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Polizisten ziehen einen Aktivisten von einer Baumplattform.

© AFP/dpa/Oliver Berg

Update

Braunkohlerevier in Nordrhein-Westfalen: Polizei räumt Bauwerke der Aktivisten im Hambacher Forst

Die Besetzer im Hambacher Forst wehren sich gegen die Räumung - unter anderem mit Fäkalien und Pyrotechnik. Ein Polizist wurde leicht verletzt.

Im Braunkohlerevier Hambacher Forst haben Polizisten mit einem massiven Aufgebot damit begonnen, die Bauwerke der Baumbesetzer zu räumen und abzubauen. Gegen Mittag holten die Polizisten die ersten Aktivisten von den Plattformen. Drei Aktivisten wurden festgenommen. Wie die Beamten in Aachen mitteilten, diente die Aktion unter anderem der Beseitigung von Barrikaden auf Zugangswegen und der Beschlagnahme von Beweismitteln. Aktivisten halten seit langem einen Teil des Waldes besetzt, es kommt immer wieder zu Zusammenstößen.

Bei dem Einsatz, der einer der größten in der jüngeren NRW-Geschichte ist, wurden die Beamten nach Angaben der Polizei mit Pyrotechnik beschossen und von Holzplattformen auf Bäumen mit Urin und Fäkalien bespritzt. Bei einem Festgenommenen handelte es sich demnach um einen Demonstranten, der sich auf einer Konstruktion befand. Zudem wurden zwei Frauen festgenommen, bei denen Gegenstände zum Bau von Zwillen und Geschossen gefunden wurden. Die Polizei warf den Baumschützern vor, mindestens einen Polizisten leicht verletzt zu haben. Beamte und Autos der Einsatzkräfte seien mit Steinen und Molotow-Cocktails beworfen worden, teilte die Polizei mit. Beamte seien mit zudem mit Zwillen beschossen worden, hieß es. Zahlen der Baumbesetzer und Braunkohle-Gegner oder eine Stellungnahme zu den Vorwürfen lagen zunächst nicht vor.

Zusätzlich erschwerten Bombenattrappen das Vorrücken der Beamten, die Mitarbeiter des Energiekonzerns RWE beschützen sollten, die mit den Räumarbeiten betraut waren. Die Beamten betonten, es gehe nicht um eine Räumung der Protestcamps oder der von Aktivisten im Wald erbauten Baumhäuser. Bereits in der vergangenen Woche hatte die Polizei in dem Wald ein Protestcamp durchsucht.

Sieben Eilanträge könnten Räumung juristisch stoppen

Mit sieben Eilanträgen wollen Privatpersonen die Räumung nun in letzter Minute juristisch stoppen. „Es liegen mittlerweile sieben Anträge vor, die Kammer berät nun darüber“, sagte eine Sprecherin des Verwaltungsgerichts in Köln auf Anfrage. Eine Entscheidung solle so schnell wie möglich getroffen werden. Unklar sei, ob dies noch im Laufe des Donnerstags möglich sei. Die Sprecherin wollte sich nicht dazu äußern, wer die Anträge gestellt hat. Der Umweltverband BUND versucht mit Eilanträgen, Baumfällungen im Zusammenhang mit der Räumung der Baumhäuser zu verhindern. Das bestätigten die Sprecher der Verwaltungsgerichte Köln und Aachen.

Zuvor hatte die Stadt Kerpen die Baumbesetzer über den Räumungsbeschluss informiert. Per Megafon seien die Aktivisten am Donnerstag aufgefordert worden, die Baumhäuser innerhalb von 30 Minuten freiwillig zu verlassen, sagte ein Sprecher der zuständigen Stadt Kerpen am Donnerstag.

Polizei ist mit Großaufgebot im Einsatz

„Wenn sie dann nicht freiwillig runterkommen, dann werden wir mit Hilfe der Polizei die Baumhäuser räumen.“ Auf diese Weise werde man sich bei den 50 bis 60 Baumhäusern Schritt für Schritt vorarbeiten, hieß es. „Anschließend werden die Baumhäuser unbrauchbar gemacht“, sagte der Sprecher.

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Die Polizei ist mit einem Großaufgebot im Einsatz: Neben zahlreichen Einsatzkräften sind auch Wasserwerfer und schweres Räumgerät vor Ort.

Umweltschützer kündigten als Reaktion auf die Räumung große Proteste an. Mit der Räumung würden unwiderruflich Fakten geschaffen. „Damit beginnt heute eine bundesweite Massenmobilisierung. Tausende Menschen werden sich in den nächsten Tagen mit Demonstrationen, Sitzblockaden und Waldspaziergängen für den Erhalt des Waldes einsetzen“, teilten die Initiative Buirer für Buir, Aktivist*innen der Besetzung im Hambacher Forst, Ende Gelände sowie die Aktion Unterholz am Donnerstag gemeinsam mit.

