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Elon Musk.

© Foto: AFP/ANGELA WEISS

Empörung über Musks „Friedensplan“: Erträgt der Westen keine Kontroversen mehr?

Tesla-Chef Elon Musk hat skizziert, wie er sich ein Ende des Krieges vorstellt. Das erzürnt viele. Doch Streit muss sein – auch im Krieg.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Bist du für uns oder gegen uns? Auf wessen Seite stehst du? Klare Bekenntnisse werden verlangt, Differenzierungen als Ausflüchte gewertet. Elon Musk, der Tesla-Chef, hat auf Twitter beschrieben, wie er sich ein Ende des russischen Krieges gegen die Ukraine vorstellt. Sein „Friedensplan“ liest sich recht knapp:

In den von Moskau annektierten Regionen sollen unter UN-Aufsicht Referenden stattfinden. Falls eine Mehrheit der Bevölkerung bei der Ukraine bleiben will, muss Russland seine Truppen abziehen. Die Krim-Halbinsel soll zu Russland gehören, die Trinkwasserversorgung der Krim soll gesichert sein. Die Ukraine verzichtet auf eine Nato-Zugehörigkeit.

Prompt prasselte, wie zu erwarten war, ein Empörungssturm über Musk herein. Der aus Deutschland scheidende Botschafter der Ukraine, Andrij Melnyk, konterte am schärfsten: „Das einzige Resultat ist, dass kein Ukrainer jemals Ihren verdammten Tesla-Mist kaufen wird. Verpissen Sie sich ist meine diplomatische Antwort an Sie.“

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Dazu muss man wissen, dass ohne Elon Musks „Starlink“-Satellit die Militär-Kommunikation der Ukrainer höchst anfällig wäre für russische Störaktionen. Kurz vor dieser Kontroverse hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Dekret jegliche Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verboten.

Der Westen wolle Russland zerstören, behauptet Putin

Dessen Aggressionskrieg war von Anfang an mit einer Freund-Feind-Rhetorik angeheizt worden. Der Westen wolle Russland zerstören, behauptete Putin und warnte vor heimischer Kritik am Krieg. Das russische Volk könne echte Patrioten von „Dreckskerlen und Verrätern“ unterscheiden. Es spucke sie einfach aus wie eine Fliege, die zufällig in den Mund geflogen sei.

Muss eine Freund-Feind-Rhetorik mit einer Freund-Feind-Rhetorik erwidert werden? Der „Friedensplan“ von Elon Musk ist zweifellos unausgegoren und unrealistisch. Er impliziert, dass beide Seiten Verhandlungen führen müssen. Er geht davon aus, dass ukrainisches Gebiet widerrechtlich bei Russland bleiben wird. Er verwehrt der Ukraine die Bündnisfreiheit. Aber besteht nicht eine Stärke des Westens darin, Dissens zuzulassen und selbst Unsinn als inspirierend zu werten?

Stattdessen wird der Ton zunehmend schrill, gereizt, unversöhnlich. Schnell liegt der Vorwurf des „Appeasement“ in der Luft, wenn überhaupt nur über die Möglichkeit eines Waffenstillstands nachgedacht wird.

In der Tat wiegen viele Argumente gegen Verhandlungen mit Putin schwer. Ihm sei nicht zu trauen, heißt es, er werde jede Verschnaufpause nutzen, um seine Armee neu aufzustellen -, und dann erneut zuschlagen. Außerdem seien die von seinen Soldaten in der Ukraine verübten Verbrechen zu widerwärtig, um von Verhandlungen, womöglich gefolgt von Gebietsabtretungen, sanktioniert werden zu dürfen.

Die Strategie hat das Recht und die Moral auf ihrer Seite

Also Kampf bis zum Sieg, die Panzer rollen lassen bis zur vollständigen Vertreibung Russlands aus der Ukraine, Zerstörung von möglichst viel russischem Militärgerät, Ermunterung jener Kräfte, die auf einen Sturz Putins hinarbeiten, weitere Schwächung der russischen Wirtschaft durch scharfe Sanktionen. Das ist gegenwärtig, laut westlicher Rhetorik, die Strategie. Sie hat das Recht und die Moral auf ihrer Seite. Aber führt sie zum Erfolg? Und was heißt das – Erfolg?

Die Nato verfügt über 200 in Europa einsetzbare taktische Atomwaffen, Russland hat 2000. Die seit Beginn des Krieges virulente Frage, wie sich eine Atommacht besiegen lässt, bleibt weiter unbeantwortet. Es ist richtig, die Ängste, die sie auslöst, nicht das eigene Handeln bestimmen zu lassen. Es ist offenkundig, dass Putin versucht, diese Ängste für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Er will Zwietracht säen, den Westen spalten. Das muss ihm verwehrt werden.

Doch was macht Putin, wenn seine Truppen kurz vor einer Niederlage stehen? Ihm droht die Entmachtung durch radikale Nationalisten. Die russische Wirtschaft ist geschwächt, Energie-Exporte nach Europa sind gekappt, die Nato hat sich durch Schweden und Finnland vergrößert. Wenn all das ergänzt wird durch Meldungen über hohe Verluste, desertierende Soldaten und einen triumphierenden Westen, steigt dann nicht die Bereitschaft zu radikal irrationalen Handlungen?

Keiner weiß es, auch Elon Musk nicht. „Die mögliche, aber unwahrscheinliche Konsequenz dieses Konfliktes ist ein Atomkrieg“, antwortete er einem Kritiker. Das auszusprechen und in realpolitische Szenarien einzubeziehen, sollte nicht als Kapitulation diffamiert werden.

Wenn der Westen sich weiterhin geschlossen der russischen Aggression entgegenstellen will, müssen seine Protagonisten über jedes offene und frei ausgesprochene Wort dankbar sein. Den Krieg gewinnen, aber die Freude am Streit verlieren: Das würde den Putins dieser Welt sämtliche ihrer Vorurteile bestätigen.

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