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Der Berliner Komponist und Schlagzeuger Max Andrzejewski,30, in seinem Friedrichshainer Probenraum.

© Doris Spiekermann-Klaas

Food Gospel von Max Andrzejewski: Lobet und preiset die Butter

Fetter Chorklang: Der Schlagzeuger Max Andrzejewski stellt beim Kreuzberger XJazz Festival ein Gospel-Album vor. Es dreht sich ums Essen als Ersatzreligion.

„Heute habe ich spät gefrühstückt“, sagt Max Andrzejewski „und mittags nur einen Apfel und ein paar Cashew-Kerne gegessen.“ Normalerweise ist Ernährung für ihn kein goßes Thema, aber nachdem sein neues Album mit der Band Hütte lauter Texte übers Essen enthält, spielt es eben doch eine Rolle. Am Abend soll es in die Pizzeria gehen: „Bei mir um die Ecke im Wedding.“ Max Andrzejewski ist einer der bekanntesten Jazzschlagzeuger Berlins – und mittlerweile weit darüber hinaus. Vor fünf Jahren gründete er Hütte, eine Band, die gleich den Neuen Deutschen Jazzpreis 2013 gewann. Nun ist das dritte Album „And The Homegrown Organic Gospel Choir“ erschienen.

„Ich war immer schon gesangsaffin“, sagt Andrzejewski. Bereits zum vorigen Album lud er ein Gesangs-Quintett dazu. Besonders gut gefiel ihm dabei – zwischen Anklängen an Dada-Poesie, Frank Zappa und die Swingle Singers – ein ekstatischer Gospel-Song mit vielen Aahhs und Ohhhs. Davon wollte er mehr hören. Eine Entscheidung mit Folgen, denn „wenn man einen Gospelchor hat, dann sollen die auch entsprechende Texte singen. Aber was, wenn ich selbst nicht richtig gläubig bin?“ Also fragte er Sylvana Seddig, eine befreundete Choreografin: „Worüber kann man in einer Weise singen, wie man sonst über Religion singt?“ Sie erklärte ihm: Essen! Du musst Gospel übers Essen machen! Wie richtig sie mit diesem Vorschlag lag, war schnell klar: „Es gibt ja unglaublich viele religiöse Begriffe, die sich aufs Essen übertragen lassen. Allein schon diese Super-Food-Bewegung. Da werden Heilsversprechungen gemacht. Und viele Leute halten sich an solchen Ersatzreligionen fest“, sagt Andrzejewski beim Gespräch in seinem Friedrichshainer Probenraum.

Beim Essen geht es eben um Grundsätzliches, etwas wenn der Chor im Song „Butter“ jubelt: „Oh Friends, cherish the butter pure and radiant and thick and rich!“ Aber nicht nur der im wahrsten Sinn des Wortes fette Chorklang fährt hier beim Hören in die Eingeweide, sondern auch die Einsicht, dass es beim Essen auch um Leben und Tod geht. So stellt „Eat What You Are“ die moralische Frage „Go Vegan? – Theres one cutting truth“. Doch missionieren möchte Max Andrzejewski nicht. Schon gar nicht mit seinem Gospelchor. Deshab handelt das mitreißende „Hunter, Gatherer“ auch von der Völlerei eines Festtag mit Braten und Wein. Max Andrzejewski schätzt die Vielfalt der Positionen: „Ich will das bewusst offenhalten, dass sind ja auch Fragen, die ich mir selbst stelle. Mit meiner Freundin koche ich zu Hause vegan, wegen ihrer Laktoseintoleranz. Aber wenn ich auf Tournee nach Österreich komme, gibt es nichts Besseres für mich, als einen guten Braten zu essen!“

