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Stark in Mitleidenschaft gezogen: die deutsche Botschaft in Kabul.

© Rahmat Gul/AP/dpa

Update

Anschlag in Afghanistan: Dutzende Tote in Kabul - deutsche Botschaft massiv beschädigt

Bei der Explosion sind mindestens 80 Menschen ums Leben gekommen, 350 wurden verletzt. Die Bundesregierung sagte einen Abschiebeflug nach Afghanistan ab.

Von
  • Michael Schmidt
  • Frank Jansen

Bei einem der schwersten Anschläge in der afghanischen Hauptstadt Kabul seit Jahren sind am Mittwoch nahe der deutschen Botschaft mindestens 80 Menschen getötet worden. Dem Gesundheitsministerium zufolge gab es mehr als 350 Verletzte. Unter den Todesopfern befindet sich auch ein afghanischer Wachmann der deutschen Botschaft. Zudem wurde eine deutsche Diplomatin leicht sowie eine afghanische Botschaftsmitarbeiterin schwer verletzt.

Die Bundesregierung verurteilte den Anschlag scharf. "Es ist eine niederträchtige Tat, die zahlreichen Menschen das Leben genommen hat", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Mittwoch in Berlin. Die Bundesregierung spreche den Angehörigen der Opfer und der afghanischen Regierung ihr "tiefes Mitgefühl" aus. "Deutschland steht an der Seite Afghanistans, den Terror zu bekämpfen."

Auch die deutsche Vertretung wurde massiv beschädigt. An der Frontseite wurden unter anderem Dutzende Fenster eingedrückt, wie Fotos vom Tatort zeigen. In dem Gebäude haben auch der Botschafter und sein Stellvertreter ihre Büros. An der französischen Botschaft gab es ebenfalls "Sachschäden", sagte Europaministerin Marielle de Sarnez im Radiosender Europe 1. Über mögliche Opfer habe sie bislang keine Informationen. Deutsche Soldaten seien von dem Anschlag in Kabul "nach jetzigem Stand nicht betroffen", sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam.

Der Anschlag wurde im dichten Morgenverkehr verübt, das Ziel war zunächst unklar. Wie ein Sprecher des Innenministeriums erklärte, habe sich die Explosion an einer viel befahrenen Straße zwischen der deutschen Botschaft und einem Sicherheitsposten am Sanbak-Platz ereignet. Die deutsche Vertretung liegt demnach rund 300 Meter vom Anschlagsort entfernt. In den schwer gesicherten Vierteln stehen auch viele andere Botschaften, das Nato-Hauptquartier in Kabul und afghanische Ministerien. Die Straße ist eng und wird an beiden Seiten von hohen Sprengschutzmauern begrenzt. Die Wucht der Explosion habe mindestens 30 Fahrzeuge zerstört, sagte der Ministeriumssprecher.

Eine riesige Rauchwolke steht nach der Explosion über Kabul.
Eine riesige Rauchwolke steht nach der Explosion über Kabul.

© Rafiullah Kaleem/Lehtikuva/dpa

Tolo TV meldete schwere Schäden an Gebäuden. Bilder zeigten eine von dichtem Rauch erfüllte Straße, mit zerrissenen Autowracks und blutigen Körpern. Tausende Menschen waren zur Zeit der Explosion um kurz nach 8.30 Uhr (Ortszeit) auf dem Weg zur Arbeit. Die Explosion war so stark, dass noch in mehreren Hundert Meter Entfernung Häuser beschädigt wurden.

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Wie der indische Botschafter Manpreet Vohra dem Fernsehsender Times Now sagte, explodierte die Bombe nur hundert Meter von der indischen Botschaft entfernt. Es sei aber kein Botschaftsmitarbeiter verletzt worden. Auch an der japanischen Botschaft gingen Scheiben zu Bruch. Zwei japanische Botschaftsmitarbeiter wurden leicht verletzt, wie das Außenministerium in Tokio mitteilte.

Gabriel: Anschläge ändern nichts an Entschlossenheit"

"Er traf Zivilisten und er traf diejenigen, die in Afghanistan sind, um mit den Menschen dort an einer besseren Zukunft für das Land zu arbeiten", kommentierte Sigmar Gabriel den Anschlag. "Dass diese Menschen zur Zielscheibe werden, ist besonders verachtenswert." Die Gedanken seien bei den Familien und Freunden der Opfer. "Solche Anschläge ändern nichts an unserer Entschlossenheit, die afghanische Regierung bei der Stabilisierung des Landes weiter zu unterstützen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilte den Anschlag als einen "abscheulichen Akt des Terrorismus". Steinmeier schrieb in einer Kondolenz an den afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani: "Bei unseren Bemühungen gegen den Terror werden wir auch in Zukunft zusammenstehen. Es ist meine Hoffnung, dass es uns gemeinsam gelingt, auf dem Weg zu Frieden und Sicherheit für alle Menschen in Afghanistan weiter voranzuschreiten."

