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Auf ihn mit Gebrüll: Hebamme Marthe (Ruby O. Fee) greift den bösen Ritter Randolf (Sabin Tambrea) an.

© ARD Degeto/Bavaria/Roland Suso R

Film von Roland Suso Richter: Die Marthe-Passion

„Das Geheimnis der Hebamme“ hat ein großes Problem: Der ARD-Film hat kein Geheimnis.

Gott würfelt nicht, der Fernsehgott schon. Er hat mit einem zufälligen Wurf die vorösterliche Zeit zum Festival einer intelligenten Schurkerei gemacht. Der deutsch-rumänische Schauspieler Sabin Tambrea betritt kurz nach „Ku'damm 56“ erneut die Fernsehbühne und erweist sich als Ass im Fach Aas.

Ritter Randolf von Muldenstein heißt Tambreas neue Rolle in dem von Roland Suso Richter („Dresden“) inszenierten Epos über die mittelalterliche Besiedlung des deutschen Ostens unter dem Titel „Das Geheimnis der Hebamme“. Randy Randolf ist Vasall am Hof des Markgrafen Otto von Wettin (Franz Xaver Kroetz).

Er vergewaltigt – wie er es am Ku'damm tat – die Heldin. Hier anno 1167 die Hebamme Marthe (Ruby O. Fee). Er glüht bei seinen zahlreichen Missetaten vor gekränkter Eitelkeit. Im neuen Film kann er sich nicht mal wie zu Berlin auf existentialistische Geworfenheit à la Camus und Sartre berufen. Ein reueloser Fürst der Finsternis, raffiniert und sehenswert gespielt. Das Böse hat ein Engelsgesicht.

Figuren wie aus der Gutmenschenfabrik

Solche dämonische Intensität hätte den anderen Darstellern gut getan. Aber sie können sich nicht gegen die Schlichtheit der Vorlage der in Leipzig ansässigen Journalistin Sabine Ebert durchsetzen. Mag ja alles detailversessen recherchiert sein, was da in dem inzwischen auf fünf Bände angeschwollenen Hebammen-Konvolut erzählt wird und 2,5 Millionen Leser erreicht hat, aber die Marthe-Passion klingt doch sehr nach jetzt, blind für den verfremdenden Zauber einer fernen Epoche, ohne Sinn für Geheimnisse.

Besonders die Guten sind durchschaubare Projektionen von heute ins mittelalterliche Gestern. Sie bringen Mehltau in die Story. Figuren wie aus der Gutmenschenfabrik. Der Ritter Christian (Steve Windolf) wird als Ritteraussteiger eingeführt. Er hat, findet er, genug für seinen Herrn gekämpft, jetzt ist Nachhaltigkeit sein neues Ziel: mit seiner Gefolgschaft Sachsen besiedeln, ehrlich ackern und rackern und nicht mehr in aristokratischen Müßiggang die Niederen ausbeuten. Schwerter zu Pflugscharen, Runkelrüben statt Dünkelblüten. Der Schulfunk gähnt, das Bürgertum zieht historisch herauf.

Sich dem Wahnsinn des Mittelalters auszuliefern, moderne Gewissheiten zu riskieren, Glaubensfeuer lodern, sich von mystischem Furor überwältigen lassen, traut sich das heutige Mittelalter-Unterhaltungsgewerbe nicht. Unsere scheinbar alternativlose Gegenwart sucht in der Vergangenheit immer nur die Selbstbestätigung. Siegerpose statt Staunen.

Marthe, das Naturtalent

Dazu passt die Erfindung der Figur Marthe. Sie erscheint wie eine Vorläuferin der alternativen Medizin. Respektlos gegenüber der mittelalterlichen Gelehrsamkeit (zugegeben, sie war überschaubar) fuhrwerkt das Mädchen als Naturtalent im Hebammendienst. Sie ist, na klar, ganzheitlich orientiert: Beinweh rührt vom kaputten Rücken her, heilende Hände sind so wichtig wie heilende Kräuter und Wurzeln. Aber ganz ins Heute will die Vorlage die grün-gute Marthe nicht entlassen. Erinnerungsblitze erzählen von traumatischen Erlebnissen aus der Kindheit der wortkargen Frau.

Alternativ selbstbewusst einerseits, vom Aberglauben determiniert andererseits, kein Wunder, dass die junge Marthe-Darstellerin Ruby O. Fee („Die schwarzen Brüder“) an dieser widersprüchlichen Rollenkonstruktion scheitert. Meist stumm huscht sie durch die Szenen, ihr Minenspiel bleibt verhangen, man weiß nie sicher, ob sie sich freut oder gerade auf Flucht sinnt.

Nach einer Totgeburt, die Marthe als hinzugezogene Hebamme an einem Königshof nicht verhindern kann, läuft die nun verfolgte Unschuld wie ein Reh aus dem Wald Christians bravem Siedlertross zu und gewinnt durch nützliche Gesundheitsdienste das Vertrauen der Siedler. Christian entdeckt, trotz seiner keuschen Grundgüte, die erotischen Qualitäten hinter der Aschenputtel-Tarnung Marthes. Der Zuschauer muss glauben: Die heilige Lore wachte schon im Mittelalter über die Romankultur.

Flucht vor den konventionellen Plots

Die Liebe wächst, aber bis zu ihrer Erfüllung vergehen drei Stunden. Schafft es Kroetz als schlaffer König ein bisschen Spaß ins Ritterspektakel zu bringen? Ein alt gewordenes Baby Schimmerlos, das am liebsten Reh und Sau hinterherjagt, um den nervenden Attacken seiner überehrgeizigen Gemahlin Hedwig (Susanne Wuest, die mit aristokratischer Grandezza den Spagat als besorgte Mutter eines kranken Sohns einerseits und eiskalter Machtgeilheit andererseits schafft) zu entgehen, das könnte unterhaltsam sein. Aber Komik passt nicht in die Mittelaltersicht dieses Films. So wird auch der Kroetz zum Vollzugsbeamten dieser biedersinnigen Handlung.

Und was macht ein Klasseregisseur wie Richter mit diesem Schinken? Er begibt sich auf die Flucht vor den konventionellen Plots. Seine Bilder (Kamera: Martin Gschlacht) lieben den Wald, die Verlorenheit des Siedlerzugs, das Hämmern der Äxte, das Beschlagen der Rösser, die Schollenplackerei der Neubauern, die sich ihre Redlichkeit nicht mal durch den Silberabbau in ihrem Dorf abkaufen lassen.

Den in Mittelalterspielen obligaten Fackelschein hat Richter reduziert, die Musik (Sebastian Pille) vom Dauerschwelgen im heiligen Bimbam abgebracht, den Kostümen (Uli Fessler) beweglichkeitsfördernde Schlichtheit verordnet, das Getafel beim Markgrafen auf optische Diät gesetzt und – wie die Schauspieler versichern – in den Massenszenen Improvisationsfreiheit gewährt.

Vielleicht haben die aktuellen Bilder von den Flüchtlingen die Einfühlung in Heimat suchende Menschen gefördert. Die Aufnahmen vom Zug durch die Natur sind sehenswert. Wenn die Schwerter und Intrigen klingen, kann sich der Zuschauer erholen – 175 Minuten sind lang.

„Das Geheimnis der Hebamme“, ARD, Karfreitag, 20 Uhr 15.

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