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Letzte Spuren. Heute existiert von dem Gemälde „Liebespaar im Stadtpark von Arles“ (1888) nur noch eine Schwarzweiß-Reproduktion. Die Vorbesitzerin Thea Sternheim sollte weder den vereinbarten Preis noch später Wiedergutmachung bekommen.

©  Archiv Koldehoff

Ein van Gogh für die Berliner Nationalgalerie: Erst halb gekauft, dann von Göring geraubt, heute gesucht

Die Sammlerin Thea Sternheim sollte ihr Geld nie bekommen: 1933 stellte das Museum die Ratenzahlung ein, 1958 kam ihre Klage zu spät.

Die großen van Gogh-Ausstellungen im Potsdamer Museum Barberini und dem Frankfurter Städel feiern nicht nur den Künstler und Begründer der modernen Malerei, sie erinnern auch an die bedeutenden Privatsammlungen mit Werken des Niederländers, die es vor 1933 vor allem in Deutschland gab. Zu den wichtigsten zählte damals die von Thea Sternheim, Autorin und Ehefrau des Schriftstellers Carl Sternheim, die mindestens 13 Gemälde des Künstlers besaß. Eines dieser Bilder verkaufte sie vor 90 Jahren an die Berliner Nationalgalerie. Den vereinbarten Kaufpreis haben die Sammlerin und ihre Erben aber nie erhalten. Das Bild selbst ist seit 1937 verschollen.

Auf 100 000 Mark hatte der vertraglich vereinbarte Kaufpreis für das 1888 gemalte „Liebespaar im Stadtpark von Arles“ gelautet. Zehn Prozent davon sollte der Kunsthändler Alfred Flechtheim bekommen: Er wusste, dass die Nationalgalerie unter Hugo von Tschudi und später Ludwig Justi seit vielen Jahren und inzwischen reichlich verzweifelt nach einer Möglichkeit gesucht hatte, endlich auch ein bedeutendes Gemälde des inzwischen weltberühmten Vincent van Gogh zu kaufen.

Nationale Proteste nach dem Ersten Weltkrieg und fehlendes Geld hatten das verhindert. „Vor dem Kriege war es unmöglich, van Goghs, die damals noch billig zu haben waren, für die Nationalgalerie anzukaufen, weil der Kaiser es nicht haben wollte“, berichtete die „Vossische Zeitung“ über die Beschränkungen, denen dieses Museum unterlag. „Eine Gelegenheit, für die relativ bescheidene Summe von etwa 25 000 Mark nicht weniger als sechs, also bitte: ein halbes Dutzend hervorragender Gemälde des Holländers zu übernehmen, wurde durch den Widerspruch Wilhelms des II. nicht ausgenutzt.“

Hinter dem nun endlich möglichen Ankauf standen das persönliche Schicksal der Sammlerin Thea Sternheim: das Scheitern der Ehe und die Trennung von ihrem Mann. Carl Sternheim hatte zahlreiche Affären, war psychisch erkrankt, verschwendete das gemeinsame Vermögen. Schon im Januar 1911 vertraute Thea Sternheim ihrem Tagebuch an: „Seit November verwalte ich mein Vermögen allein. Karl ist nicht mehr imstande, ohne meine Vermittlung Geld zu erheben. Hätte ich ihm nie unbedingtes Vertrauen geschenkt, wär ich nie dem peinlichen Gefühl ausgesetzt gewesen, auf meine Kosten hintergangen zu werden. Diese Kränkung allein veranlasste mich zu einem Schritt, der mir auszuführen hart ankam. Nun, da er getan ist, beglückwünsche ich mich täglich zu meinem Entschluss.“

Im Februar 1919 wurde auch ein Schlussstrich unter die gemeinsame Kunstsammlung gezogen. In einer Auktion bot das nach wie vor zusammenlebende Ehepaar auch sieben seiner Van Gogh-Gemälde zum Kauf an – darunter das „Liebespaar“, zehn Jahre nach dem Erwerb in Paris. Die Versteigerung fand nicht in einem prominenten Berliner Auktionshaus wie Cassirer, Helbing oder Perl, sondern – gerade einmal drei Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs – in Amsterdam statt.

Nach der Scheidung begann der Streit um die Bilder

Grund dafür waren wohl Überlegungen, dass der Markt für Vincent van Gogh inzwischen auch in dessen Heimatland gute Preise garantierte und ein Verkauf außerhalb der deutschen Hauptstadt für weniger öffentliches Aufsehen sorgte. Neben zahlreichen anderen Werken fand aber auch das „Liebespaar“ keinen Käufer. Als sich das Ehepaar 1927 scheiden ließ, begann noch einmal ein erbitterter Streit um die Frage, von wessen Geld die noch übrig gebliebenen wertvollen Bilder gekauft worden waren und wem sie gehörten.

