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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will erst Reformen, bevor es zur EU-Erweiterung kommt.

© imago images/PanoramiC

Frankreichs Staatschef Macron: L’Europe, c’est moi

Macron sieht sich trotz des Erweiterungs-Streits mit Kanzlerin Merkel als treibende Kraft der EU. Frankreichs Präsident plant ein Europa-Treffen in Paris.

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim letzten EU-Gipfel im vergangenen Monat vor die Medienvertreter traten, hätte der Unterschied kaum größer sein können. Macron sprach von „mehr Integration“, „mehr Kohärenz“, und einer „Vision von Europa“. Merkel ging hingegen ausführlich auf den Status der EU-Kandidaten Albanien und Nordmazedonien ein. So sagte die Kanzlerin, dass es im „europäischen Interesse“ sei, „diese Länder auch in die Europäische Union eingebunden zu haben“.

In der Nacht zuvor hatte Macron gemeinsam mit dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte und der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien blockiert. Merkel hatte sich in der Diskussion mit den übrigen Staats- und Regierungschefs der EU besonders vehement dafür eingesetzt, den westlichen Balkan nicht unter den Einfluss Russlands oder Chinas geraten zu lassen und deshalb die lange versprochenen Beitrittsgespräche mit Skopje und Tirana zu beginnen. Doch Macron stellte sich quer.

In der Erweiterungsfrage bleibt Macron sich treu

In der Erweiterungsfrage ist ein Streit zwischen Berlin und Paris hochgekocht, der seit dem Beginn der Amtszeit Macrons im Jahr 2017 schwelt. Eigentlich kann in Berlin niemand überrascht sein, dass Macron vorerst nichts von einer Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien wissen will. Schon bei seiner Rede an der Pariser Universität Sorbonne, bei der Frankreichs Präsident im September 2017 seine Ideen für die Erneuerung Europas skizzierte, spielte die Erweiterung der EU eine wichtige Rolle. Macron sprach sich in der Rede zwar dafür aus, dass sich die Europäische Union für die Balkanländer öffnen müsse. Aber er forderte gleichermaßen ein „vereintes und differenziertes Europa“ – mit der Euro-Zone als Kern.

Damals wie heute lautet Macrons Botschaft, dass die EU erst einmal handlungsfähiger werden müsse, bevor sie neue Mitglieder aufnimmt oder auch nur weitere Beitrittsgespräche startet. Auch beim letzten Brüsseler EU-Gipfel argumentierte er, dass die EU mit ihren 27 Mitgliedern – also ohne das scheidende Großbritannien – schon nicht richtig funktioniere. „Wie soll man dann erklären, dass es besser mit 28, 29, 30, 32 Mitgliedern läuft?“, lautete die rhetorische Frage des Staatschefs.

Dass beim jüngsten Treffen in Brüssel der Zwist zwischen der Kanzlerin, die zumindest die Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien beginnen möchte, und dem nach inneren EU-Reformen strebenden Präsidenten offen zutage trat, hängt auch mit der Gipfelregie zusammen. Der scheidende EU-Ratschef Donald Tusk, der das Treffen leitete, hätte nach Ansicht des CDU-Bundestagsabgeordneten Gunther Krichbaum erkennen müssen, dass die hohe Zahl von Asylbewerbern aus Albanien in Frankreich ein brennendes Thema darstellt. Tusk habe den Gipfel „lausig vorbereitet“, kritisiert der Vorsitzende des Berliner Europaausschusses. Nach Auffassung von Krichbaum hätte Tusk das Erweiterungsthema gar nicht erst auf die Tagesordnung nehmen dürfen.

Neue Regeln für den Erweiterungsprozess werden gesucht

Als der Scherbenhaufen unübersehbar war, erklärte Merkel am Ende des Gipfels, sie wolle Macron in den nächsten Monaten durchaus bei seinem Wunsch entgegenkommen, neue Regeln beim EU-Erweiterungsprozess auszuarbeiten. Nach Ansicht des Franzosen ist es ein Fehler, dass der Beitrittsprozess gegenwärtig irreversibel ist. Der Staatschef will hingegen sicherstellen, dass einmal begonnene Beitrittsgespräche auch wieder abgebrochen werden können.

Wenn es um ein Nachdenken über die künftige Gestaltung von Beitrittsgesprächen geht, kann Merkel einerseits darauf bauen, dass Berlin und Paris zuletzt immer wieder Kompromisse gefunden haben. So einigten sich die Kanzlerin und der Präsident im vergangenen Monat bei einem Gipfeltreffen in Toulouse beispielsweise auf gemeinsame Regeln bei der umstrittenen Rüstungsexportpolitik.

Der Konflikt sitzt tief – es geht um das Konzept für die EU

Allerdings geht der Konflikt zwischen Berlin und Paris um die künftige Gestalt der EU tiefer. An der Erweiterungsfrage entzünden sich zwei unterschiedliche Konzepte zur Zukunft Europas. Wenn Macron von „mehr Integration“ und „mehr Kohärenz“ spricht, dann stellt er sich beispielsweise in der Verteidigungspolitik vor, dass „willige“ Staaten eine schlagkräftige europäische Eingrifftruppe bilden. Merkels bedächtigere Europapolitik ist dagegen darauf angelegt, einen möglichst großen Kreis von EU-Staaten zusammenzuhalten. Sie hat nichts dagegen, dass dieser Kreis mittelfristig mit den Staaten des westlichen Balkans noch größer wird, zumal dies dem Frieden in der unruhigen Region dient.

