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Bruchpilot für die gute Sache. Daniel Craig als James Bond.

© Sony

"Spectre" - der neue James Bond: Der Feind im eigenen Haus

Daniel Craig mag nicht mehr recht, und hat James Bond selber noch eine Zukunft? "Spectre", Bond Nr. 24, trägt alle Anzeichen eines Finales.

Wenn Branchenprofis nach der Besichtigung schlechter Filme von deren Machern dringlichst um ein - möglichst positives - Urteil gebeten werden, dann loben sie die Musik. In Sachen „Spectre“ wird dieses uralte Gesetz derzeit weltweit genüsslich gebrochen. Das von dem 23-jährigen Sam Smith dahingejammerte Lied „Writing’s on the Wall“ gilt längst, da sind sich die Kritiker einig, als der schauerlichste Bond-Song seit Menschengedenken. Und auch die von Thomas Newman komponierte Filmmusik beeindruckt, wo nicht störend, vor allem durch ihre markerschütternde Belanglosigkeit.

Derlei Verrisse sind als gutes Omen zu werten: Denn wenn die Musik derart flächendeckend nicht gelobt wird, sollte da nicht der Rest ganz ausgezeichnet sein? Tatsächlich schließt „Spectre“ thematisch, atmosphärisch und personell bis in Nebenrollen hinein an den phänomenalen Welterfolg von „Skyfall“ (2012) an, bei dem sogar die Begeisterung für den wuchtigen, von Adele dargebotenen Titelsong nicht geheuchelt war.

Darüber hinaus treibt „Spectre“, im Zusammenbinden dramaturgischer Elemente aus den Vorgängerfilmen und in der weiteren psychologischen Ausfeilung nicht nur der Titelfigur, die Möglichkeiten des Genres auf die Spitze - - und wagt sich sogar darüber hinaus. Ja, dieser 24. Bondfilm in nunmehr 53 Jahren trägt alle Anzeichen eines grand finale. Jenseits davon gibt es, wenn es denn etwas gibt, nur den radikalen Neuanfang.

Der Thrill ist da, und nicht zu knapp

Sehr behutsam, dann aber umso durchdringender verfestigt sich dieser Eindruck beim Sehen des zweieinhalbstündigen Films. Anfangs überwältigt – und verführt – er sein Publikum mit den vertrauten Insignien des Action-Subgenres namens Bond, James Bond. Atemberaubend bereits die in Mexico City spielende, in einer langen Einstellung beginnende erste Szene: Bond alias Daniel Craig erledigt, als Bazooka-Sniper, von einem Hausdach aus einen bösen Syndikats-Abteilungsleiter im Gebäude gegenüber, entgeht einstürzenden Fassadenmassen und kämpft minutenlang in einem über dem Hauptplatz Zócalo taumelnden Hubschrauber mit zwei Finsterlingen.

Hoffentlich haben die Filmemacher ihre dort zum folkloristischen „Tag der Toten“ versammelten 1500 Statisten zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefährdet.

Wer ist mein Gegenspieler? Daniel Craig als James Bond in "Spectre".
Wer ist mein Gegenspieler? Daniel Craig als James Bond in "Spectre".

© Sony

Der Thrill also ist vorhanden, nicht zu knapp, von Anfang an. Auch sonst alles scheinbar wie gewohnt: Zwei Bond-Girls, die mexikanische Schauspielerin Stephanie Sigman und Monica Bellucci, haben ihre Kurzauftritte. Auch MI6-Chef M (Ralph Fiennes), seine Assistentin Moneypenny (Naomie Harris) und Techniktüftler Q (Ben Wishaw), allesamt in diesen Rollen annonciert bzw. neubesetzt in „Skyfall“, sind wieder zur Stelle.

Den Job des weltbedrohenden Oberbösewichts hat, nach Javier Bardems eher albernem als gruseligem Gastspiel, diesmal Christoph Waltz übernommen, erst als imposante Schattenspielfigur mit geläufig kultivierter Sadistenstimme, dann kalt ausgeleuchtet in einem Folterstudio, das man sich als signifikant missglückte Zahnarztpraxis vorstellen darf. Patient Craig sitzt festgeschnallt auf einer Art elektrischem Stuhl, und die von Doktor Waltz ferngesteuerten Spritzen zielen statt auf Molarenwurzelspitzen vorzugsweise auf Schläfenlappen und Halsschlagader.

Der Geheimdienst denkt weltinnenpolitisch

Schon zu viel verraten? Ganz ohne Details kommt nicht aus, wer sich mit „Spectre“ jenseits eines puren Teaser-Textes auseinandersetzen will. Auch der dramaturgische Anschluss an „Skyfall“ erscheint zunächst geschmeidig. Die definitive Ausmusterung des obsolet gewordenen und schon in der Vergangenheit zu oft eigenmächtig handelnden Agenten 007 rückt noch näher, zumal die Briten zumindest auf Spionageniveau längst weltinnenpolitisch denken: Mit dem MI6 und dem MI5 sollen der Auslands- und der Inlandsgeheimdienst endgültig zusammengelegt werden.