Noch entspannte Stimmung: Polizisten machen vor der Räumung ein Selfie.
Noch entspannte Stimmung: Polizisten machen vor der Räumung ein Selfie.

© REUTERS/Wolfgang Rattay

„Wir werden deshalb ab diesem Wochenende mit Aktionen massenhaften zivilen Ungehorsams die Räumungen und Rodungen von Polizei und RWE verhindern. Durch diese Aktionsform nehmen wir unsere Zukunft selbst in die Hand“, sagte Jan Pütz von der Aktion Unterholz.

Greenpeace ruft zur Deeskalation auf

Gesche Jürgens von Greenpeace rief zur Deeskalation auf und sagte: „Es ist unglaublich, dass sich die Landesregierung zum Erfüllungsgehilfen von RWE macht und Fakten schafft.“ Karolina Drzewo, Pressesprecherin des Bündnisses Ende Gelände, sagte: „Es ist ein Skandal, dass die Landesregierung hier Konzern-Profite und nicht das Klima schützt.“

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Die Grünen im Bundestag haben den Polizeieinsatz im Hambacher Forst verurteilt und neue Verhandlungen gefordert. „Für uns ist klar: Reden statt Räumen und Roden. Das muss die Devise sein“, sagte Fraktionschef Anton Hofreiter am Donnerstag in Berlin. Die Räumung der Baumhäuser von Umweltaktivisten in dem Wald, den RWE in den kommenden Monaten für den Braunkohle-Abbau fällen lassen will, sei eine „völlig unverantwortliche Eskalation“ und das Argument des Brandschutzes „an den Haaren herbei gezogen“.

Grüne sehen Versäumnisse bei Bundesregierung

Hofreiter sieht auch Versäumnisse bei der Bundesregierung: Indem Kanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU) schwiegen, riskierten sie den Erfolg der Kommission, die bis Ende des Jahres über den Ausstieg aus der Kohlestrom-Erzeugung verhandelt. „Das Abholzen des Hambacher Waldes hat keine gesellschaftlichen Mehrheiten“, sagte Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Der Räumung darf auf keinen Fall die Rodung folgen.“

Aktivisten stehen auf einem Waldweg im Hambacher Forst, der zum Baumhausdorf "Oaktown" führt.
Aktivisten stehen auf einem Waldweg im Hambacher Forst, der zum Baumhausdorf "Oaktown" führt.

© Henning Kaiser/dpa

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping kritisierte, die "plötzliche Räumung der Baumhäuser mit der absurden Begründung - Brandschutz - eskaliert den Braunkohlekonflikt". "Und dies zu Gunsten einer ungebremsten Kohleverstromung anstatt eines Ringens um tragfähige und nachhaltige Lösungen für Umwelt und Beschäftigung."

Altmaier verteidigt Räumung

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat die Räumung gegen Kritik verteidigt. "Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Sie eine unternehmerische Entscheidung, die durch Gerichte bestätigt ist, die durch ein Parlament bestätigt ist, die durch demokratische Entscheidungen bestätigt ist, in dieser Art und Weise denunzieren", antwortete Altmaier am Donnerstag im Bundestag auf eine Frage der Linken-Abgeordneten Sabine Leidig. Diese nannte es zynisch, wenn mit dem Argument des Brandschutzes Leute verjagt würden, die sich gegen den "Weltbrand" zur Wehr setzten. Die Menschen im Hambacher Forst setzten sich für Klimagerechtigkeit ein.

Altmaier verwies darauf, dass sich die damalige rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen auf ein Gesamtpaket geeinigt habe, wozu es bereits Gerichtsurteile gebe. In den vergangenen Tagen und Wochen habe es vor Ort Gespräche gegeben, die er interessiert verfolgt sowie sich mit seinem Rat und Auffassungen zur Verfügung gestellt habe, sagte Altmaier.

Der CDU-Politiker gehört der Kohle-Kommission an, die ein Datum für das Aus der letzten Kohlekraftwerke in Deutschland suchen soll. In dem Gremium sind auch Umweltschützer vertreten. "Ich bin überzeugt, dass wir diesen Strukturwandel nur dann sozialverträglich hinbekommen werden, wenn wir den Beschäftigten die Gewissheit geben, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird", sagte Altmaier dazu.

RWE will einen Großteil des Waldes im Herbst roden

Das nordrhein-westfälische Bauministerium hatte die Stadt am Mittwochabend angewiesen, die rund 50 Baumhäuser unverzüglich zu räumen.

