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Das französische Drama "Le Redoutable" erzählt von niemand Geringerem Jean-Luc Godard (Louis Garell) und seiner Liebesbeziehung zur Schauspielerin Anne Wiazemsky (Stacy Martin). Regisseur Michel Hazanavicius hatte für seinen Cannes-Beitrag "The Artist" 2011 den Oscar gewonnen.

© Les Compagnons du Cinéma - Photo Philippe Aubry

Cannes Journal 2017 (4): Etwas stimmt an diesem Jahrgang nicht

Begeisternde Filme sind bisher Mangelware bei den 70. Filmfestspielen in Cannes. Nach dem enttäuschenden Eröffnungsfilm hat „Le Redoutable“ die Latte noch tiefer gelegt.

Von Andreas Busche

Wie feiert ein Filmfestival standesgemäß seinen 70. Geburtstag? Die Antwort liegt auf der Hand: Man schenkt sich selbst einen überzeugenden Wettbewerb, der die erwartbaren Größen des Weltkinos mit hoffnungsvollen Talenten zusammenbringt – und leistet sich dazu ein paar Überraschungen, die die Konkurrenz mit Freshness aufwerten. Nach vier Tagen muss man allerdings konstatieren, dass der Wettbewerb von Cannes derzeit weit von solchen Ansprüchen entfernt ist. Das Festival lässt sich mühsam an, begeisternde Filme sind Mangelware. Todd Haynes’ „Wonderstruck“ und Ruben Östlands „The Square" waren bisher die einzig überzeugenden Filme, daneben besitzt nur noch Robin Campillos Drama „120 Battements par minute“ über den französischen Anti-AIDS-Aktivismus in den achtziger Jahren eine eigene filmische Idee. Noch ist es zu früh für eine Zwischenbilanz: Michael Haneke, Sofia Coppola, Yorgos Lanthimos, Fatih Akin und Lynne Ramsay werden ihre neuen Filme noch präsentieren. Aber etwas stimmt an diesem Jahrgang nicht, was sich am besten an zwei französischen Wettbewerbsbeiträgen belegen lässt.

Nach dem schwachen Eröffnungsfilm „Les Fantômes d’Ismaël“ legt Oscar-Preisträger Michel Hazanavicius mit „Le Redoutable“ die Latte noch einmal deutlich tiefer. Der Regisseur der Stummfilm-Hommage „The Artist“ hat ein Faible für historische Kinoformen. Diesmal erweist er Jean-Luc Godard die Ehre, die allerdings äußerst zweifelhaft ausfällt. „Le Redoutable“ handelt von jenem Moment vor 50 Jahren, in dem der Begründer der Nouvelle Vague dem Kino abschwor und sich dem Maoismus zuwandte: Sein erster Film dieser neuen Werkphase, „La Chinoise“, kam seinerzeit weder bei Kritikern noch bei kommunistischen Kadern gut an. Godard, gespielt von Louis Garrel, befindet sich in „Le Redoutable“ also in einer handfesten persönlichen und künstlerischen Krise, eine Tatsache, die Hazanavicius auf dem Niveau einer Boulevardkomödie erzählt.

Dass die Figur Godard ohne jeden Ansatz von Skurrilität oder gar Charme zwischen Vollidiot und unerträglichem Arschloch in Szene gesetzt wird, ist dabei sogar nur halb so ärgerlich wie die Tatsache, dass der Film überhaupt kein Interesse für Godards Ideen in jenen Jahren entwickelt. Ansätze einer politischen Diskussion und sein aufkeimender Antisemitismus werden für billige Kalauer geopfert, Godards muss zwischen protestierenden Studenten ständig seine Brille verlieren, auch die Filme selbst sind nicht mehr als ästhetischer Zierrat – wobei sich Hazanavicius fast trotzig an jener Phase abarbeitet, von der Godard sich im Film lautstark distanziert.

Wegen seiner lieblosen Boshaftigkeit funktioniert „Le Redoutable“ nicht einmal als Hommage. Die Gründe, den Film dennoch in den Wettbewerb aufzunehmen, haben offensichtlich weniger mit seinen Qualitäten als vielmehr mit Kalkül zu tun. Vor 50 Jahren, im Zuge der wachsenden Studentenproteste, wurden die Filmfestspiele nicht zuletzt aufgrund von Godards politischen Interventionen abgesagt, was in „Le Redoutable“ ausgiebig und mit ausgestellter Ironie thematisiert wird. Es ist eine seltsame Art, sich selbst und das französische Kino zum Jubiläum zu feiern. Das Festival hat sich damit einen Bärendienst erwiesen. Eine Entscheidung, die umso unverständlicher ist, als die neuen Filme von Claire Denis, Bruno Dumont und Philippe Garrel nur in Nebensektionen gezeigt werden.

Eine sympathischere Art der Ehrerbietung zeigt Hong Sang-soo mit seiner Komödie „Claires Kamera“, die der koreanische Regisseur im vergangenen Jahr während der Filmfestspiele gedreht hat. Der Film, der außer Konkurrenz gezeigt wird, ist nicht mehr als eine tragikomische Fingerübung mit Isabelle Huppert und Kim Min-hee in den Hauptrollen, doch in seinen kleinen Gesten steckt eine anrührende menschliche Größe.

Wie immer bei Hong handelt es sich um beiläufig inszenierte Vignetten über Beziehungen, das Kino und das Saufen, erzählt mit lakonischer Leichtigkeit. „Claires Kamera“ funktioniert dabei, im Gegensatz zu „Le Redoutable“, wie kluges Product Placement. Die Filmfestspiele sind gegenwärtig, drängen sich aber nie in den Vordergrund.

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