Geplante Sammelabschiebung offenbar abgesagt

Der Anschlag fällt zusammen mit einer Debatte um Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber von Deutschland nach Afghanistan. Die Bundesregierung hält Teile des Landes für sicher genug. An diesem Mittwoch sollte ein weiterer Sammelflug starten, er wurde am Donnerstagmorgen in Kabul erwartet. Die Bundesregierung hat diese Abschiebung jedoch abgesagt. Das teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch in einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestags mit. Die Absage erfolgte demnach "nur für Heute" und aus "Rücksicht auf Botschaftsangehörige", die mit der Schadensaufnahme befasst seien und sich nicht um die Ankunft des Abschiebefliegers am Kabuler Flughafen kümmern könnten. Bisher hat Deutschland in Flügen dieser Art 106 abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben.

Einer Wiederaufstockung der Bundeswehrtruppen in Afghanistan erteilte Wehrexperte Rainer Arnold (SPD) am Mittwoch allerdings eine Absage. "Mehr Fähigkeiten sind in der militärischen Logik immer besser", sagte Arnold dem Tagesspiegel. "Aber auch dadurch können Anschläge nicht verhindert werden." Deutschland, das seine Kampftruppen 2014 abgezogen hatte und derzeit mit rund 900 Soldaten vor Ort ist, leiste im Vergleich zu anderen Staaten viel, sagte Arnold, "und es sollte beim derzeitigen Umfang und dem reinen Ausbildungs- und Beratungsauftrag bleiben".

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer warnte davor, nach dem Anschlag den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr in Frage zu stellen. "Das Land allein lassen ist auch keine Lösung", sagte Scheuer in Berlin. Bei einem Abzug drohe ein "Dominoeffekt". Die Devise müsse vielmehr lauten: "Jetzt erst recht absichern." Auf die Diskussion über Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber wollte Scheuer nicht eingehen. Er verlasse sich auf die Einschätzung des zuständigen Bundesinnenministeriums, dass es auch am Hindukusch sichere Gebiete gebe. "Ich weiß nicht, ob sich die Sicherheitslage durch einen einzigen Anschlag verändert hat", sagte er. 

Taliban starteten Ende April "Frühjahrsoffensive"

Deutsche Sicherheitskreise nennen drei Terrorvereinigungen, die für den Anschlag verantwortlich sein könnten: die Taliban, der "Islamische Staat" und Al Qaida. Auch wenn ein Sprecher der Taliban jede Beteiligung seiner Organisation an dem Angriff zurückwies, sei nicht auszuschließen, sie könnte dafür verantwortlich sein, hieß es. Der IS komme in Betracht, weil er in Afghanistan schon mehrere schwere Anschläge verübt habe und versuche, den Taliban Konkurrenz zu machen. Aber auch Al Qaida könnte hinter dem Anschlag stecken, sagten Sicherheitsexperten. Die mit den Taliban verbündete Al Qaida sehe sich ebenfalls durch den IS unter Druck gesetzt - aber nicht nur in Afghanistan, sondern global. Deshalb müsse Al Qaida zeigen, "dass sie in der Lage sind, weiterhin komplexe Anschläge durchzuführen", hieß es. Der letzte Angriff von Al Qaida, der weltweit wahrgenommen wurde, war der Anschlag vom Januar 2015 auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" in Paris. Zu der Attacke bekannte sich der jemenitische Ableger der Terrorvereinigung.

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich zuletzt spürbar verschlechtert. Vor wenigen Tagen war eine deutsche Entwicklungshelferin getötet worden. Viele Hilfswerke haben sich bereits zurückgezogen.

Ende April starteten die Taliban ihre jährliche "Frühjahrsoffensive" und verschärften ihre Angriffe. Kabul wird immer wieder Ziel von Anschlägen von radikalislamischen Rebellen. Anfang Mai waren bei einem Sprengstoffanschlag auf ausländische Soldaten mindestens acht Menschen getötet worden. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte die Tat für sich.

Im März hatten Angreifer ein Militärkrankenhaus in Kabul gestürmt und mindestens 38 Menschen getötet. Mehr als 70 weitere Patienten, Ärzte und Pfleger wurden bei dem Angriff auf Afghanistans größtes Militärhospital verletzt. (mit dpa, AFP, Reuters, epd)

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