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Seit mehr als drei Wochen protestieren viele Menschen in Bulgarien gegen ihre Regierung und fordern Neuwahlen.

© dpa

Demonstrationen in Bulgarien: Aktivisten verschärfen ihre Proteste in Sofia

Die Proteste gegen Bulgariens Regierungschef Borissov nehmen kein Ende. Jetzt haben Demonstranten Zeltlager im Zentrum Sofias errichtet.

Die Sofioter nennen den Platz im Herzen der bulgarischen Hauptstadt „Dreieck der Macht“. Hier stehen die Gebäude des Ministerrates, des Parlaments und des Staatspräsidiums. Vor den drei Monumentalbauten im stalinistischen Neoklassizismus hat sich ein kleines Widerstandsnest ausgebreitet. Blaue Zelte blockieren die für Sofias Verkehr wichtige Verkehrsachse des Boulevard Zar Osvoboditel.

Im großen Gemeinschaftszelt findet beraten die Widerständler. Es geht laut her, ein gutes Dutzend Damen und Herren eher fortgeschrittenen Alters ereifert sich in der Debatte um die richtige Strategie ihres seit drei Wochen andauernden Protests. Wie können sie die konservativ-nationalistische Koalitionsregierung von Ministerpräsident Boiko Borissov endlich stürzen? Und wie den verhassten Generalstaatsanwalts Ivan Geschev zur Abdankung zwingen? Sie halten Geschev nicht für einen Mann des Rechts, sondern für einen Handlanger der Oligarchie.

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Bereits den Mittwoch über haben vor allem jüngere Aktivisten mehrere Straßenkreuzungen in Sofia lahmgelegt. Bei der Großdemonstration am Abend wurden dann festen Stützpunkte im Regierungsviertel und an der Adlerbrücke ein paar Kilometer weiter östlich errichtet. „Für uns sind es Lager der Freiheit, Orte des zivilen Ungehorsams“, sagt der Aktivist Todor Stojanov. Tag für Tag ziehen Tausende durch die Straßen und fordern den Rücktritt der Regierung. „Doch Borissov tut, als hörte und sähe er uns nicht. Deshalb müssen wir unseren Protest verschärfen.“

Bis zum Sturz der Regierung wollen Stojanov und seine Mitstreiter in ihren Freiheitslagern ausharren. Die Staatsgewalt werde es nicht wagen, sie zu attackieren, glaubt er. „Denn wenn sie das tun, wird das den Protest noch stärken. Schon jetzt ist die Empfindlichkeit in der Bevölkerung groß und wächst mit jedem Tag.“

Borissov werden Wahlmanipulationen vorgeworfen

Doch macht es einen Unterschied, ob es jetzt zu vorgezogenen Neuwahlen in Bulgarien kommt oder im kommenden März regulär gewählt wird? „Es ist wichtig, dass eine Übergangsregierung die nächsten Wahlen vorbereitet und durchführt und nicht die jetzige Regierung. Denn die weiß genau, wie sie Wahlen manipuliert", erklärt der Jurist Stojanov. Es sei nicht Boiko Borissovs Popularität gewesen, die ihm drei Regierungsaufträge in elf Jahren eingebracht habe, ist er überzeugt. „Es waren Wahlmanipulationen wie der Kauf von Wählerstimmen vor allem unter der Minderheit der Roma und die korporative Wahl, der Druck, der auf Beamte und Angestellte des stetig ausgeweiteten Staatsapparats ausgeübt wurde.“

Nur die Einführung der elektronischen Stimmabgabe könne Wahlfälschungen verhindern und faire Wahlen gewährleisten. „Als Wahlhelfer habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie Wahlprotokolle auf Papier gefälscht werden. Bei elektronischer Wahl wird dies nicht so einfach möglich sein. Außerdem werden sich dann mehr junge Bulgaren im Ausland an der Wahl beteiligen“, hofft Todor Stojanov.

„Brennt doch lieber meine Regierungsvilla ab, als dass ihr den Bürgern die Straßen blockiert“, hat Regierungschef Borissov einen Appell an die Protestierenden gerichtet. Schlagfertige Sprüche wie diese werten seine Anhänger als Ausdruck von Souveränität. Auf geleakten Aufzeichnungen von Telefonaten ist indes ein anderer, weniger gelassener Borissov zu hören.

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In ihnen verunglimpft ein Mann, der zumindest seiner Stimme und Intonation hat, in übelstem Kutscherjargon nicht nur die der Regierungspartei GERB angehörende Parlamentspräsidentin Tsveta Karajantscheva, sondern auch Staatsoberhaupt Rumen Radev. „Dieser Blödmann kann kein Präsident sein“, lautet noch die Unverfänglichste der Aussagen in dem vor Obszönitäten strotzenden Telefonat mit Borissovs Stellvertreter Tomislav Dontschev. „Niemals habe ich mir erlaubt, irgendwen zu beleidigen“, bestreitet Borissov die Authentizität der Aufnahmen. Seine Gegner wie Todor Stojanov sehen in dieser Beteuerung lediglich „eine weitere aller Wahrheit Hohn sprechende Lüge“.

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