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Damals - und morgen wieder? Bundeskanzlerin Angela Merkel empfing Joe Biden schon mal im Kanzleramt, damals als Barack Obamas Vizepräsident.

© dpa

Die USA vor einem möglichen Machtwechsel: Im Falle von Bidens Sieg kommt erst Erleichterung – dann Enttäuschung

Was Deutschland tun muss, um nach Trump nicht in die gleiche Falle zu laufen wie 2009 beim Wechsel von Bush zu Obama. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die US-Wahl ist noch nicht gelaufen, natürlich nicht. Aber angesichts der Wahrscheinlichkeit, mit der amerikanische Experten einen Sieg Joe Bidens erwarten, können Deutschland und Europa überlegen, was sich dann ändert in den transatlantischen Beziehungen und was nicht. Mehr noch: Sie sollten nicht abwarten, welche Angebote Biden ihnen macht, sondern die neue Dynamik aktiv mitgestalten.

Die erste Reaktion ist leicht vorherzusehen: Erleichterung. Irritationen und Zorn über Donald Trump haben ein Ende. Die USA gehen auf ihre Verbündeten zu, kehren ins Klimaabkommen von Paris zurück, vielleicht später auch in den Atomdeal mit dem Iran und in TPP, das transpazifische Freihandelsabkommen zur Eingrenzung Chinas. Sie stoppen den Truppenabzug aus Deutschland, drohen weder mit Strafzöllen auf deutsche Autos, noch verhängen sie Sanktionen gegen Nord Stream 2.

Und dann folgt eine Phase gegenseitiger Enttäuschung, ähnlich wie 2009 nach der Wahl Barack Obamas. Jede Seite erwartet von der anderen, dass die sich bewegt und man selbst die gewohnte Politik fortsetzen kann.

Die Amerikaner werden sagen: Wir verstehen, dass ihr nicht Trump (damals: George W. Bush) zuliebe das Verteidigungsbudget erhöht und mehr Eigenverantwortung übernehmt. Aber jetzt, wo Biden (damals Obama) regiert, könnt ihr uns entgegenkommen. Wir verstehen, dass ihr Trumps Decoupling gegen China nicht mitmacht. Aber wir möchten, dass ihr mit uns Druck auf Peking ausübt, um zu einem „Level playing field“, fairen Handels- und Investitionsregeln, zu kommen. Dazu gehört, dass China sich als größter Verschmutzer am Klimaschutz beteiligt, nicht erst 2060, sondern jetzt.

Die Deutschen tendieren jedoch dazu, die Hauptschuld für alle Probleme bei Trump (damals: Bush) zu verorten, die eigenen Beiträge zur Verschlechterung der Beziehungen weitgehend zu ignorieren und so zu tun, als ob nur ein Politikwechsel in den USA nötig sei.

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Obama hatte erwartet, dass die EU und Deutschland als einflussreichstes Mitglied die Verantwortung für die globale Ordnung mit den USA teilen. Die EU hat eine ebenso große Wirtschaftskraft, warum entwickelt sie da nicht mehr Ehrgeiz? Obama wandte sich bald enttäuscht ab, weil die EU sich vor allem mit sich selbst beschäftigt und ihre Entscheidungsmechanismen so schwerfällig sind. Muss das mit Biden auch so kommen?

Deutschland verdankt seinen Erfolg als Exportnation auch den USA

Gerade Deutschland verdankt seinen Erfolg als Exportnation, der wiederum die Grundlage für seinen Wohlstand und seine Sozialsysteme ist, der internationalen, regelbasierten Ordnung. Sie wird zu einem Gutteil von den USA getragen. China respektiert diese Ordnung nur, wo es Vorteile davon hat. Nicht aber, wo Regeln und Verträge hinderlich sind, vom Klimaschutz über die Marktöffnung nach WTO-Vorgaben bis zur Autonomie Hongkongs.

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Deutschland muss zudem einkalkulieren, dass es bei zahlreichen Konfliktthemen mit den USA nicht auf Rückendeckung der EU-Partner rechnen kann. Frankreich, Polen und andere halten Nord Stream für schädlich; sie fordern wie die USA größere Beiträge Deutschlands zur gemeinsamen Sicherheitspolitik und im Umgang mit China und Russland. Nach einem Biden-Sieg beginnt der Wettlauf der Europäer, sich ihm als der verlässlichste Partner in Europa anzudienen – verlässlicher als Deutschland.

Deshalb sollte die Devise in Berlin sein: Prioritäten definieren, was Biden gegenüber Europa anders machen soll. Und zugleich Angebote machen, wo Deutschland zu Entgegenkommen bereit ist. Ganz voran in der Verteidigung- und Bündnispolitik, gegenüber China und bei Nord Stream 2.

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