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Premierministerin Theresa May verlässt eine Pressekonferenz in Brüssel.

© Thierry Roge/imago/Belga

Brüssel: Wie es nach dem Brexit-Sondergipfel weitergeht

Die EU-Staaten stimmen dem Brexit-Paket zu. Premier May erwartet das Votum in London. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Am Ende gab es nichts mehr zu verhandeln. Die Staats- und Regierungschefs kamen nur noch kurz in Brüssel zusammen, um den Weg frei zu machen für den nächsten Schritt im Trennungsdrama zwischen Brüssel und London. Bei ihrem Sondergipfel beschlossen sie einstimmig das knapp 600 Seiten umfassende Scheidungsdokument, das den Austritt des Vereinigten Königreichs nach 45 Jahren aus der EU regelt, sowie eine politische Erklärung zur Zukunft der gemeinsamen Beziehungen. Kanzlerin Angela Merkel sprach anschließend von einem „diplomatischen Kunststück“: Es sei gelungen, in einer historisch so noch nie dagewesenen schwierigen Situation ein Vertragswerk zu formulieren, das einerseits die Interessen beider Seiten wahre, andererseits einen Ausblick auf die Zukunft gebe. EU- Ratspräsident Donald Tusk, der die Treffen der Staats- und Regierungschefs leitet, sagte: „Wie auch immer es ausgeht, eine Sache ist sicher: Wir bleiben bis zum Ende aller Tage Freunde, und noch einen Tag länger.“

Was ist der nächste Schritt?

Die eigentliche Hürde steht dem Abkommen noch bevor: Es muss vom britischen Unterhaus und dem Europaparlament gebilligt werden. Vor allem im britischen Parlament ist eine Mehrheit unsicher. Für May beginnen deshalb nun die entscheidenden zwei Wochen ihrer Amtszeit. Sie verteidigte das Austrittspaket als „bestmöglichen und einzigen Deal“. May erklärte weiter, „die Briten wollen nicht noch mehr Zeit mit Streit über den Brexit verschwenden“. Die Regierungschefin appellierte noch in Brüssel direkt an die Bevölkerung: Sie werde mit aller Macht für ein positives Votum im Unterhaus kämpfen, damit der Austrittsvertrag und die Erklärung über die zukünftige politische Zusammenarbeit in Kraft treten könnten. Sollte die konservative Minderheitsregierung die für 10. Dezember geplante Abstimmung verlieren, wäre die Position der 62-jährigen May wohl entscheidend geschwächt.

Was erwartet May im Parlament?

May setzt auf die Dynamik, die durch den Vertragsschluss von Brüssel entstanden ist. Sie werde sich „mit Herz und Seele“ in die bevorstehende Auseinandersetzung begeben, sagte die Regierungschefin. Offenbar will May dafür auch Patronage einsetzen: Einem EU-feindlichen Abgeordneten hat sie gerade zum Ritterschlag verholfen, einigen Gesinnungsgenossen wurden Sitze auf Lebenszeit im Oberhaus angeboten für den Fall, dass sie sich der Fraktionsdisziplin beugen.

Bisher haben etwa 40 bis 60 konservative Brexit- Ultras Nein-Stimmen angekündigt. Das Gleiche gilt für jene rund zehn Torys, die den EU-Verbleib für die bessere Option halten. Fraktionseinpeitscher versuchen nun, diese Abgeordneten wenigstens zu einer Enthaltung zu bewegen. Die Opposition aus Labour, Liberaldemokraten sowie schottischen und walisischen Nationalisten hat erklärt, man wolle geschlossen mit Nein stimmen. Die Hoffnung auf Labour-Abweichler, die aus Sorge vor dem Chaos-Brexit („no deal“) dem Brüsseler Paket zustimmen könnten, ist in den vergangenen Tagen geringer geworden. Am Sonntag teilte beispielsweise die zuvor schwankende Abgeordnete Lisa Nandy mit, sie werde May die Zustimmung verweigern. Angekündigt hat dies auch die erzkonservative Unionistenpartei DUP aus Nordirland, die im Unterhaus der konservativen Regierung als Mehrheitsbeschafferin dient. Auf dem Parteitag in Belfast sagte DUP- Chefin Arlene Foster am Samstag, man müsse das Bündnis mit den Torys überdenken.

Wann kommt der Brexit?

