden der Kita mehr Stellen für die Betreuung zugeteilt. Trotzdem könne die Gruppe maximal fünf Kinder mit Förderbedarf aufnehmen, „gerade weil sie mehr Aufmerksamkeit brauchen“, sagt der stellvertretende Geschäftsführer des Paul Gerhardt Stift, Stefan Kurzke-Maasmeier. 

Seit November haben die Kita und die angrenzende Krippe geöffnet. Die Erzieher sprechen ausschließlich Deutsch mit ihnen. „Alles andere hätte keinen Sinn“, sagt Burkowski, selbst studierter Heilpädagoge. „Auch wenn wir manchmal in anderen Sprachen zählen oder singen.“ Wie neu die Räume sind, davon zeugt der Geruch nach frischem Holz und Farbe. An den Wänden hängen die ersten Kunstwerke der Kinder, bunte Masken von der Faschingsfeier. 

In dem Stift leben seit 1989 Flüchtlinge - trotzdem gibt es Berührungsängste

Obwohl selbst ein evangelischer Träger, übt das Paul Gerhardt Stift seit Jahren den Umgang mit anderen Religionen. 1989 sind die ersten Flüchtlingsfamilien in die Gebäudekomplexe eingezogen. Der Schwerpunkt liegt auf besonders traumatisierten Menschen, derzeit wohnen hier 102 Personen. Den Kindern merke man ihre teilweise traumatische Vergangenheit bislang nicht an. „Wir begleiten die Kinder aber auch noch nicht lang genug“, sagt Burkowski. Neben den Flüchtlingsfamilien wohnen in dem Gebäudekomplex auch Senioren, die hier ihren Lebensabend verbringen. „Unser Ziel ist es, Menschen verschiedenen Alters, verschiedener Religionen und verschiedener Sprachen zusammenzubringen“, sagt der Leiter.

Aaaaah - die Rutsche!
Aaaaah - die Rutsche!

© Gregor Fischer/Davids

Trotzdem gebe es auch hier Berührungsängste gegenüber anderen Kulturen. „Natürlich kamen Fragen danach auf, ob der christliche Geist unseres Hauses erhalten bleibt“, sagt Kurzke-Maasmeier. Fragen dieser Art müsse man ernst nehmen und darüber sprechen, „damit aus potentiellen Konfliktlinien keine Risse werden.“ Neben den Wohnungen sind Arztpraxen, ein Café und ein Stadtteilzentrum über das Gelände verteilt. Die Volkshochschule mietet die Räume für ihre Kurse: Eltern können ihre Kinder in die Kita bringen und anschließend im Hauptgebäude gegenüber zum Sprachkurs gehen. Kita und Krippe sind in einem Gebäude im Innenhof untergebracht, das ursprünglich als Poliklinik genutzt wurde. 

Taylors Familie kommt aus China, deshalb feiern die Kinder im Februar Neujahr

Während die Krippe mit 14 Plätzen voll belegt ist, ist in der Kita noch für sieben Kinder Platz - trotz des Mangels an Kita-Plätzen in großen Teilen Berlins. „Unterm Jahr ist es schwierig, viele Vier- bis Fünfjährigen sind dann schon irgendwo untergekommen“, sagt Burkowski. Außerdem unterstützten nicht alle Eltern das interkulturelle Konzept. „Eine christliche Familie wollte ihr Kind nicht in die Kita geben, weil wir auch muslimische Kinder aufnehmen.“ In der Gruppe werden Themen aus allen Religionen behandelt: Im November war der Nikolaus zu Besuch und hat Geschenke verteilt. Gemeinsam haben sie mit den anwesenden Eltern Lieder gesungen – auch christliche Texte.

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© Gregor Fischer/DAVIDS

„Unser christliches Profil besteht darin, alle einzuladen“, sagt Stefan Kurzke-Maasmeier. Der stellvertretende Geschäftsführer des Paul Gerhardt Stift steckt oft selbst unter dem roten Kostüm. Am 19. Februar hat die Gruppe das chinesische Neujahrsfest gefeiert: Die Familie von Kita-Kind Taylor kommt aus China, sein Opa hat den Kindern eine chinesische Geschichte erzählt und für die Kinder gab es kleine Überraschungstüten.

Burkowski möchte das Angebot der Kita im Sommer weiter ausbauen: Es soll eine Gruppe für musikalische Früherziehung geben, was vor allem den Kindern mit erhöhtem Förderbedarf zugute kommen könnte. Auch Lesepatenschaften zwischen Senioren und Kita-Kindern sind geplant. Vergangene Woche fand probeweise ein Spaziergang statt, „der lief gut“, sagt der Leiter. „Kinder kommen immer gut an.“

Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem lokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.

Laura Worsch

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