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Trotz allem Optimist. Stefan Simon (Jahrgang 1962) ist Chemiker und seit 2005 Leiter des kunsttechnologischen Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Kunsthäuser sind oft CO2-Schleudern: „Wir brauchen eine Klima-Taskforce für Museen“

Stefan Simon ist Nachhaltigkeits-Experte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Er sieht große Defizite – auch bei neuen Bauprojekten. Ein Gespräch.

Stefan Simon (Jahrgang 1962) ist Chemiker und seit 2005 Leiter des kunsttechnologischen Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen Berlin. 2014 wurde er für fünf Jahre beurlaubt, um das Institute for Preservation of Cultural Heritage (IPCH) an der Yale University aufzubauen. Er ist einer von 18 Unterzeichnern des Brandbriefes an den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Darin fordern viele Museen und Archive der SPK eine bessere Kommunikation und mehr Beteiligung an Entscheidungen. Gerade in Nachhaltigkeitsfragen sieht er großen Nachholbedarf bei den Staatlichen Museen.

Herr Simon, Sie setzen sich bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz für Nachhaltigkeit ein. Sind Sie ein einsamer Kämpfer?
Nein, beim Thema Nachhaltigkeit geht es inzwischen voran. So haben sich die Grünen in einem Fraktionsbeschluss Ende September einstimmig hinter die „Green Culture“ gestellt und 5 Millionen Euro für einen „Green Culture Desk“ gefordert.

Im November 2019 haben wir bereits mit anderen Experten und Museumsdirektoren in einem offenen Brief an die Kulturstaatsministerin eine zentrale Task Force gefordert. Mich stimmt hoffnungsvoll, dass Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, den European Green Deal zu einem ihrer Kernanliegen gemacht hat. Womit ich früher oft auf Unverständnis stieß, scheint inzwischen Mainstream zu sein.

Und wie steht es bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz?
Wir fordern schon lange eine Green Task Force. Dafür gibt es Unterstützung in der Leitung und engagierte Mitstreiter in allen Einrichtungen. Aber um zu wissen, worüber wir reden, müssen zunächst Basisdaten erhoben werden, zum Beispiel über den Energieverbrauch. Das kommt nur schwer in Gang.

Meinen Studierenden und PraktikantInnen macht diese Arbeit am Puls der Museen – das Ausrechnen der Energieverbräuche, des Kohlendioxidausstoßes und der dadurch entstehenden sozialen Kosten – Spaß. Aber müssten nicht unsere Kultureinrichtungen aus eigener Kraft diese Fragen beantworten können? In anderen Ländern wie Dänemark, Großbritannien oder Holland ist man uns da voraus.

Auch im Evaluierungsgutachten des Wissenschaftsrates für die Stiftung wird ökologisches Denken angemahnt. Macht Ihnen dies Hoffnung?
Ja, natürlich. Das Gutachten moniert unter anderem, dass die großen gesellschaftlichen Herausforderungen – dazu gehört der Klimawandel – nicht ausreichend im Forschungsprofil und Projekten der Stiftung abgebildet sind.

Diese Diagnose überraschte niemanden. Allerdings macht es mir ein wenig Sorgen, dass Versuche im Gange zu sein scheinen, die Strukturempfehlungen des Wissenschaftsrats zu relativieren. So hieß es im August, der Stiftungsrat „teile“ die Einschätzungen des Wissenschaftsrats; nach der letzten Pressemitteilung im Oktober soll die eingesetzte Reformkommission die Empfehlungen erst einmal nur noch „bewerten und weiterentwickeln“.

Haben Sie deshalb mit weiteren 18 MuseumsdirektorInnen einen Brandbrief an den Stiftungspräsidenten unterschrieben?
Ja, weil wir schnelle und wirksame Reformen wollen. Wir sind sicher, dass wir im Dialog mit der Öffentlichkeit, der Politik und erfahrenen Partnern zu Lösungen kommen können. Langsam scheint eine neue Kommunikationskultur zu entstehen, die alle Mitarbeiter einbezieht; das hat auch unsere Leitung erkannt.

Wie geht es weiter?
Wichtig ist, dass der überfällige Reformprozess gestartet wurde. Die Evaluierung der Forschungsleistungen der Stiftung steht noch aus. Wenn es um die Forschung geht, muss auch die Zuordnung beim Bundeskulturministerium, einem Ressort, das den Sektor Forschung nicht in seinem Beritt hat und national ausgerichtet ist, hinterfragt werden dürfen.

Die Schnittstelle von Forschung und Wissenschaft mit Kultur und Öffentlichkeit muss sich dem internationalen Wettbewerb stellen. Das Grüne Museum ist keine Ländersache, für die es im Saarland andere Antworten gibt als in Berlin.

Was schlagen Sie vor?
Bessere Kommunikation. Im Umfeld des European Green Deal besteht auf europäischer Ebene eine Arbeitsgruppe, die sich vor allem aus denkmalpflegerischer Sicht mit den Folgen von Tourismus, Urbanisierung und der nachhaltigen Nutzung von Alt- und Neubauten für das Kulturerbe beschäftigt. Die Stimmen der Museen, Bibliotheken und Archive sind noch nicht ausreichend in der Debatte vertreten.