Derlei geht auch im sicherheitssensiblen Bereich nicht ohne betriebsbedingte Kündigungen ab, die in „Spectre“ der höchst unangenehme neue Vorgesetzte C (Andrew Scott) verkündet. Die Gefahr für die Guten geht in „Spectre“ kaum mehr von außen, sondern überwiegend von oben aus, vom eigenen Apparat. Aber kann, wer die Guten torpediert, noch gut sein, selbst wenn es um höhere Ziele zu gehen scheint?

In „Spectre“ kommt das uralte ideologische Gebäude - basierend auf dem Weltmächte-Antagonismus, der allenfalls von einem superreichen Spinner herausgefordert wird - endgültig zum Einsturz. So unübersichtlich die Verhältnisse, so flexibel sind die Fronten; und dem Weltenretter Daniel Craig bleibt nur der Rückhalt weniger Getreuer.

Ungeachtet rasanter Verfolgungsjagden durchs nächtliche Rom, bei denen kein historischer Stein zu Schaden gekommen sein soll, abseits auch von spektakulären Schneeschlachten in den österreichischen Alpen oder Nahkampfszenen in marokkanischen Güterwaggons stellt sich da die Grundsatzfrage, ob das Weitermachen noch lohnt.

Kein Wunder, Daniel Craig hat den Bond-Burnout

Daniel Craig und Regisseur Sam Mendes haben sie zumindest für sich in Interviews vorab beantwortet - und auch im aktuellen Promotion-Rummel rund um den weltweiten Filmstart nur unwesentlich abgemildert. Craig, zwar noch für einen weiteren, fünften Film in der Pflicht, macht aus seinem Bond-Burn-out keinen Hehl – schließlich hat diese übergroße Figur noch jeden ihrer Darsteller verschlungen. Zugleich aber löst sich, auch innerfilmisch, sein Action-Held immer mehr zugunsten eines echten Charakters auf.

Nicht nur wird die in „Skyfall“ bereits skizzierte brüchige Bond-Kindheit weiter ausgemalt, auch tritt mit Léa Seydoux als Madeleine Swann – ein Proust’sches Déjà-vu? – nicht nur eine der üblichen Gespielinnen, sondern eine echte Partnerin auf den Plan. Mit anderen Worten, in Bonds Leben. Wer aber lebt, hat gelitten, will lieben, muss eines Tages sterben - das ganze Programm. Viel zu viel für einen Kino-Killer, und agierte er noch so sehr für die gute Sache.

Das wird knapp. James Bond (Daniel Craig) in Nöten.
Das wird knapp. James Bond (Daniel Craig) in Nöten.

© Sony

Diese Individualentwicklung ist für Bond nicht ganz neu, auch manche thematische Verknüpfung mit früheren Filmen wirkt in „Spectre“ verblüffend vollendet, ja, auf eine Reihe von Schlussakkorden hinkomponiert. Als sei das immer wieder frisch erfundene Böse bloß der neue Arm eines Kraken namens Kartell gewesen. Hinzu kommt, dass Bond seinen entscheidenden Kampf, den der Science-Fiction-Fantasie gegen die Wirklichkeit, inzwischen endgültig zu verlieren droht. Wozu sich noch vor den guten alten Horror-Erfindungen gruseln, wenn man genauso gut – oder: viel schlimmer – stattdessen die Nachrichten gucken kann?

Die Wirklichkeit schlägt die Science Fiction

Tatsächlich löst ein Szenario, in dem sich die Geheimdienste dieses Planeten gegen die Völker verbünden und renitente Staaten mal eben mit einem Terroranschlag zur Räson bringen, im Zeitalter der Totalüberwachung durch NSA und GCHQ nur ein müdes Lächeln aus. Und wie originell ist der Zynismus eines datensammelwütigen Weltzerstörers gegenüber einem Sarkasmus, der eine Armee ohne Hoheitszeichen in ein reales europäisches Land einfallen lässt oder syrische Zivilisten unter einem vorgeschobenen humanitären Vorwand bombardiert? Und warum kommt einem angesichts einer Szene, in der Bond einen Superbösewicht zu seinen Füßen verschont, als Erstes in der Sinn: Ein Glück, dass Bond kein enthauptungswütiger IS-Schlächter ist, sondern letztlich im Auftrag einer uralten Demokratie handelt, zumindest auf Drehbuchpapier?

Keine Frage, dieser Mythos hat sich auserzählt, und die Realität gibt ihm den Rest. Und so sehr die fast cliffhangerfreie Choreografie des imponierend unalbernen Schlussbildes diese Vermutung zu bestätigen scheint, so sicher läuft „Spectre“ doch auf Bond Nr. 25 zu. Der Kapitalismus füttert seine Cash-Cows, so lange sie Milch geben – und so lange etwa Handyhersteller Millionen springen lassen, damit Daniel Craig ein Gerät ihrer Hausmarke benutzt oder gar ganze Staaten für ihre Imagepflege Dollars im kleineren zweistelligen Millionenbereich in die Hand nehmen, bleibt zumindest die ökonomische Bond-Zukunft rosig - ob mit Daniel Craig oder auch einer lesbischen Afrobritin als neuer Marke Jane Bond, wie Ex-Bond-Girl Diana Rigg unlängst anregte. Nur der wundersame Krake namens Seele, auf den die Macher sich eingelassen haben, ist mit dem Format nicht kompatibel.

"Spectre" kommt am Donnerstag, 5. November, in die Kinos.

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