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Kindle

© dpa

E-Books: Die Selfpublishing-Branche boomt. Einige verdienen prächtig, die Mehrheit wenige Euro im Monat.

Ein Königreich für einen Verlag! Früher fürchteten sich Autoren vor der Macht des Lektors. Jetzt publizieren sie selber.

In gewisser Weise ist Hanni Münzer geradezu die Inkarnation der E-Book-Autorin: weiblich, Ende vierzig, bevorzugte Genres Liebesromane, Thriller und historische Stoffe. Nur beim Verdienst fällt sie ein wenig aus dem Rahmen. Denn während durchschnittliche „Indies“, wie sich E-Book-Autoren auch gern selbst nennen, von dem Ertrag ihrer Arbeit eher nicht leben können, ist es bei Hanni Münzer ein bisschen anders.

Über 150 000 E-Books und rund 9000 Taschenbücher hat sie von ihrem aktuellen Roman „Honigtot“ bereits verkauft und damit 73 Tage lang die Kindle E-Books-Beststellerliste angeführt. Zur Zeit rangiert sie auf Platz vier, tummelt sich aber schon rekordverdächtige 181 Tage in den Top 100. Der Download ihrer Bücher auf Amazon kostet zwischen 2,99 und 3,99 Euro, davon bekommt sie 70 Prozent. Das sind über 320 000 Euro, nur für die E-Book-Ausgabe von „Honigtot“ und allein in diesem Jahr. Die Einnahmen für die Taschenbuchausgabe sind noch nicht mitgerechnet.

Münzer gehört zu jenem Phänomen, das seit drei Jahren die Verlags- und Buchbranche in Aufregung versetzt: Menschen, die jahrelang in ihren stillen Kämmerlein Romane geschrieben, immer wieder an Verlage geschickt und von allen Absagen bekommen haben.

Dann brachte Amazon im Frühjahr 2011 sein Kindle Direct Publishing (KDP) auf den deutschen Markt, und eine neue Zeitrechnung begann. Seitdem kann jeder mit wenig Aufwand und geringen Kosten seine Werke hochladen und einem größeren Publikum zugänglich machen. Und das schien nur darauf gewartet zu haben. Zwar gab es bereits vorher ähnliche Plattformen wie zum Beispiel Beam E-Books, Xinxii oder Bookrix. Auch die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck brachte bereits 2008 seine Selfpublishing-Plattform epubli auf den Markt.

Doch erst KDP sorgte für den nötigen Schub, hatte es doch auch die Leser mit im Gepäck. Denn die Reader wurden zwar zu hunderttausenden verkauft, es gab anfangs aber kaum was zu lesen. Da kamen die selbstgeschriebenen Bücher unbekannter Hobby-Autoren, die man sich für Beträge zwischen einem und fünf Euro auf sein Kindle laden konnte, gerade recht.

So avancierten viele der Autoren der ersten Stunde, sofern ihre Veröffentlichungen denn lesbar waren, zu Stars und verdienten schlagartig viel Geld.

Auch Hanni Münzer lud Ende Januar 2013 eher versuchsweise ihr zehn Jahre altes Manuskript „Der Seelenfischer“ auf KDP hoch. Kurze Zeit später konnte sie ihren Job bei einer Autovermietung kündigen und widmet sich jetzt nur noch dem Schreiben. Vier weitere E-Books hat sie seitdem veröffentlicht und insgesamt fast 300 000-mal verkauft. Zur Zeit arbeitet sie an Roman Nummer sechs.

Der 7. Tag

Noch erfolgreicher sind die Berliner Nika Lubitsch und Jonas Winner. Lubitsch stieß 2012 mit ihrem ersten Krimi „Der 7. Tag“ mal eben „Shades of Grey“ (ebenfalls ein E-Book-Kind) vom Kindle-Thron und verkauft schätzungsweise 40 000 Downloads – pro Monat. Die Filmrechte hat sich bereits Produzent Oliver Berben gesichert. Jonas Winner lud 2011 eine im Berliner Gothic-Milieu spielende Geschichte hoch; mittlerweile ist daraus eine siebenteilige Serie entstanden, und der Knaur Verlag hat Jonas Winner unter Vertrag genommen. Seit dem vergangenen Jahr erscheinen seine E-Books auch auf dem amerikanischen Markt. Im September kürte das German Book Office New York die englische Ausgabe von „Berlin Gothic“ zum Buch des Monats.

Doch das sind Ausnahmen. Nach einer aktuellen Studie des Journalisten und E-Book-Bestseller-Autors Matthias Matting, für die er Anfang des Jahres 851 deutsche Selfpublisher befragt hat, verdient der größte Teil – nämlich 45 Prozent - weniger als 50 Euro im Monat. Zehn Prozent nehmen 50 bis 100 Euro ein, nur 6,5 Prozent bringen es auf mehr als 2000 Euro, davon die Hälfte aber immerhin auf über 5000 Euro. Aber: 49 der befragten 851 Teilnehmer waren schon mal an der Spitze der Amazon-Bestsellerliste und jeder Dritte schon mal in den Top 100.

„Durch die Möglichkeit, für umsonst oder wenig Geld seine eigenen Werke online zu veröffentlichen, ist eine neue Branche entstanden“, sagt Ruprecht Frieling, der unter anderem Ratgeber über erfolgreiches Selfpublishing schreibt. Dadurch sei auch eine Schranke gefallen. „Man braucht kein Geld und nicht das Wohlgefallen von Verlagen. Jeder kann was raushauen, hunderttausende stellen ihre eigenen Bücher online. Das hat eine große Dynamik ausgelöst.“

Die Zahlen von Matting bestätigen das. Der Anteil von jungen Leuten ist von 2013 auf 2014 auf mehr als das Doppelte gestiegen, auch die Hauptschüler holen auf. Ihr Anteil, der 2013 bei nur 1,5 Prozent lag, ist 2014 bereits über vier Prozent.

