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In Sachen Impfen geht es im Vergleich zu anderen Ländern nur schleppend voran.

© dpa/Hannibal Hanschke

Verkrustete Verwaltung: Deutschlands Abstieg zeigt sich nicht nur beim Impfen

Deutschlands Ruf in der Welt entspricht immer weniger der Realität. Eine tiefgreifende Reform des öffentlichen Sektors ist nötig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fatina Keilani

Not macht erfinderisch, so lautet ein Sprichwort. Ist es vielleicht ein Mangel an Not, der dazu führt, dass Deutschland im internationalen Vergleich inzwischen zurückfällt? Behäbigkeit muss man sich schließlich leisten können.

Besonders krass ist der Unterschied zwischen dem wohlalimentierten und verfetteten öffentlichen Sektor, der – wie sich jetzt zeigt – auch in der Not nicht in der Lage ist, effizient zu liefern, und dem privaten Sektor, der Firmen wie Biontech hervorbringt. Die Babyboomer, heute in ihren späten Fünfzigern, sind aufgewachsen in dem Bewusstsein, im bestfunktionierenden Land der Welt zu leben.

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Nun sehen sie mit Staunen, dass sogar Länder wie Marokko das Impfen besser hinkriegen. Von Israel gar nicht zu reden, wo man bei Freibier in der Kneipe geimpft wird und danach einen Barcode erhält, der einem die Freiheit zurückgibt, Restaurants und den Fitnessclub zu besuchen.

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Die Rückgabe entzogener Rechte - kein Privileg

Hierzulande diskutiert man „Privilegien“ für Geimpfte, statt zutreffend zu sagen, dass es sich dabei um die Rückgabe zuvor entzogener Rechte handelt, also um die Rückkehr in den Normalzustand. Nur wer sich an den Entzug von Freiheiten schon gewöhnt hat, kann deren Erteilung als Privileg begreifen.

Es gab eine Zeit, da wurde Deutschland um seine effiziente Verwaltung beneidet.

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Ein Freibier auf Staatskosten: So impft Israel.
Ein Freibier auf Staatskosten: So impft Israel.

© Kfir Sivan/Tel Aviv-Yafo Municipality/dpa

Lenin wollte den Sozialismus nach dem Vorbild der Deutschen Post gestalten, die deutschen Universitäten waren der Neid der Welt, Japan begann seinen Aufstieg zur industriellen Großmacht mit einer Verfassung, die in Anlehnung an die Preußische Verfassung geschrieben wurde, und noch nach 1989 wurden die Handelsgesetzbücher der gerade demokratisierten osteuropäischen Staaten nach dem Muster des deutschen Handelsrechts reformiert.

Das Land hat noch immer einen bombigen Ruf, sein Pass gilt als wertvollster der Welt, doch der Ruf hat gelitten.

Der Impfstoff bleibt in den Kühlschränken

Geschäftsreisende staunen über Funklöcher auf wichtigen Bahnstrecken wie der zwischen den Metropolen Hamburg und Berlin. Länder wie Rumänien, Polen und Tschechien haben besseres Internet, die Baltenrepubliken sind durchdigitalisiert.

In Mexiko holt man sich seinen neuen Reisepass im Einkaufszentrum bei einer Zweigstelle der Behörde, und man kann ihn gleich mitnehmen statt sechs Wochen zu warten. In Berlin bekommt man nicht mal einen Termin, um den Pass zu beantragen.

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Abgeschlagen ist das Land bei der Digitalisierung im Bildungswesen. Deutschland landete 2020 im weltweiten Vergleich bei der digitalen Ausbildung der Lehrer auf Platz 76 von 78 Plätzen, hinter Moldawien. Es zog Spott auf sich, weil es keinen Flughafen bauen konnte, und nun blickt die Welt verwundert auf die überbürokratische Impflogistik, die dazu führt, dass Impfstoffe in Kühlschränken bleiben.

Bei technischen Innovationen wird Deutschland von anderen überholt. Woher sollen die Ideen auch kommen angesichts des maroden Bildungswesens? Dabei kann es sich das Land gar nicht leisten, auch nur eine Begabung ungenutzt zu lassen – wie viele Biontechs hätten wir haben können?

Die aktuelle Krise sollte Anlass sein, eine tiefgreifende Reform der Verwaltung in Angriff zu nehmen. Deren Strukturen sind so verkrustet, dass es den Verantwortlichen leichter erscheint, ein ganzes Volk in den Lockdown zu schicken, als die Gesundheitsämter mit einer einheitlichen Software auszustatten.

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