Gerade ist der Baustart für das Museum des 20. Jahrhunderts angekündigt worden. Wie steht es dort mit der Nachhaltigkeit?
Das ist eine rhetorische Frage, richtig? Solche Großprojekte sind bauphysikalisch aus Sicht des Grünen Museums ein Alptraum. Die große Menge an „Grauer Energie“, die in den Gebäuden steckt, erscheint heutzutage fast anachronistisch.

Ebenso der Betrieb mit Klimaanlagen, die unseren Energieverbrauch in die Höhe treiben und von denen niemand weiß, wie lange sie noch zu finanzieren sind und ob diese engen Klimakorridore überhaupt zur Erhaltung der Kulturgüter notwendig sind. Den Architekten geht es vorrangig um Fragen des Designs. Sie nehmen mit Recht tolle Preise entgegen wie zuletzt für die James Simon-Galerie, aber Nachhaltigkeit spielt nicht die Rolle, die ihr zusteht – weder für die Architekten noch für die Auftraggeber und Nutzer.

Was würden Sie raten? Dass jedes Museum sich selbst den Auftrag erteilt wie am Hamburger Bahnhof, wo eine Kuratorin innovative Ideen von ihrer vorherigen Arbeitsstelle in Ludwigshafen mitgebracht hat?
Das ist natürlich toll, aber reicht nicht. Mit „Fridays for Future“ haben wir zwar erlebt, wie sich ein junges Mädchen in Stockholm vor das Parlament setzt und innerhalb weniger Monate eine globale Bewegung auslöst, ein erfolgreiches Bottom-Up-Modell.

Aber wir brauchen auch einen Top-Down-Impuls. Die Politik muss sich der Sache stärker annehmen, die Verantwortlichen in der Stiftung und den Museen, letztendlich wir alle. Bei unserer Direktorenkonferenz kommt der Tagesordnungspunkt „Grünes Museum“ zwar immer wieder auf die Agenda, fliegt aber regelmäßig wieder raus, weil etwas anderes wichtiger ist. Aber das Thema Klimawandel geht nicht weg, es bleibt nicht nur bei uns. Wir brauchen in Deutschland die Klima-Taskforce.

Die Installation "Down to Earth" im Martin Gropius Bau rückt Nachhaltigkeit in den Fokus.
Die Installation "Down to Earth" im Martin Gropius Bau rückt Nachhaltigkeit in den Fokus.

© Courtesy of the Artist

Müsste nicht die Nachhaltigkeit gerade ein Verkaufsargument für die Museen sein? Schließlich wird in ihnen verhandelt, was für die Gesellschaft relevant ist, sie sind Vorbild.
Naja, eigentlich befinden sich Museen mit ihrer Kernaufgabe des Sammelns in einem permanenten Konflikt mit dem Nachhaltigkeitskonzept. Das Wachsen der Sammlungen hat Auswirkungen für die Ressourcen zukünftiger Generationen. Museumsneubauten brauchen Jahrzehnte, selbst wenn sie extrem klimafreundlich gebaut sind, bis sie mit Altbauten in ihrer Ökobilanz gleichziehen.

Auf der anderen Seite ist den Museen die Nachhaltigkeit ins Programm geschrieben: Ihre Aufgabe ist es zu bewahren. Dabei auch die Umwelt im Blick zu haben, erscheint mir wie eine natürliche Erweiterung der primären Funktion von Museen, ihre Sammlungen gut durch die Zeit zu bringen.

Wie können sich die Museen den Zeichen der Zeit stellen?
Das Naturkundemuseum ist ein gutes Beispiel. Es hat die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „Fridays for Future“ freitags kostenlos ins Museum gelassen, um mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über den Klimawandel zu diskutieren. Dafür gäbe es auch bei der SPK kompetente Gesprächspartnerinnen – in unseren Sammlungen, Bibliotheken und Archiven.

Schon im Alten Ägypten hatten klimatische Veränderungen gesellschaftliche Auswirkungen, über die man vor den Objekten diskutieren kann. Die in den Häusern versammelte Expertise ist ein großer Schatz. Die Objekte sind wertvoll, aber erst die Archäologen, Ethnologen, Kuratoren und Restauratoren und auch die Forscher von draußen, unsere Besucher und Kritiker, erwecken sie aus ihrem Schlaf und lassen sie ihre Geschichten erzählen.

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Auch Corona hat Anstöße gegeben. Das Reisen musste eingeschränkt werden, was weniger Leihverkehr bedeutete.
Zugleich gab es weniger Publikum, ein globales Problem. Die Besucherzahlen sind weltweit um etwa drei Viertel eingebrochen – weil die Touristen ausblieben. In die gesamtheitliche Betrachtung unseres ökologischen Fußabdrucks gehören nicht nur die Reisen der Kuriere und Objekte, sondern auch der Besucher.