Mit der Entscheidung Thea Sternheims, sich zwei Jahre später aus finanziellen Gründen auch von van Goghs „Liebespaar“ zu trennen, gab es für die Nationalgalerie endlich die Möglichkeit, ein bedeutendes Gemälde aus der wichtigen Spätzeit des Künstlers zu kaufen. Vereinbart wurde im Juli 1929 Ratenzahlung: 20 000 Mark musste das wichtigste deutsche Museum sofort, den Restbetrag bei einer jährlichen Verzinsung von zehn Prozent bis 1935 zahlen. Sofort nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurden die Überweisungen aber eingestellt.

Als Thea Sternheim deshalb im April des Jahres aus ihrem französischen Exil nach Berlin reiste, war Direktor Ludwig Justi für sie nicht zu sprechen. Von einem Prozess gegen die Nationalgalerie rieten Anwälte ab. Der für das Museum tätige Wirtschaftsprüfer Alfred Schute bot der Sammlerin schließlich eine Entschädigung von 20 000 Mark an, die sie akzeptierte. Auf die vereinbarten weiteren 60 000 Mark musste die alleinstehende Frau, die zwei drogenabhängige Kinder mit zu versorgen hatte, verzichten.

Die Nationalgalerie hatte aber nicht lange etwas von seiner Neuerwerbung. Zwar war van Gogh von den Nationalsozialisten nie offiziell als „entartet“ verfemt worden. Knapp zwei Dutzend seiner Gemälde und Papierarbeiten befanden sich 1933 in deutschen Museen. Als dort ab 1937 staatliche Kommissionen alles beschlagnahmten, was nicht mehr den Vorstellungen von ideologisch staatskonformer Kunst entsprach, war keines dieser Werke betroffen.

Hermann Göring persönlich ließ sich aber 1937/38 vier Van Gogh-Gemälde aus Berlin und Frankfurt überstellen – um sie zu Geld zu machen. Vom Erlös kaufte der „Reichsfeldmarschall“ Gobelins, Teppiche und Altmeistergemälde für die Privatsammlung auf seinem Landsitz Carinhall in der Schorfheide, die angeblich irgendwann einmal dem deutschen Volk geschenkt werden sollte. Für einzelne beschlagnahmte Kunstwerke zahlte er den betroffenen Museen sogar Entschädigungen aus seinem persönlichen Verfügungsfonds.

1958 versuchte Thea Sternheim das Geld einzufordern - vergeblich

Wegen dieser illegalen Transaktionen und der fehlenden Zahlungen versuchte Thea Sternheim 1958 in einem Verfahren gegen das Land Berlin, den zugesagten Kaufpreis einzufordern. In dem Prozess benannte sie laut Gerichtsakten klar „rassische und politische Gründe“ dafür, dass sie nie ihr Geld erhielt: „Sie sei nämlich bis zur Scheidung im Dezember 1927 mit Carl Sternheim verheiratet gewesen, der väterlicherseits jüdischer Abstammung gewesen sei.

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Auch nach ihrer Scheidung habe sie noch gute Beziehungen zu diesem unterhalten. Des weiteren sei den nationalsozialistischen Machthabern bekannt gewesen, dass sie Mitglied der Liga für Menschenrechte und des Katholischen Friedensbundes sowie Mitarbeiterin der von Pfemfert herausgegebenen ,Aktion’ und des von Alfred Flechtheim und ihr begründeten ,Querschnitts’ gewesen sei. Beide Zeitschriften seien als antinationalsozialistisch bekannt gewesen.“

[Von dem Autor und seiner Frau Nora Koldehoff ist im Nimbus Verlag das Buch „Der van Gogh-Coup. Otto Walckers Aufstieg und Fall“ (216 S., 29,80 €) erschienen]

Das Landgericht Berlin wies die Klage ab – aus formalen Gründen: Die Anmeldefrist für entsprechende Ansprüche sei bereits sechs Jahre zuvor abgelaufen. Ob das Gemälde noch existiert, ist nicht bekannt. Von den 13 Gemälden, die sich Göring überstellen ließ, blieben sechs nach dem Krieg verschwunden – darunter der ebenfalls aus der Nationalgalerie entfernte berühmte „Turm der blauen Pferde“ von Franz Marc. Dass diese Bilder zerstört wurden, ist allerdings auch nicht belegt. Würde das „Liebespaar“ in einer Privatsammlung wieder auftauchen, wäre es heute mindestens 30 Millionen Euro wert.

Von der Nationalgalerie war vor Redaktionsschluss keine Stellungnahme zu erhalten.

Stefan Koldehoff

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