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Ungarns Regierungschef Viktor Orban.

© REUTERS

Blockade beim Corona-Hilfsfonds: Warum Ungarn und Polen so schwierige EU-Partner sind

Früher stand die EU-Integration bei den Regierungen in Budapest und Warschau hoch im Kurs. Doch die Zeiten haben sich geändert. Wie kam es dazu?

Die Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs der EU an diesem Donnerstagabend bietet eine „großartige Gelegenheit“, das Veto Ungarns und Polens gegen die EU-Finanzen auf der obersten Ebene der Gemeinschaft zu besprechen. Dies sagte am Donnerstag ein Vertreter der EU-Kommission. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Ungarns Regierungschef Viktor Orban und Co. ließen am Abend den Streit gar nicht erst hochkochen.  EU-Ratschef Charles Michel entschied nach einer kurzen Diskussion, die Frage außerhalb des Gipfels weiterzuberaten. Eine Lösung ist vorerst nicht in Sicht.

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Schon vor dem virtuellen Gipfel hatten EU-Vertreter darauf hingewiesen, dass man Zeit brauche, um die entstandene ernste Lage zu bereinigen. Das Veto Ungarns und Polens führt zunächst einmal dazu, dass die Gelder aus dem Corona-Hilfsfonds mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro ab dem kommenden Jahr nicht ausgezahlt werden können. Vor allem Italien und Spanien sind auf die Mittel dringend angewiesen. Mit ihrem Haushalts-Veto wollen Orban und Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki die EU bei einem anderen Thema unter Druck setzen: Budapest und Warschau möchten verhindern, dass ihre EU-Subventionen wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt werden.  

Experte Lang: „Neuer Souveränismus" in Ungarn und Polen

Wie auch immer der Streit um die neuartigen Sanktionen und das EU-Budget ausgeht: Fest steht, dass die Geschichte der mittel- und osteuropäischen Staaten in der EU in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten von einem Auf und Ab gekennzeichnet ist.  Nach den Worten des Experten Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gibt es derzeit einen „neuen Souveränismus“ in Polen und Ungarn. Diese Haltung sei „nicht anti-europäisch“, erläutert Lang. Vielmehr werde die EU in Warschau und Budapest als Verbund souveräner Staaten begriffen – und die Rechtsstaatlichkeit werde dabei als Kernbereich der Souveränität wahrgenommen, der nach dieser Lesart nicht von Brüssel angetastet werden darf. 

Der frühere französische Präsident Charles de Gaulle sprach vom "Europa der Vaterländer"
Der frühere französische Präsident Charles de Gaulle sprach vom "Europa der Vaterländer"

© AFP

Das war nicht immer so. Lang erinnert daran, dass Radoslaw Sikorski von der liberal-konservativen Bürgerplattform, der von 2007 bis 2014 polnischer Außenminister war, seinerzeit forderte, man müsse mehr Delors und weniger de Gaulle wagen. Mit anderen Worten: Sikorski sprach sich für einen gemeinschaftlichen Ansatz in der EU-Politik nach dem Motto des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors aus – im Gegensatz zur Vision des „Europas der Vaterländer“ des früheren französischen Präsidenten Charles de Gaulle. Inzwischen gelte aber nach der Einschätzung von Lang in Budapest und Warschau die Devise: mehr de Gaulle und weniger Delors.  

Als Sikorski 2007 Außenminister wurde, hatte Polen bereits erste Erfahrungen mit der nationalkonservativen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) sammeln können, die auch heute wieder in Warschau die Geschäfte führt. Die Partei war 2001 vom damaligen Justizminister Lech Kaczynski und seinem Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski gegründet worden. Drei Jahre später traten Polen, Ungarn sowie sechs weitere mittel- und osteuropäische Staaten der EU bei.  

Kopenhagener Kriterien sichern die Rechtsstaatlichkeit

Auch Zypern und Malta wurden seinerzeit Mitglieder in der Gemeinschaft, die mit einem Schlag auf 25 Staaten anwuchs. Um die Erweiterung vorzubereiten, waren ein Jahrzehnt zuvor die so genannten Kopenhagener Kriterien auf EU-Ebene beschlossen worden. Demnach dürfen nur Staaten der Gemeinschaft beitreten, in denen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Wahrung der Rechte von Minderheiten gelten.  

Die Vehemenz, mit der sich vor allem Ungarns Regierungschef Orban derzeit gegen die Einführung des Rechtsstaats-Mechanismus in der EU wehrt, erinnert an eine ähnliche krisenhafte Zuspitzung drei Jahre nach der EU-Osterweiterung. Damals führte im ersten Halbjahr 2007 Deutschland so wie heute den Vorsitz in der Gemeinschaft. Merkel, die damals gerade eineinhalb Jahre im Amt der Bundeskanzlerin war, hatte eine schwierige Aufgabe zu meistern: Sie musste bei einem Gipfel in Brüssel im Juni 2007 eine Entscheidung über ein neues Abstimmungsverfahren innerhalb der EU herbeiführen, das zum Bestandteil eines neuen EU-Vertrages werden sollte. 

Kaczynski im Jahr 2007: „Quadratwurzel oder Tod“

Der damalige polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski lehnte die neuen Abstimmungsregeln erbittert ab, weil sie den Einfluss seines Landes in Brüssel minderten. In Polen gebe es eine „Furcht vor deutsch-französischer Majorisierung“, sagt der Experte Lang zur Erklärung des damaligen Hickhacks um das neue Stimmengewicht einzelner Mitgliedstaaten in der EU.  

Kaczynski zog seinerzeit im Juni 2007 zwischenzeitlich mit der kuriosen Forderung „Quadratwurzel oder Tod“ in die Gipfel-Schlacht. Damit wollte Polens Regierungschef zum Ausdruck bringen, dass er keinesfalls von einer Forderung Abstand nehmen werde, die auf einem komplizierten Berechnungsmodell der Stimmrechte auf der Basis der polnischen Bevölkerungszahl beruhte. Die Regierung in Warschau drohte sogar damit, bei dem Gipfel ihr Veto einzulegen. 

Womit Kaczynski damals allerdings nicht rechnete: Merkel drohte ihrerseits damit, eine Einigung ohne Polen anzustreben – was die Gipfel-Regularien durchaus zuließen. Am Ende stimmte Polen einem Kompromiss zu. 

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