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Kunst für Digital Natives: App ins Museum

Sie wollen weg von ihrem Antiquar-Image. Mit interaktiven Anwendungen und anderen Digitalisierungsstrategien soll ein jüngeres Publikum in die Museen gelockt werden. Doch dafür braucht es gute Konzepte – und viel Geld.

Auf den guten Porzellantellern liegen die Reste des obligatorischen Bratens. Sonntag, Mittagszeit. Alles ist friedlich. Dann – der entscheidende Satz: „Und heute Nachmittag gehen wir ins Museum.“ Betretenes Schweigen – unsererseits. Die Verwandtschaft meint es nur gut, das wissen wir. Sie will, dass die Generation Facebook endlich „echte“ Kulturluft schnuppert. Sie will, dass wir uns im „Real Life“ mit Fotografie und Kunst auseinandersetzen – nicht nur auf Tumblr. Trotzdem denken wir, die Mitte 20-Jährigen, beim Wort Museum zuallererst an etwas sehr Ruhiges, vielleicht Sakrales. Jedenfalls etwas Langweiliges. Kein Wunder: Das Museum ist ein analoger Ort. Unser Leben – schon lange – ein digitaler.

Der durchschnittliche deutsche Museumsbesucher ist über 50, sagt Kulturmanager Axel Kopp von der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf. Wirft man selbst einen Blick auf das museale Publikum, bestätigt sich diese Einschätzung. Das haben mittlerweile auch die Museen selbst bemerkt. Mit Apps und Digitalisierungsstrategien versuchen sie gegenzusteuern. So wollen die Häuser ein junges, netzaffines Publikum ansprechen und ihre Ausstellungen in den digitalen Raum hinein erweitern. „Auch die Museen müssen auf den Trend zur Digitalisierung reagieren und neue Zugänge zu ihren Beständen schaffen“, sagt Stefan Rohde-Enslin.

Rohde-Enslin ist für den Fachbereich Digitalisierung am Institut für Museumsforschung in Berlin zuständig. Und bestätigt unser Bauchgefühl: Digital Native wie wir – also die mit dem Internet aufgewachsenen Jahrgänge – leben in einem Raum, der hauptsächlich von Digitalem bestimmt ist. Wir wünschen uns eine andere Ansprache als unsere Eltern oder Großeltern. Gerade auch im Museum.

Apps laden zu virtuellen Rundgängen ein

Apps für Smartphones und Tablets könnten das schaffen. Sie können den Besucher in einem virtuellen Rundgang durch die Ausstellung führen und an der richtigen Stelle Zusatzinformationen einblenden. Ein Museumsbesuch vom Sofa aus – der vielleicht dazu ermuntert, auch analog den Weg in eine Ausstellung einzuschlagen. Das zumindest hoffen die App-Entwickler. Filme, Audiodateien, zusätzliche Infotexte: All das lässt sich in eine App einbinden. So entsteht ein multimediales Paket für Kulturinteressierte, das Ausstellungen sinnvoll ergänzen kann. Es gibt aber auch Anwendungen, die sich nur in den Museen selbst benutzen lassen. Wer zum Beispiel „Paul Klee – Mythos Fliegen“ im Augsburger Glaspalast besuchte, durfte sein Smartphone oder sein Tablet in die Ausstellungsräume mitnehmen. Eine App erweckte Klees Bilder für die Nutzer zum Leben. „Augmented Reality“ – also angereicherte Realität – heißt das Prinzip, das bei der App zur Anwendung kam. Auf dem Handydisplay bewegten sich Klees Bilder, Details traten hervor, Pinselstriche verschwanden. Effekte, die die Nutzer faszinierten.

Die App als Jungbrunnen für angestaubte Museen?

Apps als Jungbrunnen für angestaubte Häuser? Ganz so leicht ist es nicht. Für gelungene Museums-Apps braucht es gute Konzepte – und viel Geld. Denn eine App zu programmieren ist teuer. Dieses Geld haben viele Museen aber nicht, sagt Rohde-Enslin. Viele könnten es sich überhaupt nicht leisten, in digitale Strategien zu investieren. Vor allem kleinere Museen hätten oft noch nicht einmal eine eigene Website. Anders als in den USA gebe es in Deutschland wenige hochwertige Digitalangebote für Kulturinteressierte. Denn auch Häuser, die Digitalstrategien finanzieren können und wollen, müssen sich erst mit den neuen Möglichkeiten der Technik vertraut machen. Eine App ist kein Selbstzweck. Ohne durchdachtes Konzept und leichte Bedienbarkeit hat kein Museumsbesucher Spaß daran, auf seinem Bildschirm herumzutippen. Die meisten Museen stehen erst am Anfang ihrer digitalen Gehversuche.