An Abwechslung gewöhnt

Die Texte seines „Food-Gospel“ steuerten Seddig und der Dramaturg Thomaspeter Goerge bei. Den lernte Andrzejewski am Staatstheater Kassel kennen. Denn neben seiner Jazz-Karriere hat er sich auch als Komponist für Theatermusik etabliert. So schrieb er das Streichquartett zu der Kasseler Produktion „Tyrannis“ des Regisseurs Ersan Mondtag, das 2016 zum Theatertreffen eingeladen war. Im Juni hat „Das Erbe“ Premiere an den Münchener Kammerspielen, wieder eine Inszenierung von Mondtag: „Er hat den Anspruch an die Musik, dass es was Besonderes ist, aber er lässt mir viel Freiheit. Wenn ich ein Streichquartett schreiben will, dann kann ich das machen“, erklärt er. In München werde es viel Live-Gesang auf der Bühne geben, weil die Schauspieler gute Sänger seien. „Zum Beispiel sei Jelena Kuljik dabei“, freut sich Andrzejewski und wechselt im Probenraum vom Schlagzeughocker zur Pianistenbank. „Das hier ist der Flügel, an dem ich alles komponiere“, sagt er stolz.

Als Musiker ist Max Andrzejewski an Abwechslung gewöhnt. Als Student in Köln besuchte er einmal einen Workshop mit dem US- Schlagzeuger John Hollenbeck, der ihn prompt einlud, nach Berlin zu kommen, wo er Professor am Jazz-Institut der UdK ist – und ebenfalls als Komponist bekannt. Andrzejewksi zögerte nicht lange, auch weil Hollenbeck extra für ihn eine Aufnahmeprüfung im Sommersemester arrangierte. Seitdem führt Andrzejewski „eine Fernbeziehung“ mit seinen Kölner Kollegen wie etwa dem Gitarristen Tobias Hofmann, der auch bei Hütte mitspielt sowie im gemeinsamen SurfsoundQuartett Expressway Sketches. „An Berlin schätze ich, dass man vieles einfach mal ausprobieren kann, einfach als Trio auftreten in einem Laden, wo 15 Leute nachher den Hut rumgehen lassen. In Köln leben auch viele großartige Musiker. Aber da spielst du nur miteinander, wenn du auch eine gemeinsame Band haben willst“, sagt der 30-Jährige, der auf seiner Website ein gutes Dutzend Alben aufführt, bei denen er in nicht weniger als sieben Bands mitgespielt hat. Die Vorbereitungen für die nächsten Aufnahmen laufen schon.

Die Leute gehen da hin

Zuvor aber stehen mehrere Konzerte mit Hütte im Kalender. Die Tournee, die bis nach Wien führt, startet in Berlin: beim XJazz Festival in der Kreuzberger Emmauskirche. „Es passt perfekt, diesen Gospel in einem Kirchenraum zu spielen“, sagt der Musiker. Anders als in kleinen Jazzclubs kann er hier den ganzen Chor präsentieren, inklusive der amerikanischen Gast-Solistin Dorrey Lin Lyles. Sie ist nicht nur Mitglied der aktuellen Weather Girls, sondern wuchs in der Gospeltradition auf. Andrzejewski erinnert sich an die erste gemeinsame Probe. „Ich war unglaublich nervös: Wie sollte ich ihr erklären, dass es zwar irgendwie Gospel ist, aber gemischt mit Free Jazz – und dann mit Texten übers Essen?“ Aber die Pastorentochter hatte Spaß am Spiel mit den Genres. Sie sei total entspannt gewesen und durch die Texte geflogen.

Auch wenn Andrzejewski von Avantgarde und Free Jazz spricht – seine Musik ist für ein breites Publikum gedacht. Deshalb ist sein Food Gospel bei XJazz gut aufgehoben. „Da schaffen es die Organisatoren, das Wort Jazz, das in vielen Köpfen schon ziemlich verstaubt ist, wieder cool zu machen“, sagt er. Dass viele junge Leute zu den Konzerten nach Kreuzberg kämen, liege auch an den Hip-Hop und Elektro-Acts im Programm. „Die Jazzpolizei schreit auf, aber die Leute gehen da hin.“ Es ist eben wie beim Kochen: Die richtige Zutatenmischung macht’s.

X-Jazz: 3.–7. Mai, verschiedene Ort in Kreuzberg. Info: www.xjazz.net. Konzert Hütte and The Homegrown Organic Gospel Choir: Emmauskirche, 6.6, 21.30 Uhr

Tobias Richtsteig

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