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Einladend. Heute ab 13 Uhr feiern Marco Clausen (l.) und Robert Shaw am Moritzplatz ihren Start in die Gartensaison. Infos unter http://prinzessinnengarten.net.

© Uwe Steinert

Großstadtgärtner: Besetzlinge

Immer mehr Berliner bepflanzen eigenhändig öffentliche Brachen und Gehwege. Die Bezirke finden’s gut.

Manche machen es heimlich. In Nacht- und Nebelaktionen graben sie Böden um, schütten Rindenmulch und Erde auf und pflanzen auf zuvor unansehnlichen Brachen bunte Blumen, nützliche Kräuter oder gesundes Gemüse. Andere wie die Film- und Theaterschauspielerin Franziska Olm halten nichts davon, sich zu verstecken. „Ich möchte die Stadt schöner, grüner und damit lebenswerter machen. Und dafür stehe ich mit meinem Namen ein“, sagt die 33-Jährige.

Erst vor kurzem hat die Mutter eines vierjährigen Sohnes aus Prenzlauer Berg begonnen, Berliner Kieze mit anderen Augen zu betrachten. Zwar züchtet sie im Hinterhof ihres Hauses schon länger Kräuter für den Eigenbedarf. Doch dann reichte ihr das angesichts der vielen Brachflächen und mit Zigarettenkippen, Müll und Glasscherben gespickten Baumscheiben nicht mehr. Nun fragt sie sich auf ihren Spaziergängen: „Was wäre, wenn das meins wäre?“ Und lässt diesem Gedanken mithilfe von Freunden und Anwohnern und Pflanzenspendern Taten folgen, auch Sohn Fynn ist mit Feuereifer dabei.

Vier Mal hat Olm in den letzten sechs Wochen bereits mit ihren Unterstützern Hand an Berliner Böden gelegt. Zuletzt in der Stubbenkammerstraße in Prenzlauer Berg. Dort wachsen nun auf einer ehemaligen Baumscheibe junge Apfelbäume, blaue Lupinen und gelbe Ranunkeln. Auf dem Kirschbaumstumpf steht eine anmutige Mädchenstatue, die Anwohner in ihrem Keller fanden. Olm hofft, dass solche Anregungen bald Schule machen, und will die Aktionen anderer Aktivisten in ihrem Internetblog www.franziskaolmsgrundstueck.blogspot.com dokumentieren. „Es ist nicht schwer, es sich schön zu machen“, sagt Olm. „Man muss die Dinge nur selbst in die Hand nehmen.“ Und dann loslassen können. Denn nach dem Pflanzen legt Olm die Pflege des frischen Grüns in die Hände der Anwohner.

Zu den Großstadtgärtnern zählt Petrus Akkordeon sich eigentlich schon sein ganzes Leben lang. Bereits als kleiner Junge hat der heute 38-jährige Steglitzer Künstler überall in seinem Kiez Sonnenblumen gepflanzt. Heute arbeitet er hauptberuflich als Privatgärtner, außerdem ist er einer der Berliner „Gartenpiraten“, die im Internet unter www.gruenewelle.org Tipps über die besten Pflanzmethoden austauschen und sich auch gegenseitig bei Begrünungsaktionen unterstützen. So wie am heutigen Sonnabend, ab 15 Uhr ist nahe der Schillingbrücke am Ostbahnhof gemeinsames Gärtnern geplant.

Petrus Akkordeons eigene Seite heißt www.alltagspoetisierung.blogspot.com. Dass er die Stadt beackern möchte, ist bei ihm wörtlich zu verstehen: In verwaisten Blumenkübeln am Hermannplatz hat er Kartoffeln, am Haus der Kulturen der Welt Erdbeeren und auf einem Seitenstreifen am Reichstag Weizen gepflanzt. Die Setzlinge züchtet er in seinem Garten und transportiert sie dann in Kartons oder auch schon mal in großen Koffern an ihren Bestimmungsort. „In der Erde wühlen, säen und ernten ist etwas Natürliches. Wir dürfen dieses Erbe nicht vergessen“, sagt Akkordeon. Besonders viel Zuspruch erhält er bei seinen Aktionen von Älteren oder Menschen vom Land. Als Nächstes will Akkordeon ab Ende Mai die Stadtautobahn mit 1000 gelben Ringelblumen verschönern.

Franziska Olm hat auch dieses Beet in der Stubbenkammerstraße angelegt.
Franziska Olm hat auch dieses Beet in der Stubbenkammerstraße angelegt.

© Uwe Steinert

Die Bezirke sehen die grüne Welle im Innenstadtbereich überwiegend gelassen, und das Modewort „Guerilla Gardening” mit seinem Beiklang von Anarchie und Ungesetzlichkeit will nicht so recht passen, wenn Harald Büttner vom Grünflächenamt Mitte sagt: „Wir freuen uns über die Eigeninitiative und den Verschönerungswillen der Bürger. Vieles davon würden wir selbst gern tun, wenn wir das Geld hätten.“ So bleibt den Ämtern oft nur, Angebote für Baum- oder Pflegepatenschaften wie in der Oderbergerstraße in Prenzlauer Berg zu machen und Anwohner zu beraten, wie man Baumscheiben sinnvoll und gefahrlos bepflanzen kann. Ganz wichtig: keine giftigen, dornigen oder wuchernden Pflanzen setzen, bestehenden Bepflanzungen keine Wurzelkonkurrenz bieten und Beeteinfassungen – wenn überhaupt – nur so vornehmen, dass Fußgänger und Rollstuhlfahrer nicht behindert und blinde Menschen nicht gefährdet werden.

Mit solchen Vorschriften müssen sich die beiden Initiatoren der Prinzessinnengärten, Robert Shaw und Marco Clausen, nicht beschäftigen. Seit vergangenem Sommer sind sie Pächter einer 6000 Quadratmeter großen Brache am Kreuzberger Moritzplatz, wo sie zusammen mit Gartenfreunden jeden Alters in mobilen recycelten Industriekörben Biogemüse anpflanzen, das hier verkauft wird. Ihre Ziele sind neben der Bildungs- und Nachbarschaftsarbeit die Kultivierung alter Sorten wie die Kartoffeln „Rosa Tannenzäpfchen“ oder „Bamberger Hörnchen“. „Gemeinsam proben wir die nachhaltige Stadt der Zukunft. Es ist eine Utopie im Kleinen“, sagt Clausen (Infos im Internet unter http://prinzessinnengarten.net). Am heutigen Sonnabend wird die Gartensaison auf der „Agropolis“ ab 13 Uhr offiziell eröffnet.

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