In die Rechnung gehen ganz vorne die Klimaanlagen ein. Mit Restauratoren wurde lange gestritten, welche Feuchte- und Temperaturschwankungen den Objekten zuzumuten sind. Gibt es Annäherungen?
Ja, die präventive Konservierung wird immer mehr als ein Prozess erkannt, der in Zyklen verläuft und kein regelbasiertes Protokoll ist, das man einmal für alle Zeiten aufstellt. Am Anfang der Debatte sollte immer die Frage nach den Werten stehen.

Vielfach wird davon ausgegangen, dass sie klar sind: die Einkaufspreise, Versicherungssummen. Die sozialen, historischen, ästhetischen, wissenschaftlichen Werte werden nicht angemessen berücksichtigt. Erst nach Erstellung einer Rangliste können dann Entscheidungen im Risikomanagement getroffen werden.

Könnte das bedeuten, dass der Erhalt eines Werks nachrangig ist, wenn man dessen sozialen Wert höher einschätzt?
Ja, bei einem Aquarell beispielsweise lässt sich ausrechnen, wie lange es bei Beleuchtung mit einer bestimmten Intensität seine Farbigkeit behält. Mit hohen Lichtdosen bestrahlt, könnte es jeder gut sehen, es wäre aber nach einigen Jahren vielleicht ausgeblichen. Man muss also abwägen, was man für zukünftige Generationen bewahren will.

Diese Entscheidungen werden bislang selten auf der Basis belastbare Daten getroffen. In meinem Alter sehe ich das Aquarell bei der aus konservatorischen Gründen üblichen Beleuchtungsstärke von 50 Lux nicht mehr gut. Man könnte einen Seniorennachmittag einführen, mit 200 Lux Beleuchtung für zwei Stunden. Am nächsten Vormittag könnte dafür die Beleuchtung verringert werden. An der Schadenssituation ändert das wenig, denn für den Verlauf der Ausbleichung zählt nur der kumulative Wert der Lux-Stunden.

Wie hoch ist denn der Verbrauch bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz?
Unser Energieverbrauch lag 2019 bei etwa 70 Millionen Kilowatt-Stunden, über die letzten Jahre konstant, in einigen Häusern sogar ein wenig ansteigend. Das gilt nur für den Betrieb: Heizung, Strom, Fernwärme, -kälte. Das entspricht 30 000 Tonnen CO2 beziehungsweise 120 000 Flügen zwischen Zürich und London oder 150 Millionen gefahrenen Autobahnkilometern.

Lässt sich das weiter beziffern?
2014 führte die Yale Universität die „Carbon Charge“ ein, um den CO2-Ausstoß zu errechnen und die sozialen Kosten zu bepreisen. Die Yale „Carbon Charge“ geht von 40 Dollar sozialer Kosten pro Tonne CO2 aus. In Europa liegen diese Zahlen teilweise deutlich höher, in der Schweiz zum Beispiel bei 86 Euro. Damit verursachen die Staatlichen Museen durch ihren Energieverbrauch soziale Kosten in der Höhe von 1,2 bis 2,6 Millionen Euro pro Jahr, die in einer entsprechenden CO2-Abgabe aufgefangen werden könnten.

Würde ich unserem Haushaltschef sagen, er müsste diese Summe in den Haushalt einpreisen, wäre er wohl nicht begeistert. Bislang zahlen wir klaglos große Summen für den Bau und Betrieb von Klimaanlagen. Aber wer fragt sich, ob das Geld nicht besser ausgegeben wäre für die Weiterbildung unsere Kollegen, neue Stellen oder Ankäufe?

Die Tate London will zehn Prozent ihrer CO2-Emissionen bis 2023 einsparen. Das Arts Council, das Lotto-Einnahmen an Kulturinstitutionen verteilt, droht Einrichtungen mit Budgetkürzung, welche die Klimaziele verfehlen. Wäre das ein Modell auch für deutsche Museen?
Sicherlich. Zumindest die Einführung einer Kohlendioxidabgabe sollte kommen. Zehn Prozent sind mehr als nur ein erster Schritt. Im Vergleich mit den nordamerikanischen Museen schneiden wir in Deutschland zwar gut ab, da sie zum großen Teil vollklimatisiert sind, aber im Vergleich mit Dänemark und beispielsweise dem dortigen Niedrig-Energie-Depot des Nationalmuseums in Vejle fallen wir zurück. Der energetische Vorteil alter Museen besteht oft darin, dass sie nicht klimatisiert sind.

Je neuer Museen sind, desto schlechter fällt häufig die Bilanz aus, auch weil immer mehr Bereiche vollklimatisiert werden. All diese Klimaanlagen können aber nicht weiter so betrieben werden wie in den letzten 50 Jahren. Viele Ressourcen wachsen nicht nach. Wir müssen mit ihnen so sorgsam umgehen wie mit dem uns anvertrauten Kunst- und Kulturgut.

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