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Ob sein Kalkül aufgeht? Gesundheitsminister Jens Spahn will Angela Merkel im CDU-Vorsitz folgen.

© Wolfgang Kumm/dpa

CDU-Parteivorsitz: Für Spahn geht Merkel zu früh

Im Rennen um den CDU-Vorsitz kommt Friedrich Merz dem Konservativen Jens Spahn in die Quere. Aber der setzt dezent auf eine Stärke, die er noch ausspielen kann.

Von Robert Birnbaum

Der Ort erinnert an ein großes Vorbild, die eine oder andere Formulierung auch. Mit einem offenen Brief in der „Frankfurter Allgemeinen“ hatte Angela Merkel Helmut Kohl abserviert und sich selbst als Hoffnungsträgerin in Stellung gebracht. 19 Jahre später erscheint das Remake. „Ein echter Neustart für die CDU und Deutschland“ ist Jens Spahns Manifest überschrieben, mit dem sich der Gesundheitsminister als Kandidat für den Parteivorsitz empfiehlt. Merkel lag freilich mit dem Zeitpunkt besser. Zwei Tage vor Weihnachten schlug ihr Brief wie ein Blitz ein. Doch als Spahns Text in Druck ging, meldete in Berlin gerade Friedrich Merz seinen Anspruch an.

Für den Jungkonservativen aus dem Münsterland ist die Rückkehr des Altkonservativen aus dem Sauerland eine böse Überraschung. Schon als Annegret Kramp-Karrenbauer von der Saar ins Amt der Generalsekretärin wechselte, erlitten die Ambitionen des 38-Jährigen einen Rückschlag. Merz’ Bewerbung reduziert seine Chancen massiv. Bisher war er das Gesicht der Merkel-Müden. Doch Merz ist Anti-Merkel in Person selbst dann noch, wenn er die alte Rivalin mit feinem Lächeln lobt. Viele von Spahns taktischen Freunden laufen schon offen zu ihm über.

Damit droht ein Kalkül nicht aufzugehen, das der Jüngere seit drei Jahren beharrlich verfolgte. Spahn ist nach Biographie und Auftreten eigentlich alles andere als ein Konservativer. Offen schwul, mit einem Journalisten verheiratet, ein weltgewandter, moderner Netzwerker- Typ, der in Berlin zuerst als bestens informierter Gesundheitsexperte auffiel und dann als schwarzer Kopf des schwarz-grünen Gesprächskreises, in dem sich Jungpolitiker aus beiden Parteien vertraulich treffen.

Die Gruppe kommt nach längerer Wahlkampfpause demnächst wieder zusammen – ohne Spahn als Anführer. Der ist seit Merkels Flüchtlingsherbst 2015 auf der anderen Seite des Spektrums unterwegs. Spahn sah eine Lücke im CDU- Angebot und wechselte rasch die politische Grundfarbe.

Offen widersetzt hat er sich der Kanzlerin so richtig nie; dass er einen Parteitag ermunterte, für die Abschaffung des Doppelpasses zu stimmen, war das Äußerste. Spahn pflegte lieber symbolisches Rebellentum und kleine Distanz. Hier ein Selfie mit Österreichs Jungkanzler Sebastian Kurz, dort ein Foto mit Donald Trumps Botschafter Richard Grenell, hier ein Ruf nach Burka-Verbot, dort eine Warnung, wie sie sich im „FAZ“-Aufsatz erneut findet: Nach wie vor gebe es eine „ungeordnete, überwiegend männliche Zuwanderung“ im Umfang einer Stadt wie Kassel.

Raffinierte Argumentation

Vor der warnt er schon länger: Gerade er als Schwuler wolle nicht, dass die inzwischen errungene Freiheit von Frauen und Minderheiten durch die Zuwanderer zurückgedreht werde. Das war eine raffinierte Argumentationsfigur, Fremdenfurcht mit emanzipatorischem Anspruch bedient. Aber man kann leicht allzu raffiniert werden. Als er sich beschwerte, dass man in hippen Berliner Lokalen nur auf Englisch bedient werde, lachten sogar daheim in Ahaus die Hühner über den Szenegänger, der einen auf Deutschtümler und Hauptstadtverächter machte. Dass er zur Führungsreserve der CDU gehört, bestreiten allerdings nicht mal seine Kritiker: Schnell im Kopf, tatendurstig, diskussionsfreudig, im persönlichen Kontakt durchaus gewinnend und obendrein fähig, sich in Sachfragen rasch einzuarbeiten – Wolfgang Schäuble hat ihn protegiert, und selbst Merkel hat sein energisches Handeln als Gesundheitsminister zuletzt im Hessen-Wahlkampf als Beleg dafür vorgetragen, dass in Berlin nicht nur Chaos herrsche.

Nur zählt das alles wenig, wenn um die Gunst der Konservativen auf einmal zwei Bewerber buhlen. Auf viel mehr als Konservative und Junge konnte Spahn schon vorher nicht zählen. Der Netzwerker ist zugleich Solitär geblieben ohne gefestigte Rückbindung im Landesverband oder in einer CDU-Unterorganisation.

Außerdem geht Merkel zu früh. Spahn hatte erst begonnen, vom Flügelstürmer sachte wieder Richtung Mitte zu robben. Die CDU müsse keineswegs „nach rechts rücken“, versichert er jetzt. Es reichten „gesunder Menschenverstand“ und ein „moderner Konservativismus“, den ja neuerdings sogar Spitzengrüne für sich beanspruchten.

Ansonsten versucht er es mit mehr vom Erprobten. Wahlverluste schreibt Spahn Unklarheiten über Kurs und „Kern“ der CDU zu und besteht darauf: „Der weiße Elefant im Raum aber ist die Frage der Migration.“ Die drohe zur Agenda 2010 der CDU zu werden, „wenn wir die Debatte ohne Ergebnisse beenden“. Wieso der Elefant weiß sein soll, bleibt sein Geheimnis. An welche Ergebnisse er denkt, bleibt wenig konkret – Sicherheit, irgendwie.

Seine größte Stärke und Schwäche zugleich kann er nur anspielen: „Deutschland braucht den politischen Generationenwechsel.“ Kramp-Karrenbauer ist 56, das geht als neue Generation knapp durch. Merz mit seinen 62 Jahren nicht mehr: zwei Jahre jünger als Merkel, sieben Jahre vor Horst Seehofer – eine Perspektive über eine nächste Wahlperiode hinaus bietet der Zurückgekehrte nicht.

Der 38-Jährige böte sie. Aber die CDU als gefühlte Staatspartei der Bundesrepublik ist Experimenten der Art eher abhold, wie sie Kurz im kleinen Österreich vornimmt. Selbst als Merkel mit 46 Jahren nach der Macht griff, galt sie noch halb und halb als Mädchen. „Ich halte mein Angebot aufrecht“, versichert Spahn am Donnerstag bei einer Veranstaltung der „Rheinischen Post“. Das muss er wohl auch. Eine ehrenvolle Niederlage öffnet Wege in die Zukunft – besonders, wenn man noch jung ist.

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