Der Energiekonzern und Waldbesitzer RWE will im Herbst mehr als die Hälfte des noch verbliebenen Waldstücks roden, um weiter Braunkohle baggern zu können. Dagegen gibt es seit Langem Proteste. Aktivisten haben Baumhäuser in großer Höhe errichtet und halten den Wald damit besetzt. Bevor gerodet werden kann, muss daher geräumt werden. Das gilt wegen der Höhe der Hütten und des erwarteten Widerstands als äußerst schwierig.

Polizisten beim Einsatz im Hambacher Forst
Polizisten beim Einsatz im Hambacher Forst

© dpa/Oliver Berg

Gericht begründet Räumung mit Brandschutz

Bei der Räumung geht es juristisch gesehen gar nicht um RWE und die Braunkohle. Vielmehr argumentiert das Ministerium nach Angaben der Stadt Kerpen und des ebenfalls betroffenen Kreises Düren unter anderem mit dem fehlenden Brandschutz in den Baumhäusern. Nach einem Vor-Ort-Termin sei das Ministerium zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den Hütten um bauliche Anlagen im Sinne der NRW-Bauordnung handele.

Nach der Bauordnung müssten die Baumhäuser etwa über Rettungstreppen und über Geländer verfügen. Außerdem müssten Rettungswege für Feuerwehr und Krankenwagen verfügbar sein. Weil das nicht gegeben ist, ergäben sich „konkrete Gefahren“ für die Bewohner. Daher müssten die Bauämter der Stadt Kerpen und des Kreises Düren die Baumhäuser ohne zeitlichen Aufschub räumen, argumentiert das Ministerium.

Aktivisten kündigten Widerstand an

Umsetzen müssen das die Bauämter der Stadt Kerpen und des Kreises Düren, auf deren Gebiet der Hambacher Forst liegt. Sie haben bei der Aachener Polizei dafür um Vollzugshilfe gebeten, um die Häuser räumen und beseitigen zu können.

Schon am Mittwochabend hatten Aktivisten in den sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, den Protest im Hambacher Forst zu unterstützen. Zuletzt waren am vergangenen Samstag und Sonntag Hunderte Menschen dem Aufruf zu einem „Wochenende des Widerstands“ in dem Waldstück gefolgt.

Der Forst gilt als Symbol des Kampfes um Klimaschutz und des Widerstands gegen die Kohle. In ihm stehen Jahrhunderte alten Buchen und Eichen. Zudem gibt es Vorkommen geschützter Arten wie der Bechsteinfledermaus. Mehrere Organisationen wollen seine Rodung unter anderem aus diesen Gründen verhindern. Aus Sicht von RWE ist die Abholzung unvermeidbar, um die Stromproduktion in den Braunkohlekraftwerken zu sichern. Frühestens im Oktober darf der Konzern mit der Rodung beginnen.

Noch Zeit für Liebe: Aktivisten stehen auf einem dreibeinigen Hochsitz im Hambacher Forst und küssen sich.
Noch Zeit für Liebe: Aktivisten stehen auf einem dreibeinigen Hochsitz im Hambacher Forst und küssen sich.

© Christophe Gateau/dpa

Vor Beginn der Kohleförderung war der Wald 4100 Hektar groß; nach Angaben des Tagebau-Betreibers RWE Power wurden bislang 3900 Hektar für den Kohleabbau gerodet. Der Wald hat nach Angaben des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine 12.000 Jahre lange Geschichte. Es gibt dort Vorkommen streng geschützter Arten wie Bechsteinfledermaus, Springfrosch und Haselmaus. Der Protest vor Ort richtet sich auch gegen den Abbau von Braunkohle allgemein.

Immer wieder hat die Polizei von Angriffen auf Polizisten an dem Waldstück berichtet. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) warnte, dass man es mit „extrem gewaltbereiten Linksextremen“ zu tun habe, die aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland anreisten.

Streit könnte auch Auswirkungen auf die Kohlekommission haben

Der Streit um den Hambacher Forst könnte auch die Arbeit der sogenannten Kohlekommission stören, obwohl das Thema dort offiziell nicht auf der Tagesordnung steht. Wirtschaft, Klimaschützer, Politik und Betroffene sollen bis Ende des Jahres gemeinsam einen Weg aus der Kohlestrom-Produktion vereinbaren. Die beteiligten Umweltverbände fordern einen Aufschub der Rodung, bis das erledigt ist - ihrer Ansicht nach könnte der Wald vielleicht stehenbleiben, wenn ältere Kraftwerke abgeschaltet werden.

Die Umweltverbände in der Kommission haben symbolische Baumpatenschaften im Hambacher Forst übernommen. Denkbar ist, dass ein oder mehr Umwelt-Vertreter die Kommission verlassen, wenn RWE rodet. Ein breiter gesellschaftlicher Konsens wäre dann gefährdet. (dpa, tsp, reuters)

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