Formal tritt das Vereinigte Königreich am 29. März 2019 aus der EU aus. Bis Ende 2020 läuft allerdings eine Übergangsphase, in der es keine Zoll- und Grenzkontrollen gibt. In dieser Zeit, in der beide Seiten die künftigen Beziehungen aushandeln wollen, muss Großbritannien weiter Beiträge an die EU zahlen und sich an die Verträge halten. Das Land darf allerdings nicht mehr über die Zukunft mitbestimmen. Es wurde jetzt beschlossen, dass die Übergangsphase bis Ende 2022 verlängert werden kann, wenn man sich bis 2020 nicht einigen sollte.

Was steht im Scheidungsdokument?

Großbritannien muss Geld zahlen, um die eingegangenen Verpflichtungen aus der EU-Mitgliedschaft wie etwa Pensionsansprüche für die EU-Beamten abzulösen. Es wird damit gerechnet, dass dies etwa 45 Milliarden Euro ausmacht. Klar ist zudem, dass rund drei Millionen EU-Bürger, die auf der Insel leben, sowie eine Million Briten, die auf dem Kontinent leben, auf Dauer die gleichen Rechte genießen wie bisher. Etwa bei der Sozialversicherung, beim Zugang zum Arbeitsmarkt und beim Aufenthaltsrecht.

Wie wird der Streit um Irland beigelegt?

Beide Seiten sind sich einig, dass an der inneririschen Grenze Zoll- und Grenzkontrollen vermieden werden sollen. Schlagbäume zwischen der Republik Irland, das zur EU gehört, und Nordirland, das als Teil des Vereinigten Königreichs aus der EU ausscheidet, würden den Frieden in der ehemaligen Bürgerkriegsregion gefährden. Unklar ist bis heute, wie es praktisch laufen soll, einerseits Grenzkontrollen zu vermeiden, andererseits Großbritannien wieder die Hoheit über regulative Standards und Zölle zu geben. Die EU hat immer eine Auffanglösung („Backstop“) für den Fall verlangt, dass man sich nicht auf gemeinsame Regelungen für die Zukunft einigen kann. Nun wurde verabredet, dass in diesem Fall Großbritannien bis auf Weiteres in der Zollunion mit der EU bleiben würde. Nordirland würde in diesem Szenario bis auf Weiteres auch komplett im EU-Binnenmarkt bleiben. Die Einigung zu Nordirland stellt wohl die größte Hürde für die Annahme des Brexit-Abkommens im britischen Parlament dar. Es zeichnet sich ab, dass viele Abgeordnete die Passage als eine Einschränkung ihrer Souveränität interpretieren.

Wie soll es nach dem Brexit weitergehen?

Der Gipfel hat eine politische Absichtserklärung zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien verabschiedet. Das Dokument hat gut 30 Seiten und ist nicht verbindlich. Die EU versucht darin, der innenpolitisch massiv unter Druck stehenden Premierministerin Theresa May entgegenzukommen - auch mit vielen schönen Worten. Das KDokument sieht eine enge und „ehrgeizige“ Kooperation zwischen Brüssel und London auf vielen Gebieten vor. So soll etwa ein weitreichendes Freihandelsabkommen abgeschlossen werden. Beide Seiten wollen in der Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin eng zusammen arbeiten. Schon jetzt ist absehbar, dass eine Einigung auf ein Fischereiabkommen schwierig werden dürfte. Wie die Beziehungen konkret ausgestaltet werden sollen, ist in weiten Bereichen offen. Klar ist etwa, dass Großbritannien der Ausstieg aus der EU etwa im Bereich der Weltraumpolitik besonders schmerzt. In der Absichtserklärung heißt es dazu aber lediglich: Beide Seiten sollten passende Regelungen für eine Kooperation in Erwägung ziehen.

Was passiert, wenn das Unterhaus oder das EU-Parlament nicht zustimmen?

Das Ausstiegsdokument kann nicht nachverhandelt werden. Das betonen beide Seiten. Sollte ein Parlament die notwendige Ratifizierung verweigern, würde es einen ungeordneten Brexit geben. Alle Kompromisse wären damit hinfällig, der Verkehr von Waren, Personen, Kapital und Daten zwischen der EU und Großbritannien würde ab dem 29. März zumindest massiv gestört, EU-Bürger mit Wohnsitz auf der Insel hätten keine Rechtssicherheit mehr. Und im EU-Haushalt würden rund zwölf Milliarden Euro im Jahr fehlen.

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