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Helmut Kohl vor Europa- und Deutschlandfahne.

© AFP

Helmut Kohl: Der ewige Kanzler

Wie wird Helmut Kohl in Erinnerung bleiben? Als ewiger Kanzler, als der Vater der Einheit und als einer von nur drei Ehrenbürgern Europas. Dieses Erbe ist Verpflichtung genug für alle seine Nachfolger.

Da stand er, hoch aufragend am Rhein, dem Fluss der Deutschen, Seite an Seite mit Michail Gorbatschow. Was für ein Bild, der Bundeskanzler und der sowjetische Staatschef. Und das war das Bild, das Helmut Kohl benutzte: So, wie der Rhein ins Meer fließt, so kommen die deutsche Einheit und die europäische Einigung. Man kann den Fluss stauen, sagte Kohl, dann tritt er über die Ufer und zerstört alles, dennoch fließt das Wasser ins Meer. Und Gorbatschow, der ihm zuhörte, widersprach ihm nicht.

Es waren dramatische Tage und dramatische Nächte. Dass die Einheit zu seiner Zeit kommen würde, das hat der Kanzler nicht gewusst. Das wäre einfach unwahr, hat er selbst gesagt. Nur hat damals dieses Gespräch Hoffnung in ihm geweckt, sie genährt, dass es vorangehen könnte, woran er schon noch glaubte, dass es geschehen könnte, irgendwann. Denn wahr ist: Als ihn der Mantel der Geschichte streifte, ihn, den gelernten Historiker, den Herzenseuropäer, da griff er zu. Im Pathos der Stunde war Kohl das, was er besonders gut sein konnte: pragmatisch.

Ja, es lief ihm „kalt den Buckel herunter“, wie er einmal in der Rückschau sagte, aber er hielt fest, was er vor sich sah. Denn die Einheit war herbeigelockt, mit einem Stück Papier, einem Zehn-Punkte-Plan, geschrieben von seiner Frau Hannelore auf einer Reiseschreibmaschine. Dieser Kanzler, der „ein bisschen was von Geschichte verstand, vielleicht mehr als andere in der Politik“, wie er auch sich selber attestierte, war kein Militarist. Er war ein Antiextremist. Er hat die Kommunisten, Sozialisten nie gemocht, aber in diesen Tagen und Nächten mit ihnen die Einheit gemacht. Wenn auch, wie er zu sagen nie vergaß, „der Anfang vom Ende des DDR-Regimes in Moskau geschrieben“ wurde.

Aber das ist Helmut Josef Michael Kohls größtes Verdienst: dass er in einer historischen Situation mit einer glücklichen Konstellation das Beste nicht nur gewollt, sondern geschaffen hat. „Kanzler der Einheit“, die Inschrift zu seinem Denkmal, auch wenn der Mythos in seinen letzten Jahren verblasst war.

Dass er es war, der Konrad Adenauers Satz „Das sind zwei Seiten der gleichen Medaille, deutsche Einheit, europäische Einheit“ zur Realität werden ließ, gehört nicht nur zu dem Sockel, auf dem er steht, sondern ist das Fundament der deutschen Politik in Europa geworden. Seine, Kohls, Wirkung ist bis in die letzten Tage zu besichtigen. Ein Deutschland ohne Europa, ein Europa ohne die guten Europäer, ist nicht mehr vorstellbar. Aber bis zuletzt hat er befürchtet, es könnte so kommen, dass man ihm sein Europa kaputt macht.

Sein Machtwille ist Legende, sein Gedächtnis auch

Und dann erhob er, der malade Riese, das eingestürzte Massiv, noch einmal seine brüchige Stimme. Da sollte sich keiner und keine am Geschenk der Geschichte versündigen, wie er es empfand. Als ein Glück außerdem, „das, was der Alte Fritz Fortüne genannt hat“.

Sein Machtwille ist Legende, viele haben ihn gespürt, sein Gedächtnis auch. Kohl vergaß nichts und niemanden, im positiven wie im negativen Sinn. Keiner hat die christdemokratische Partei je so gut gekannt wie er, ihre Menschen wohlgemerkt. Er war es, der die Stärken und die Schwächen aller um ihn herum erkannte und nutzte. Er war ein Reformer, zu Beginn seiner großen Zeit, damals in Rheinland-Pfalz, und er war zugleich einer, der stehen blieb. Im besten wie im anderen Sinn. Am Ende seiner schier unendlichen Kanzlerschaft – 16 Jahre lang – stand ein Reformstau. Und die Partei mochte nicht länger zu ihrem Monolithen aufschauen. Aber auch sein politisches Ende hatte er vorhergesehen. Er schrieb auf einen Bierdeckel: „Schröder wartet bis 1998.“

Vergesslich war er nur in einem, und das vergaß ihm die Politik auch nie: das Geld in schwarzen Kassen. In Ehren verabschiedet worden war er, nur wurde er in Unehren abgeschoben. Aber Kohl wäre nicht Kohl gewesen, hätte er sich deshalb noch geändert. „Man braucht einen starken Willen und Stehvermögen“, hat er vor Jahrzehnten über die Voraussetzung für seine Ämter gesagt. Mochte es ihn auch ärgern, wie alte Vertraute sich von ihm abwandten – den Weg zur Selbstkritik fand er nicht. Das Geheimnis der schwarzen Kassen blieb zu seinen Lebzeiten gehütet.

Wie wird er in Erinnerung bleiben? Als ein ewiger Kanzler, als der Vater der Einheit und als einer von nur drei Ehrenbürgern Europas. Dieses Erbe – und nur dieses – ist Verpflichtung genug für alle seine Nachfolger. Dafür – und nur dafür – gilt der altrömische Satz, die höchste Ehre für einen Politiker: Helmut Kohl hat sich um die Republik verdient gemacht.

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