Dafür sinkt die Zahl derjenigen, die sich schon mal bei einem oder mehreren Verlagen beworben haben. Waren es 2013 noch über 67 Prozent, hatten sich 2014 nur noch 60 Prozent die Mühe gemacht. Die Zahl derer, die sich noch nie bei einem Verlag beworben haben, stieg von 25 auf 34 Prozent. Daraus könnte man folgern, dass Verlage immer unwichtiger werden. Dem ist aber nicht so. Denn fragt man E-Book-Autoren, ob sie denn prinzipiell auch gern in einem „richtigen“ Verlag veröffentlichen würden, antworten 80 Prozent mit „Ja – sofern die Bedingungen stimmen“. Auch Frieling glaubt nicht, dass Verlage in absehbarer Zeit vom Markt verschwinden werden, „aber Funktion und Arbeit verändern sich sehr stark“, sagt er. „Verlage befinden sich gezwungenermaßen in einem Umdenkungsprozess: raus aus dem Wolkenkuckucksheim und hinaus auf die Straße. Sie sind nicht mehr die alleinigen Torwächter und Entscheider darüber, wer schreiben kann und wer nicht. Das entscheidet jetzt die Leserschaft.“

So investieren immer mehr Verlage in eigene Selfpublisher-Plattformen, um ein Stück vom Boom zu ergattern: Droemer Knaur und Rowohlt in Neobooks, Holtzbrinck in epubli, Bastei Lübbe in BookRix. Der erste war übrigens der Zwischenbuchhändler Libri, der bereits 2001 Books on Demand (BoD) gegründet hat. Andere bekannte, verlagsunabhängige Publisher-Angebote heißen Xinxii, Tredition, Beam, Feiyr oder Wattpad mit Sitz in Toronto. Auf der kanadischen Plattform entstehen die Werke quasi in Echtzeit und können direkt von den Lesern kommentiert werden.

Amazon ist mit seinem KDP, vor allem durch die hohen Autorenerträge, zwar mit großem Abstand Marktführer (Schätzungen liegen bei 75 bis 80 Prozent), hat aber den Nachteil, dass Amazon-Autoren auch nur bei Amazon verkauft werden, während andere Plattformen wie epubli längst mit vielen anderen Anbietern zusammenarbeiten. „Für Autoren, die wirklich Bücher verkaufen wollen, machen nur Lösungen Sinn, mit denen sie die ganze Breite des Marktes erreichen“, sagte epubli-Geschäftsführer Jörg Dörnemann vor Kurzem in einem Interview. „Wir sehen ja jeden Tag, dass Tolino, Google, Apple, Kobo und Co. mindestens so viele E-Books verkaufen wie Amazon“, weshalb Autoren „überall dort sein müssen, wo ihre Leser Bücher kaufen wollen – und das ist längst nicht nur Amazon, im Gegenteil!“

Wildwuchs-Szene

Im Umfeld der Selbstvermarkter entstehen derweil neue Geschäftsmöglichkeiten. Die anfängliche Wildwuchs-Szene ist auf dem Weg, sich zu professionalisieren. Es gibt zahlreiche Ratgeber und Regeln, die Ansprüche an die Qualität der Werke wachsen – auch bei den Autoren selbst. Sie engagieren Lektoren für ihre Texte, Grafiker für ihre Cover und auch immer öfter Agenten, die ihre Rechte vertreten. So kommen beispielsweise von den knapp 130 Autoren, die die Münchner Literaturagentin Lianne Kolf betreut, allein 60 aus dem Selfpublisher-Bereich. Im Vergleich zur Gesamtzahl, sagt Kolf seien es zwar immer noch wenig, die Tendenz sei aber steigend.

Auch Hanni Münzer lässt sich von Lianne Kolf vertreten. Und zwar bereits seit 2006, als alle Verlage noch ihre Bücher verschmähten. Jetzt wird sie von ihnen umgarnt. Die ersten Angebote hat sie jedoch alle abgelehnt, weil sie ihre E-Book-Rechte nicht verkaufen möchte. „E-Book-Rechte sind sehr begehrt, weil Verlage daran am meisten verdienen“, sagt sie. „Die wollen natürlich am liebsten ein fertiges und schon erprobt erfolgreiches Buch mit allen Rechten kaufen: Buchrechte, E-Book-, Film- und Hörbuchrechte. Nach Abzug aller Provisionen und Steuern bleiben dem Autor bei einem Taschenbuchpreis von 9,90 Euro am Ende keine 45 Cent brutto übrig.“ Trotzdem verhandelt ihre Agentin gerade wieder mit einem Verlag. Denn: „Sein Buch gedruckt im Buchhandel zu sehen, ist schon verlockend.“

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Geschätzte 75 000 Selbstverleger gibt es derzeit in Deutschland, eine Branche, die rasant wächst. Dabei setzt das Selbstverlegen eine Menge Know-how voraus, es ist kein Selbstläufer, der Wettbewerb auch unter den Plattformen ist groß. Längst gibt es Ratgeber für ein möglichst erfolgreiches „Selfpublishing“. Die Branche beginnt sich zu professionalisieren, schon wird für den zweiten „Self-Publishing-Day“ in Münster getrommelt. Die Teilnehmer erwarten nicht nur Workshops zum Handwerk wie aussagekräftige Cover und Klappentext, sondern auch zum Buchmarketing, zu wirksamen PR-Strategien und zur Bedeutung sozialer Medien. Tsp

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