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Polen Ministerpräsidentin Beata Szydlo will das Vorhaben unbedingt durchbringen.

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Update

Brüssel prüft Optionen: EU fordert von Polen Aussetzung der Justizreform

Brüssel hat "schwerwiegende Bedenken" gegen das laufende Gesetzesvorhaben. Für Martin Schulz widerspricht die Justizreform europäischen Werten.

Die EU-Kommission hat die polnische Regierung aufgefordert, ihre umstrittene Justizreform auszusetzen. Brüssel habe "schwerwiegende Bedenken" gegen das laufende Gesetzesvorhaben, die "sehr bedeutende negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz" in Polen haben würden, erklärte die Behörde am Mittwoch.

Die Kommissare diskutierten demnach bei ihrer wöchentlichen Sitzung "rechtliche und politische Optionen" als Reaktion, darunter Vertragsverletzungsverfahren und ein Verfahren, das bis zum Stimmrechtsentzug auf europäischer Ebene führen kann.

Die rechtskonservative Regierung in Polen war am Dienstag auch auf Widerstand bei Präsident Andrzej Duda gestoßen. Der Staatschef verlangte unerwartet eine Überarbeitung des kürzlich verabschiedeten Gesetzes, mit dem die Regierung ihren Einfluss auf die Besetzung von Richterstellen massiv ausweiten will. Unterstützung bekam Duda am Abend von tausenden Demonstranten. Die Regierung will aber an ihren Plänen festhalten.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz greift die polnische Regierung scharf an
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz greift die polnische Regierung scharf an

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Präsident Duda erläuterte seine Bedenken im polnischen Fernsehen. Das Gesetz wirke in der jetzigen Form "wie ein politisches Diktat" bei der Richterbesetzung, kritisierte Duda. Die Justiz dürfe nicht von einer politischen Partei instrumentalisiert werden. Er drohte damit, auch die geplante Reform des Obersten Gerichts zu blockieren.

Dem Gesetz zufolge soll das Parlament über Richter entscheiden

Das Gesetz sieht vor, dass das Parlament künftig über die Besetzung des Landesrichterrats entscheiden soll. Das Parlament wird von der rechten Regierungspartei PiS dominiert, aus deren Lager auch Präsident Duda kommt. Dem bislang als unabhängig geltenden Rat obliegt wiederum die Besetzung der Richterposten an den ordentlichen Gerichten im Land. Duda äußerte die Sorge, die Reform könne zu einer parteipolitischen Unterwanderung der Justiz führen. Der Richterrat dürfe nicht "einer einzigen Partei, einer einzigen Gruppierung unterworfen werden", sagte er. "Das ist nicht zulässig."

Als Kompromiss schlug er vor, die Mitglieder des Landesrichterrats künftig mit 60-Prozent-Mehrheit vom Parlament wählen zu lassen. Damit wäre die PiS für ihre Personalvorschläge auch auf Stimmen anderer Parteien angewiesen. Das Gesetz war bereits vergangene Woche im Parlament verabschiedet worden, kann ohne Dudas Unterschrift aber nicht in Kraft treten. Ministerpräsidentin Beata Szydlo ließ am Abend keine Bereitschaft zum Einlenken erkennen. Die Partei werde "die Reformen ganz zu Ende bringen", sagte sie vor Abgeordneten.

PiS-Chef Kaczynski nennt Opposition "Kanaillen"

Duda kündigte an, auch die von der Regierung angestrebte Neuordnung des Obersten Gerichts zu blockieren, wenn das Gesetz zum Landesrichterrat nicht geändert werde. Die Regierung strebt an, das Oberste Gericht ganz unter die Kontrolle des PiS-Justizministers zu stellen. Die Opposition hat diese Pläne als "Ankündigung eines Staatsstreichs " bewertet. Präsident Duda zählt eigentlich zum politischen Lager der PiS. Deren umstrittenen Projekte hat er bislang in der Regel mitgetragen.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski stürmte außer der Reihe ans Rednerpult.
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski stürmte außer der Reihe ans Rednerpult.

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Bei einer nächtlichen Debatte über die Justizreform kam es im Parlament in Polen zu Tumulten und wüsten Beschimpfungen gegeben. Der PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski stürmte außer der Reihe ans Rednerpult und nannte Oppositionspolitiker "Kanaillen" und "Verräter". Er reagierte mit seinem Wutausbruch auf Vorwürfe, er untergrabe die Gewaltenteilung und handele damit dem Willen seines verstorbenen Bruders, des Ex-Präsidenten Lech Kaczynski, zuwider. Kaczynski sagte: "Nehmt den Namen meines verstorbenen Bruders nicht in eure verräterischen Mäuler, ihr habt ihn zerstört und ermordet" - in Anspielung auf Gerüchte, der Flugzeugabsturz des Staatsoberhaupts 2010 bei Smolensk sei ein Anschlag gewesen.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat die umstrittene Justizreform in Polen scharf verurteilt.  "Die andauernden Angriffe der nationalkonservativen polnischen Regierung auf die Unabhängigkeit der Justiz und die Pressefreiheit sind brandgefährlich", sagte Schulz dem Tagesspiegel am Mittwoch.

Die Reform spalte nicht nur die Gesellschaft in Polen, sie widerspreche auch den gemeinsamen europäischen Werten, kritisierte der SPD-Vorsitzende. "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die Fundamente der europäischen Integration. Deshalb ist die Justizreform in Polen viel mehr als 'nur' eine innerpolnische Angelegenheit." (has/AFP/dpa)

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