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Regisseurin Anne (Vanessa Paradis, links) mit Cutterin Loïs (Kate Moran), die ihre Ex-Geliebte ist.

© Salzgeber

"Messer im Herz": Blutige Küsse mit Vanessa Paradis

Yann Gonzalez’ „Messer im Herz“ ist eine exaltierte Hommage ans italienische Horrorkino, in der ein Killer schwule Porno-Darsteller umbringt.

Von Andreas Busche

Die Verbindung von Horror und Pornografie ist geradezu zwingend. Beiden Genres ist der Blick des Voyeurs, die Lust des Schauens zu eigen – inklusive des sogenannten money shots: die durchgeschnittene Kehle, aus der Blut hervorquillt, und das finale Abspritzen auf dem Höhepunkt.

Die zwei ebenmäßigen Jünglinge mit Körpern wie gemeißelte Götterstatuen, die sich am Anfang von Yann Gonzalez’ rauschhafter Genre-Kolportage „Messer im Herz“ in nostalgisch-körnigen 16mm-Bildern vergnügen, sind sich der Tatsache, dass sie selbst gerade Objekte der Begierde sind, gar nicht bewusst. In den Büschen lauert eine Spanner, während sie es auf der Wiese treiben. Eine Frauenhand mit leuchtend rot lackierten Nägeln spult am Schneidetisch das Material vor und zurück und legt damit gleich die nächste Blickachse offen.

Der Film auf dem Monitor trägt den lyrischen Titel „Von Luft und Sperma“, ein legendärer französischer Schwulenporno, der seinem knabenhaften Star Fouad (Khaled Alouach) in der Homoszene ewigen Ruhm bescherte. Auch die Porno-Produzentin Anne Parèze, gespielt von Vanessa Paradis, immer noch die schönste Zahnlücke im Franco-Pop, zehrt vom Ruf des kruden Machwerks, doch ohne die männliche Muse offenbart sich ihr überschaubares künstlerisches Talent. Außerdem steckt die labile Anne in einer Lebenskrise: Seit sie von ihrer langjährigen Cutterin Loïs (Kate Moran) verlassen wurde, hat sie für Notfälle immer einen Flachmann in der Manteltasche.

Die lesbische Regisseurin versucht ihr Ex wiederzugewinnen

Der Titel „Messer im Herz“ ist bildlich wie buchstäblich zu verstehen. Annes zunehmend aggressive Versuche, das Herz der Verflossenen zurückzugewinnen, koinzidieren mit einer Mordserie im Umfeld ihrer aktuellen Produktion. Der Star ihres jüngsten Film stirbt mit einem klingenbesetzten Dildo im Hintern, darum ist die restliche Crew – ihr engster Vertrauter Archibald (Nicolas Maury), Thierry (Félix Maritaud), Kameramann François (Bertrand Mandico), der „Goldmund“ (Pierre Pirol), der für Blow-Jobs zur Verfügung steht, wenn die Akteure vor der Kamera Ladehemmungen haben – verständlicherweise nervös. Anna aber hat eine zweifelhafte Idee: Sie baut den Mord in ihren neuen Film „Der Homokiller“ ein, um ihr größtes Meisterwerk zu vollenden – und Lois zurückzugewinnen. Da der derangierte Killer aber weiter sein Unwesen treibt, erweist sich auch Annes neuer Film bald als work in progress.

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„Messer im Herz“ ist in mehrfacher Hinsicht eine Liebeserklärung. An Kenneth Anger und die Pariser Schwulenszene der späten Siebziger, bevor die Aids-Krise dem unbeschwerten Treiben ein Ende bereitete, an den italienischen Giallo-Thriller, dessen leitmotivische Farben Rot und Blau Regisseur Yann Gonzalez reichlich über seinen Darstellern ausgießt und an Vanessa Paradis – mit strohblonder Frisur, in aufsehenerregenden Vintage-Kostümen und mit blauem Lidschatten. Ein Besetzungscoup, wie schon der Fußballschöngeist Éric Cantona in Gonzalez’ Regiebüt „Begegnungen nach Mitternacht“ von 2012.

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Man könnte die Begeisterung über „Messer im Herz“ leicht von dessen Schauwerten herleiten. Aber wie schon der Tanzschocker „Climax“ (2018) von Gaspar Noe, dem anderen Enfant Terrible des französischen Kinos, ist Gonzalez’ Hommage auch eine Art Ersatzfamilienfilm; man stelle sich „Boogie Nights“ in der Schwulenpornobranche vor. Die Szenen mit der Crew – in der Freizeit picknickt man im Park – besitzen eine liebevolle Wärme, die dem halbironischen Spiel mit Genreversatzstücken und Filmzitaten eine emotionale Erdung gibt. Zum Monster wird man nicht nur aus Hass, sondern manchmal auch aus enttäuschter Liebe. In „Messer im Herz“ schieben sich die unterschiedlichen Begehren immer wieder wie psychedelische Doppelbelichtungen übereinander.

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