Europapolitiker Krichbaum: Berlin muss sich stärker auf Frankreichs Politikstil einstellen

In dieser Situation ist es nicht gerade hilfreich, dass Macron und Merkel seit der Sorbonne-Rede des Präsidenten in der Europapolitik nie wirklich zueinanderfanden. Erst konnte die Kanzlerin lange Zeit keine Antwort auf den flammenden Europa-Appell des Präsidenten geben, weil sich die Koalitionsverhandlungen in Berlin so lange hinzogen. Dann machte die Bundesregierung schließlich doch bei Macrons Projekt zur Einführung eines eigenen Budgets für die Euro-Zone mit, blieb dabei aber weit unter den Erwartungen aus Paris. Die Folge war eine nachhaltige Irritation in Paris. Mit Blick auf die Atmosphäre zwischen der Bundesregierung und dem Élysée-Palast sagt auch CDU-Mann Krichbaum: „Es leidet ein Stück weit seit vielen Monaten.“

Krichbaum hat sich besonders darüber geärgert, dass es seinerzeit nicht Merkel, sondern die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer war, die Macron antwortete, als der Präsident im Frühjahr in einem Appell, der in Zeitungen in sämtlichen EU-Mitgliedstaaten veröffentlicht wurde, unter anderem einen europaweiten Mindestlohn und eine Agentur für den Schutz der Demokratie forderte. Damit sei Macron von deutscher Seite signalisiert worden, dass er seine Forderungen zur Zukunft Europas nicht als Präsident, sondern im Namen seiner Partei „La République en Marche“ vorgebracht habe.

„Entsetzt“ sei man seinerzeit insbesondere im Elsass über den Gegenvorschlag von Kramp-Karrenbauer gewesen, Straßburg als Sitz des Europaparlaments aufzugeben, erinnert sich Krichbaum. Grundsätzlich empfiehlt der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag der deutschen Seite, die oft mit großer Geste vorgetragenen Vorschläge Macrons nicht einfach abzutun: „Bei uns ist Symbolpolitik eher negativ besetzt. Aber trotzdem muss man sich auf diesen Politikstil in Berlin stärker einstellen.“

Cohn-Bendit: Der Bundesregierung fehlt die Kraft für die Auseinandersetzung

Auch der langjährige Grünen-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit versteht nicht, warum die Kanzlerin bei Macrons Europa-Initiativen nur so halbherzig mitzieht. „Immer heißt es nur: Ja – aber nicht so schnell“, moniert der Macron-Vertraute. „Die Bundesregierung hat einfach nicht die Kraft, die nötige Auseinandersetzung zu führen“, lautet sein Urteil.

Dabei zeigt sich nach den Worten Cohn-Bendits immer mehr, dass die gegenwärtigen Mechanismen bei der Entscheidungsfindung in der EU an ihre Grenzen stoßen. Die Tatsache, dass Ungarns Regierungschef Viktor Orban großes Verständnis für die Politik Russlands in der Ukraine und in Syrien zeigt, durchkreuzt eine gemeinsame EU-Außenpolitik. Zwar wird inzwischen auch in Berlin gefordert, dass sich die EU vom Prinzip der Einstimmigkeit in der Außenpolitik verabschieden solle. Doch geschehen ist bisher in der Praxis nichts.

Macron will Mehrheitsentscheidungen in der Steuerpolitik

Noch ambitionierter ist indes der Vorschlag Macrons, dass die EU künftig auch auf dem Feld der Steuerpolitik Mehrheitsentscheidungen zulassen solle. Bei Ländern wie Luxemburg, Irland und den Niederlanden, die aus niedrigen Steuersätzen eine Art Geschäftsmodell gemacht haben, dürfte der Präsident dabei einen schweren Stand haben. Allerdings hat Macron gerade zum niederländischen Premier Rutte in letzter Zeit ein enges Verhältnis aufgebaut. Immer öfter ist innerhalb der EU zu beobachten, dass Macron und Rutte bei Fragen der Migration, des Klimaschutzes und der Verteidigungspolitik den Schulterschluss suchen.

Das ist nicht erstaunlich, denn beide Politiker gehören im weiteren Sinne zur liberalen Parteienfamilie in Europa. Macron hatte bereits am Rande des letzten EU-Gipfels im Oktober die Idee lanciert, Regierungschefs, Europaabgeordnete und Intellektuelle aus dem Umfeld der Liberalen und Pro-Europäer demnächst nach Paris einzuladen. Das Treffen in der französischen Hauptstadt soll nach Angaben aus dem Élysée-Palast stattfinden, nachdem die neue EU-Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen ihr Amt angetreten hat. Die Teilnehmerliste und das Format des Treffens stehen den Angaben zufolge zwar noch nicht fest, aber eine Teilnahme Ruttes ist nicht ausgeschlossen. Auf der Agenda sollen dabei unter anderem die Digitalisierung, Einwanderungsfragen und die europäische Verteidigungspolitik stehen.

Eines ist jedenfalls angesichts der ehrgeizigen Planungen im Élysée-Palast sicher: An seiner Rolle eines Antreibers in Europa will Emmanuel Macron auch weiterhin festhalten – egal wie sich die Kanzlerin verhält.

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