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Sie wollen mehr richten: Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz.

© Fabrizio Bensch/PoolReuters

Harter Lockdown per Bundesgesetz: Ein bedenklicher Automatismus

Der Bund will mit der Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes Länder und Kommunen an die Kandare nehmen. Doch wo ist der Mehrwert? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Deutschland ist seit Ende Oktober vorigen Jahres in einem Lockdown. Es geht nun auf ein halbes Jahr zu, dass das öffentliche und auch private Leben massiv eingeschränkt ist. Orte der Kultur und die Gastronomie sind weitgehend dicht, viele Geschäfte dauerhaft geschlossen. Und nun soll es nochmals eine Verschärfung geben.

Begründet wird das von der Bundesregierung damit, dass die Länder die bestehenden Maßnahmen zu unterschiedlich umgesetzt hätten. Von oben herab erklärt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einige der Ministerpräsidenten quasi zu dummen Jungs und Mädels, die im Gegensatz zu ihm und anderen Bundesgrößen den Ernst der Lage nicht richtig einzuschätzen wüssten.

Was haben sie gemacht in den Ländern? Sie haben die bisherigen Maßnahmen alle umgesetzt, wenn auch nicht immer ganz so einheitlich, streng oder konsequent, wie man sich das im Regierungsviertel in Berlin gewünscht hat. Sie mussten das allerdings auch nicht. Sie haben einen Ermessensspielraum. Aber weil sie individuell regelten, wird nun fast der Eindruck vermittelt, die Infektionszahlen stiegen allein deswegen. Das aber ist falsch.

Wir sind in diese dritte Welle der Pandemie nicht nach „Lockerungsorgien“ der Länder geraten. Als die Inzidenzwerte  vor einigen Wochen nach unten wiesen, sind die ersten Schritte heraus aus dem sehr harten Lockdown einvernehmlich beschlossen worden. Aber nun will der Bund, voran die Kanzlerin, einen weiteren harten Lockdown. 

Was soll man noch schließen?

Aus den Ländern ist der Seufzer zu hören, was man denn eigentlich noch schließen solle. Ausgangssperren unter anderem sollen es nun richten. Ab einer Inzidenz von 100 auf Kreisebene. Ob Gerichte das Einsperren bei einem solchen Wert schon billigen? Die prüfen auch die Verhältnismäßigkeit.

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Wie sieht die Einheitlichkeit der Realität aus? Der Anteil der Covid-Patienten in den Krankenhäusern der Land-  und Stadtkreise lag am Freitag zwischen null und 80 Prozent. Bei den Intensivbetten, die gar nicht belegt sind, war der Anteil zwischen 60 und null Prozent. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag am Freitag zwischen 20,4 im Landkreis Schleswig-Flensburg und bei 571,7 im Stadtkreis Hof.

Lokal geht schon viel

Was im Fränkischen dringend nötig ist, braucht man im hohen Norden nicht. Und woran es in Hof liegt, ganz oben in Bayern, wie es gerne heißt, wissen die Verantwortlichen dort am besten. Sie haben über das Infektionsschutzgesetz jede Menge Möglichkeiten, die Situation in den Griff zu bekommen – und zwar im Stadtkreis selbst. Bis hin zu lokalen Ausgangssperren.

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Dass die Notbremsen-Regelung nun ins Bundesgesetz geschrieben werden soll, ist grundsätzlich zwar nichts Schlimmes. Dort stehen schon andere Vorgaben, die mit exakten Inzidenzwerten unterlegt sind. Pandemieschutz ist auch, was die gesetzlichen Regelungen angeht, Sache des Bundes – da reicht als Begründung die „Natur der Sache“. Viren kennen keine Grenzen. 

Bedenkliche Eile

Aber sie schlagen eben örtlich unterschiedlich zu. Das ordentlich in den Griff zu bekommen, ist dann Sache der Länder und Kommunen. Sie sind schlicht näher dran am Infektionsgeschehen, das auch ab einem Inzidenzwert von 100 so einheitlich nicht ist. Das ist der Vorteil von Bundesstaat und kommunaler Selbstverwaltung. 

[Mehr zum Thema mit T+: .„Wäre die Priorisierung nicht so starr, könnten wir auch schneller impfen“ - Lesen Sie hier ein Interview mit einem niedergelassenem Arzt zur Impfkampagne.]

Man wird den Verdacht nicht los, dass dieses Gesetzesverfahren, dass da nun in einem bedenklichen Sauseschritt durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden soll, eine Ersatzhandlung ist. Die Kanzlerin will offenkundig den Eindruck verwischen, der nach dem Osterruhe-Debakel entstanden ist – dass sie sich in ihrem Drang nach harten Maßnahmen verrannt hat.

Was nun offenbar im Gesetz stehen soll, ist im Kern die Bund-Länder-Beschlusslage, die seit Wochen gilt – minus Ermessensspielraum, plus starrem Automatismus. Welchen Mehrwert diese Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes bringen soll, ist ein Rätsel. 

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