zum Hauptinhalt
Der Unbestechliche. Ennio Morricone am Dirigentenpult.

© dpa

Ennio Morricone dirigiert seine Filmmusik: Es war einmal in Berlin

Die Mission des Maestro: Seit fünfzig Jahren komponiert Ennio Morricone für das Kino, dem er die berühmtesten Filmmusiken geliefert hat. In der Berliner O2 World dirigiert er eine Auswahl aus 500 Stücken.

Es ist nicht leicht, ausgerechnet in der O2 World ein Hochamt zu zelebrieren. Doch es kommt einer in das Mehrzweckoval, der Anhänger quer durch alle Generationen findet. Gerne gibt man da eine Handvoll Euro mehr für Poster oder Programmbücher aus, die den Rücken des Helden im schwarzen Mantel zeigen und seine Hand, die einen Taktstock umfasst. Ennio Morricone, der glorreiche Halunke, der Unbestechliche, der Profi geht mit 85 Jahren noch einmal auf große Tour samt Orchester und Chor. Er blickt zurück auf gut 50 Jahre Kompositionen für die Leinwand, und er tut es mit dem spröden Charme eines Industriedesigners – ganz so, wie man ihn kennt.

Vor das große akustische Wiedererkennen, das sekundengenaue Abrufen von Emotionen, das kollektive Zücken der Taschentücher setzt der römische Maestro eine Videobotschaft. Darin erklärt er sich, er versucht es zumindest. Die Rolle des Komponisten im 20. Jahrhundert betrachtet er als doppeldeutig. Morricone doziert über dienende und freie Musik, über die Darmstädter Ferienkurse und Konkrete Musik. Seine Rolle sieht er darin, „interessante Übungen“ in die Filmmusik eingebracht zu haben: also einem Millionenpublikum Klangsplitter der Zweiten Wiener Schule untergejubelt zu haben. Froh schaut er dabei nicht. Und klingt nach den Filmkomponisten der 40er und 50er Jahre, die sich für ihr „Doppelleben“ jenseits der Klassik zu rechtfertigen suchten. Das wirklich Tragische daran ist aber: Niemand will Morricones Versuch einer Lebensbeichte hören.

Erster Jubel zieht bei „Es war einmal in Amerika“ und „1900“ durch die ausverkaufte Halle. Doch Morricone will einen durchkomponierten Abend abliefern, keine Nummernrevue. Er fasst Suiten aus seinem unglaublichen Fundus von über 500 Filmkompositionen zusammen, dirigiert sie ohne Absetzen und Aufblicken von den Noten. Darunter sind auch Blöcke ohne Hits zum Mitsummen. Nicht, dass sie nicht eingängig wären. Morricone ist auch jenseits seiner ikonografischen Titel ganz er selbst: ein Klangingenieur, der sich des Schlagers bemächtigt hat, kühn fallende Intervalle implantiert und an exakt die richtige Stelle einen Trompetenthriller platziert.

Das ungarische Modern Art Orchestra samt Chor und einer ungenannten Sopranistin arbeitet ohne Reibungsverluste ab, was keinerlei Abweichung verträgt. Ein Genuss ist das Spiel schon wegen der Tonanlage dennoch nicht: Jedes Kino hat heute einen transparenteren Sound. Das schmerzt besonders, da Morricone liturgisch zum Äußersten drängt – mit „On Earth as it is in Heaven“ aus „Mission“. Amen! Den Begriff der Zugabe interpretiert Morricone ganz klassisch: als Wiederholung besonders beklatschter Stücke. Drei Mal gewährt er die Gunst. Gipfelnde Trompete, schwellende Stimme, brandender Chor. Dann verschwindet der Maestro, seine Partituren fest unter den Arm geklemmt. Schnell hinaus und unterm Nachthimmel die Filmdose aus „Cinema Paradiso“ geöffnet, die mit den geretteten Küssen. Ulrich Amling

Zur Startseite