Die Berlinische Galerie, Berlins Landesmuseum für Moderne Kunst, hat 2013 ebenfalls eine App entwickelt. Anlass war die Sonderausstellung „Wien Berlin: Kunst zweier Metropolen“, bei der zentrale Werke der Wiener und Berliner Moderne gezeigt wurden. Egon Schiele, Otto Dix und Gustav Klimt in einer App? Grundsätzlich eine gute Idee. Allerdings blieb nach der Entwicklung der App wenig Zeit, diese zu bewerben. „Die App wurde erst kurz vor dem Ausstellungsbeginn gelaunched“, sagt Marketing- und Kommunikationsleiterin Susanne Kumar-Sinner. Die 3000 Downloads der Wien-Berlin-App bezeichnet sie dennoch als „mehr als zufriedenstellend“. Ob weitere Apps in Planung sind? „Es ist nicht auszuschließen, aber es ist immer eine Frage des Budgets und des Personals“, sagt Kumar-Sinner. Andererseits „erreichen wir über Apps unsere Zielgruppen und machen neue Kunden auf unser Haus aufmerksam“. Den Nutzen von Apps hat die Berlinische Galerie also definitiv erkannt.

Doch Geld und Personal sind nicht die einzigen Schwierigkeiten: „Wenn Museen ihre Bestände digitalisieren und im Internet verfügbar machen, gibt es eine große rechtliche Problematik“, sagt Digitalisierungs-Experte Rohde-Enslin. Das Museum müsse für jedes digitalisierte Exponat prüfen, ob es online gezeigt werden dürfe. In vielen Fällen seien die Verträge für die erworbenen Exponate dabei so alt, dass das Medium Internet darin überhaupt nicht berücksichtigt werden konnten. Und: „Es gibt so viele Rechte, dass die Museen da schnell den Überblick verlieren.“

3-D-Scans können helfen Barrieren abzubauen

Auch die Museen kennen diese Probleme. Trotzdem arbeiten sie daran, bessere Digitalangebote für Besucher zu entwickeln. Vier Berliner Museen haben sich deshalb dafür entschieden, sich Hilfe bei der Technischen Universität der Stadt zu holen. An der Fakultät für Mathematik beschäftigen sich Forscher mit 3-D-Digitalisierungen. Es geht hauptsächlich um Scans und virtuelle Raummodelle. Das Märkische Museum möchte seine Besucher damit durch vier digital projizierte Zeitabschnitte Berlins laufen lassen: Straßenzüge aus den Jahren 1440 bis 1850. Was bleibt gleich, was verändert sich? Das soll der Besucher per Knopfdruck erleben können. „Was mit Audio- und Videoführern begonnen hat, geht in 3D weiter“, prophezeien die Forscher an der TU auf ihrer Homepage.

Tatsächlich: Für das Museum Neukölln entwickelten die Mathematiker mittels 3-D-Druckern einen Unterkiefer des Wollhaarmammuts – zum Anfassen. Schauen war gestern. Das Museum Neukölln verspricht sich davon nicht nur eine Attraktion für junge Besucher, sondern auch einen Fortschritt in Sachen Barrierefreiheit. Ausstellungsobjekte für Blinde und Sehbehinderte könnten mit dieser Methode perfekt aufbereitet werden. Und auch die Zitadelle Spandau und die Gipsformerei gehören zu den Kunden der TU. Sie wünschen sich ebenfalls 3-D-Scans von Skulpturen oder digitale Architekturprojektionen. Körperliche und räumliche Erlebbarkeit: Das soll Kunst wieder attraktiv und modern machen.

Stefan Rohde-Enslin sieht das als vielversprechende Entwicklung. Der Digitalisierungsexperte glaubt aber auch: „Die Sehnsucht und Freude am Nicht-Digitalen wird es immer geben.“ Unsere Großeltern müssen also keine Angst haben, dass Museen bald nur noch im digitalen Raum existieren. „Es kann kein rein virtuelles Museum geben“, sagt Rohde-Enslin. „Museen werden immer etwas mit Dingen zu tun haben, die man anfassen kann.“ Durch die Digitalisierung werden sich Museen im 21. Jahrhundert aber in jedem Fall verändern, glaubt er. „Es gibt schließlich auch eine Digitalisierung der Dinge. Die kommen dann auch irgendwann ins Museum – als Ausstellungsstück.“ Rohde-Enslin ist sich sicher: „Das Digitalisieren geht weiter.“

AUGMENTED REALITY

Bei der Erweiterten Realität oder Augmented Reality (AR) handelt es sich um eine computergestützte Wahrnehmung. Die reale Welt, bezogen auf ein Museum also zum Beispiel ein Gemälde oder eine Skulptur, wird über einen tragbaren Computer – zum Einsatz kommen dabei vor allem Smartphones und Tablet-PCs – mit der virtuellen Welt vermischt. Indem das Gerät auf das Exponat gerichtet wird, fängt die Kamera das Bild ein und stellt es auf dem Display dar. Über die Augment-Reality-App werden in Echtzeit Textinformationen, Grafiken oder spektakuläre Animationen über das Bild des Ausstellungsstücks gelegt. sag

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