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Eine Demonstration gegen die geplante Anschaffung von F-18-Kampfflugzeugen des US-Herstellers Boeing für die Bundeswehr.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Debatte um Atomwaffen: Der Kauf von Kampfjets für Atomwaffen ist unmoralisch und atemberaubende Verschwendung

Atomwaffen werden bald völkerrechtlich verboten, aber Deutschland will aufrüsten. Dabei ist die nukleare Teilhabe Augenwischerei. Ein Gastbeitrag.

Beatrice Fihn ist die Exekutivdirektorin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), die 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde

Die Stationierung amerikanischer Atomwaffen auf deutschem Boden und das Vorhalten passender Flugzeuge der deutschen Luftwaffe, die sie abwerfen würden, ist unmoralisch. Und es wäre eine atemberaubende Verschwendung von Ressourcen.

Für die 7,5 Milliarden Euro, die 30 F-18-Kampfjets kosten, könnte Deutschland laut einem aktuellen Bericht der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges 100 000 Betten auf der Intensivstation, 30 000 Beatmungsgeräte und ein Jahresgehalt für 25 000 Ärzte und 60 000 Krankenschwestern zahlen.

Die Coronavirus-Pandemie zwingt Staaten dazu, ihre Sicherheitspolitik zu überdenken. Im Falle Deutschlands unterstreicht sie den Anachronismus eines Systems aus dem Kalten Krieg, an das Berlin immer noch gebunden ist.

Atomwaffen spielen keine Rolle mehr für die Gewährleistung der deutschen, europäischen und globalen Sicherheit –und dennoch machen die in Rheinland-Pfalz stationierten US- Atombomben Deutschland zur Zielscheibe.

Mützenich und Esken werden bald vom Völkerrecht bestätigt werden

In einem Interview im „Tagesspiegel“ am 3. Mai sagte Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion: „Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil. Es wird Zeit, dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt.“ Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken unterstützte ihn und twitterte: „Atombomben auf deutschem Boden, an deutschen Flugzeugen sind kein Selbstzweck, kein Wunschzustand und zudem eine sehr teure Angelegenheit.“

Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, verteidigt seinen Vorstoß zum Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland.
Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, verteidigt seinen Vorstoß zum Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland.

© Kai Nietfeld/dpa

Schon bald werden Mützenich und Esken, die sich seit langem gegen Atomwaffen aussprechen, auch vom Völkerrecht bestätigt werden. In jeden Fall haben sie bereits die Meinung der Bundesbürger auf ihrer Seite. 67 Prozent der Deutschen lehnt die Präsenz von Atomwaffen auf ihrem Territorium ab. Diese Umfrageergebnisse decken sich mit der Situation in anderen europäischen Ländern, in denen ebenfalls US-Atomwaffen gelagert werden.

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Der Bundestag forderte die Regierung bereits 2010 auf, die Bomben zu entfernen – damals stimmten auch CDU/CSU und FPD zu. Auch das Europäische Parlament hat die EU-Mitgliedstaaten wiederholt aufgefordert, sich den multilateralen Bemühungen zur nuklearen Abrüstung anzuschließen.

Die Waffen, für welche diese Flugzeuge ausgelegt sind, werden bald verboten sein

Die Anschaffung der von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gewünschten nuklearfähigen Kampfflugzeuge für die Bundeswehr würde den Status quo über die gemeinsame Nutzung von Nuklearwaffen über Jahrzehnte verlängern. Ohne grundsätzliche demokratische Debatte.
Die Waffen, für die diese Flugzeuge ausgelegt sind, werden völkerrechtlich verboten sein, noch bevor der erste Jet ausgeliefert wird. Der Vertrag über das Verbot von Atomwaffen wurde 2017 bei den Vereinten Nationen von 122 Staaten verabschiedet und verbietet den Einsatz, den Besitz, die Stationierung und den Transfer von Atomwaffen aufgrund der katastrophalen humanitären Gefahren und den anerkannten Risikos ihres Einsatzes, ob absichtlich oder versehentlich.
Sobald 50 Länder das Abkommen ratifiziert haben, wird es Internationales Recht. Bisher haben es 36 Staaten ratifiziert, der Prozess läuft und Ende des Jahres sollte der Vertrag in Kraft treten können.

85 deutsche Städte fordern die Regierung auf, dem Atomwaffenverbot beizutreten

Das Atomwaffenverbot ist ein Triumph des Multilateralismus und ein Lichtblick im wiederaufflammenden Nationalpopulismus. Die Tatsache, dass Deutschland erwägt, Milliarden Euro für Flugzeuge auszugeben, die völkerrechtlich geächtete Massenvernichtungswaffen abwerfen, ist unverantwortlich. Über 85 deutsche Städte, darunter 15 von 16 Landeshauptstädten, haben Resolutionen verabschiedet, in denen die Bundesregierung aufgefordert wird, dem Atomwaffenverbot beizutreten.

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Weit über 500 deutsche Parlamentarier haben sich verpflichtet, sich auf Bundes- und Landesebene für den Beitritt Deutschlands zu diesem wegweisenden Vertrag einzusetzen. Der Vertrag ist darauf ausgelegt, dass ein Beitritt mit der NATO-Mitgliedschaft im Einklang steht. Anstatt an einem neuen nuklearen Wettrüsten teilzunehmen, könnte Deutschland echte Fortschritte auf dem Weg zur nuklearen Abrüstung erzielen, indem es diese multilateralen Bemühungen zusammen mit der übergroßen Mehrheit der Staaten auf internationaler Ebene unterstützt. Nur so kann die Bundesregierung sicherstellen, dass unter keinen Umständen Atomwaffen im Namen Deutschlands eingesetzt werden.

Die USA entscheiden allein, die nukleare Teilhabe ist Illusion

Manche Befürworter versprechen sich von der nuklearen Teilhabe Mitsprache in der NATO. Doch europäische Staaten waren machtlos, das Nuklearabkommen mit dem Iran zu retten, als die USA beschlossen, es zu verlassen.

Weitere wichtige Säulen der Rüstungskontrolle werden eingerissen: darunter der INF-Vertrag über Mittelstreckenraketen in Europa; die versäumte Erneuerung von New START, dem Abkommen zwischen den USA und Russland zur Reduzierung von Atomwaffen; der absehbare Rückzug aus dem Open-Skies-Abkommen, das den teilnehmenden Nationen gestattet, gegenseitig ihre Territorien auf festgelegten Routen zu überfliegen und Aufnahmen zu machen.
Diese Entwicklung beobachten die europäischen Hauptstädte mit großer Sorge, aber letztlich wird die Nukleardoktrin unilateral in Washington verabredet, ohne Konsultation der transatlantischen Partner.
Die SPD-Führung ist zu Recht gegen die unkritische Weiterführung der nuklearen Teilhabe durch den Kauf der F-18-Jets. Sie eröffnet eine notwendige Debatte über Nutzen und Risiken der Stationierung von Massenvernichtungswaffen in Deutschland. Eine ehrliche Antwort ist nicht nur eine Notwendigkeit für die gesamte Menschheit, sondern ein humanitärer Imperativ.

Beatrice Fihn

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