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Der Hauptsitz von Twitter in San Francisco, Kalifornien, USA.

© Josh Edelson/AFP

Update

Täglich eine Million Nutzer-Sperrungen: Twitter sortiert sich

Der Kurznachrichtendienst Twitter hat in den vergangenen zwei Monaten 70 Millionen Benutzerkonten gelöscht, um Falschnachrichten und Hassrede zu reduzieren.

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Der Kampf gegen die Verbreitung von Falschinformationen bei sozialen Netzwerken hat eine neue Dimension erreicht. Der US-Kurznachrichtendienst Twitter hat alleine im Mai und Juni einem Bericht zufolge mehr als 70Millionen dubiose Nutzerkonten gesperrt. „Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist nicht viel wert, wenn Menschen sich nicht sicher fühlen“, sagte Del Harvey, Twitters Vize-Chef für Sicherheit, der US-Tageszeitung „The Washington Post“. Das Blatt berichtete, das Unternehmen habe die Anzahl täglich gesperrter Konten seit dem vergangenen Jahr auf mehr als eine Million verdoppelt.

Es ist offenbar die direkte Konsequenz auf Enthüllungen zur versuchten Einflussnahme von russischen Gruppen wie die Internet Research Agency auf den US-Wahlkampf. Zur Präsidentschaftswahl 2016 hatten russische Gruppierungen über Social-Media-Anzeigen sowie konzertierte Posts und Kommentare durch automatisierte Bots und bezahlte „Trolle“ versucht, das Meinungsbild in den USA zu beeinflussen. Anderes Beispiel: In Estland wurden 2017 – wenn es um die Nato ging, einem Hauptziel der russischen Propaganda – neunmal mehr Tweets in russischer Sprache von Robotern abgesetzt als von Menschen.

Vor allem Twitter und Facebook wird häufig vorgeworfen, nicht genug gegen solche Desinformationskampagnen, Hassrede und undurchsichtigen Datenhandel zu unternehmen. Besonders der Kurzbotschaftsdienst steht seit Jahren in der Kritik, weil Beleidigungen, Belästigungen und hasserfüllte Äußerungen nicht konsequent genug sanktioniert würden. Behörden und Abgeordnete in den USA und Europa hatten die Unternehmen in Parlamentsanhörungen und Regierungsgesprächen ermahnt, mehr gegen die Verbreitung von Falschinformationen zu unternehmen. Die deutsche Regierung änderte 2017 das Telemediengesetz und schaffte eigens ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Damit sollen die Betreiber gezwungen werden, auf ihren Plattformen veröffentlichte Inhalte bei Beschwerden darüber unverzüglich zu prüfen. „Offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte müssen sie innerhalb von 24 Stunden löschen, spätestens aber nach einer juristischen Überprüfung binnen sieben Tagen, wenn die keine Gründe dagegen zutage fördert. Kritisiert wird, dass so die Durchsetzung von Rechten und Gesetzen an die privaten Unternehmen abgegeben wird. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Manuel Höferlin sieht als Effekt der neuen Regeln „Zensur in ihrer schlimmsten Form – Selbstzensur im Kopf und Fremdzensur durch private Unternehmen“.

Die Internet-Riesen Facebook und Twitter kämpfen auch um ihren Ruf

Um Fehlinformationen, Propaganda und Provokationen von ihren Plattformen zu entfernen, haben Twitter, Facebook und Google zuletzt immer wieder angekündigt, Maßnahmen zu ergreifen. Die Konzerne bieten in Updates ihrer Apps und Plattformen inzwischen Formulare für Beschwerden über einzelne Inhalte oder ganze Benutzerkonten an und prüfen und löschen Accounts und Inhalte. Bei Twitter betraf das seit Anfang Mai der „Washington Post“ zufolge mehr als eine Million Accounts täglich – das wären doppelt so viele wie vor dem Bekanntwerden von Einflussnahmen auf den US-Wahlkampf, der Einführung des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes und der neuen europäischen Datenschutzgrundverordnung im Mai, die in erster Linie den Datenschutz und die Datensouveränität von Netzwerk-Nutzern sichern soll.

Dem IT-Nachrichtenportal heise.de zufolge haben Twitternutzer seit Ende Mai berichtet, dass Accounts von Organisationen gesperrt wurden, weil sie angeblich zu jung für die Nutzung der Plattform waren. Betroffen war etwa die netzpolitische Seite Netzpolitik.org, die durch so eine Sperrung einen automatisch befüllten Account verloren hat. Auch bei Facebook wurden mehr Löschungen beobachtet.

Bei Twitter habe man die Werte Sicherheit und Meinungsfreiheit „neu abgewogen“, zitiert die „Washington Post“ Del Harvey von Twitter. Dass durch die massenhaften Sperrungen die Nutzerzahlen im zweiten Quartal gesunken sein könnten, nimmt Twitter demnach in Kauf. Auf die aktiven Nutzerzahlen wirke sich das Vorgehen allerdings sowieso nicht aus, weil nicht alle Fake-Accounts ständig aktiv seien. Die Sperrungen von Accounts sei außerdem nur einer von mehreren Schritten, um den Missbrauch der Plattform einzudämmen, erklärte Twitter.

Auch US-Präsident Donald Trump hat sich, wie sollte es bei dem Thema anders sein, aktuell zu Wort gemeldet und Twitter via Twitter dazu aufgefordert, auch seriöse Medien wegen ihrer „Falschnachrichten“ zu sperren. Twitter gehe in Rekordgeschwindigkeit gegen Fake-Accounts vor, schrieb er in einem Tweet und fragte, ob denn auch die Zeitungen „New York Times“ und „Washington Post“ betroffen sein würden – die aus seiner Sicht falsch über ihn berichten.

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(mit rtr/AFP)

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