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Als CSU-Chef auch selbst unter Druck: Bundesinnenminister Horst Seehofer.

© Carsten Koall/dpa

Flüchtlingsstreit in der Union: Seehofers Provokation und Merkels Furcht

Der Bundesinnenminister hat eine Eskalation im Asylstreit mit der Kanzlerin provoziert. Als CSU-Chef steht er selbst unter Druck. Eine Analyse.

Von Antje Sirleschtov

Bis zum 14. Oktober ist es zwar noch eine Weile hin. Wer allerdings auf den Kalender des politischen Berlin schaut, der weiß, dass die Sommerpause naht und die Zahl der Gesetze, die es bis zum Herbst in den Bundestag schaffen, begrenzt sein dürfte.

Dieser Blick auf den Kalender wird wohl nicht nur in München zu erhöhter Nervosität führen, wo der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bei der Wahl am 14. Oktober um die Alleinherrschaft der CSU bangen und ein Erstarken der AfD befürchten muss. Auch bei den Christsozialen in Berlin wächst das Unbehagen – in der CSU-Landesgruppe im Bundestag genauso wie beim Vorsitzenden der CSU selbst, Horst Seehofer. Der nämlich hatte bei seiner Ernennung zum Bundesinnenminister vor drei Monaten eine „grundlegende“ Veränderung der Asylpolitik angekündigt, was im Koalitionsvertrag in dem Versprechen festgehalten wurde, die „Situation 2015“ dürfe sich „nicht wiederholen“.

Geliefert hat der Bundesinnenminister seither aber fast nichts. Statt schnellerer Asylverfahren tauchen täglich neue Belege für die systematischen Probleme beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) auf. Die meisten Bundesländer torpedieren Seehofers Pläne zur Schaffung von Ankerzentren, in denen rasch entschieden werden soll, wer Asyl bekommt und wer abgeschoben wird. Auch eine einvernehmliche europäische Migrationspolitik ist kurzfristig nicht zu erkennen. Mit einem „Masterplan Migration“ wollte Seehofer wenigstens Entschiedenheit und Handlungsfähigkeit beweisen.

Nun ist auch dieses Vorhaben gescheitert. Vorerst jedenfalls. Mit seinem Ziel, in Zukunft wieder Asylbewerber, die schon in einem anderen EU-Land ihren Fingerabdruck im Register Eurodac hinterlassen haben, an der deutschen Grenze zurückzuweisen, blitzte der Innenminister bei der Kanzlerin ab. Angela Merkel fürchtet Krach mit Italien oder Griechenland, wenn deutsche Polizisten Flüchtlinge an den Grenzen abweisen und eine europäische Asyllösung dann unmöglich wird.

Keinen Kompromiss gesucht

Warum der Innenminister in seinem Masterplan die Zurückweisung der Flüchtlinge nicht an Bedingungen geknüpft hat, ist offen. Er hätte sich diese Entscheidung vorbehalten können, wenn es keinen kurzfristigen Erfolg der europäischen Asylpläne gibt oder die Zahl der Flüchtlinge an die im Koalitionsvertrag beschriebene Obergrenze von 220.000 herankommt. Mit beidem hätte die Kanzlerin vielleicht sogar leben können. Schließlich drängen auch Merkels eigene Parteifreunde auf Entscheidungen, die der Bevölkerung signalisieren, dass die Regierung Lösungen in der Flüchtlingsfrage erreicht. Auch die CDU steht bei ihren Wählern im Wort, den Zuzug von Asylbewerbern zu kontrollieren und zu begrenzen.

Statt unionsinterne Kompromisse zu suchen, hat Seehofer seinen Masterplan jedoch am Montag vom Terminplan genommen. Und damit eine Eskalation provoziert, die manchen an die erbitterte Feindseligkeit zwischen Merkel und Seehofer erinnert, als der der Kanzlerin auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise vorwarf, mit der Grenzöffnung eine „Herrschaft des Unrechts“ heraufbeschworen zu haben.

Sprengt die Grenzfrage gerade mal drei Monate nach der Regierungsbildung, die gesamte Koalition – nachdem CDU und CSU doch lange vorher einen Kompromiss für ihren Streit in der Asylpolitik gefunden hatten, von dem man hoffte, dass er trägt? CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zeigte sich am Dienstag jedenfalls unnachgiebig. Andere Länder wiesen Flüchtlinge zurück, Frankreich allein 85.000 im vergangenen Jahr. Auch an den deutschen Grenzen müsse nun endlich „die Ordnung wiederhergestellt“ werden.

Abwarten, bis die Obergrenze gerissen wird, ist für Dobrindt keine Option. Und an eine absehbare europäische Einigung glaube er nicht. Deshalb werde die CSU nicht nachgeben. Seehofers Grenzpläne würden von der CSU „einhellig“ unterstützt. „Wir setzen das durch.“ Wie das geschehen soll und wann? Dobrindt verweist auf „einen Prozess“. Seehofer und Merkel seien in Gesprächen, wer den Satz „2015 darf sich nicht wiederholen“ ernst meine, müsse jetzt handeln.

Die Kanzlerin hat er damit wohl genauso gemeint wie den CSU-Vorsitzenden. Dessen politisches Schicksal hängt auch vom Ergebnis der Wahl am 14. Oktober ab. Dobrindt weiß das und erhöht den Druck. Genauso wie Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber. Eine „Schicksalsfrage“ sei die Grenzentscheidung, bei der es „um die politische Substanz der CSU“ gehe.

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