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Vor allem die Bevölkerung in Afrika wird in den nächsten Jahrzehnten stark wachsen.

© Farran/AFP

Update

Internationaler Weltbevölkerungstag: Drei Erden für die Menschheit

Heute leben so viele Menschen wie nie – und jede Minute sind es 159 mehr. Schon bald könnten die Ressourcen unseres Planeten nicht mehr ausreichen. Aber es gibt Lösungen

Eigentlich bräuchte die Menschheit eine weitere Erde. Oder, wenn man einmal dabei ist, besser gleich zwei oder drei: „Machen wir so weiter wie bisher, benötigen wir im Jahr 2030 zwei komplette Planeten“, schreibt der WWF zu seinem Living Planet Report 2014, „Bis zum Jahr 2050 wären es knapp drei Erden.“ Dass die Menschheit immer mehr Ressourcen verbraucht, liegt nicht zuletzt daran, dass sie immer größer wird.

Um auf die Probleme aufmerksam zu machen, die damit verbunden sind, wurde 1989 der 11. Juli zum Internationalen Weltbevölkerungstag erklärt. Lebten zu Beginn des Jahres 2016 noch 7,4 Milliarden Menschen auf der Erde, gehen die UN in ihrer aktuellen Schätzung davon aus, dass die Zahl bis 2100 auf 11,2 Milliarden steigen wird.

60 Prozent der Menschheit leben in Asien

Woher dieses Wachstum kommt? Aus Deutschland jedenfalls nicht: Die Zahl der Menschen, die hier leben, schrumpft. In manchen Gebieten rechnen Wissenschaftler bis 2050 mit einem Schwund von bis zu 42 Prozent: „Entleerungsgebiete“, heißt das im Fachjargon.

„In immer mehr Ländern schrumpft die Bevölkerung, beziehungsweise wächst nicht mehr“, erklärt Renate Bähr, die Geschäftsführerin der Stiftung Weltbevölkerung. Wachstum gebe es vor allem in den ärmsten Ländern: „60 Prozent der Menschheit leben heute in Asien, 16 in Afrika.“ Und während Asiens Anteil den UN zufolge bis zum Jahr 2100 auf 44 Prozent sinkt – obwohl die Bevölkerung weiterwächst – wird in Afrika ein enormer Anstieg erwartet: Von 16 auf 40 Prozent der Weltbevölkerung, von 1,2 Milliarden auf 4,4.

Schon heute sind die Menschen auf der Erde höchst unterschiedlich verteilt.
Schon heute sind die Menschen auf der Erde höchst unterschiedlich verteilt.

© TSP

Während Europas Anteil schrumpft, steigt Afrikas Anteil von 16 auf fast 40 Prozent.
Während Europas Anteil schrumpft, steigt Afrikas Anteil von 16 auf fast 40 Prozent.

© TSP

Warum wir wachsen

Für das Bevölkerungswachstum in Entwicklungsländern gebe es drei Ursachen, so Renate Bähr. Etwa 40 Prozent der Kinder würden aufgrund der Altersstruktur geboren: In den meiste Entwicklungsländern leben viele junge Menschen. Die würden sich ihrerseits Nachwuchs wünschen und ihr erstes Kind schon sehr früh bekommen.

Weitere 30 Prozent der Geburten gingen zurück auf den „ungedeckten Bedarf“: Auf Frauen, die nicht verhüten können, obwohl sie gerne würden. Und dann schwanger werden.

Die schließlichen 30 Prozent der Kinder würden geboren, weil Frauen Entwicklungsländern tendenziell mehr Kinder wollten als Frauen in Industrieländern. Was unter anderem auf die hohe Kindersterblichkeit zurückzuführen sei. Und da es in den meisten dieser Länder kein Rentensystem gibt, gelten Kinder nicht nur als Segen Gottes, sondern auch als Absicherung für das Alter.

Viele Junge, wenige Alte – viele Alte, wenige Junge

Dass eine unausgeglichene Altersstruktur zu Problemen führen kann, verdeutlicht ein Vergleich zwischen Niger und Deutschland: In Deutschland sind nur 13 Prozent der Menschen jünger als 15, aber 21 Prozent über 64 Jahre alt. Hier spricht man von Überalterung. In Niger hingegen, sind 52 Prozent der Bevölkerung jünger als 15, und nur vier Prozent über 64 Jahre alt. Das Land hält den Rekord der jungen Leute – der weltweite Durchschnitt ist mit 25 Prozent kaum halb so groß.

Der europäische Durchschnitt ist sogar noch geringer: Hier sind 16 Prozent unter 15 – aber 17 Prozent  über 64. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Kosovo, wo 28 Prozent jünger sind als 15, und nur sieben Prozent älter als 64. „Heute lebt die größte Jugendgeneration aller Zeiten“, sagt Renate Bähr, „Mehr junge Menschen auf einmal gab es noch nie.“ Vor allem Mädchen seien durch den „Überschuss“ heute eindeutig benachteiligt: „Sie werden schlechter ausgebildet als ihre Brüder und auch schlechter ernährt.“

Im Gegensatz zu Ländern wie Niger haben andere afrikanische Länder wie Kenia ein funktionierendes Bildungssystem.
Im Gegensatz zu Ländern wie Niger haben andere afrikanische Länder wie Kenia ein funktionierendes Bildungssystem.

© REUTERS

220 Millionen Frauen würden verhüten, wenn sie könnten

Auch die Verhütung ist nach wie vor problematisch. Zwar beschlossen Vertreter aus 179 Staaten auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994, dass bis 2015 alle Frauen, die verhüten wollen, es auch können sollten. Aber ein Jahr nach der Ziellinie, im Jahr 2016, ist das noch weit entfernt: In Entwicklungsländern könnten 220 Millionen Frauen nicht verhüten, obwohl sie gerne würden, sagt Bähr. Das sei jede vierte Frau.

Und der Stiftung Weltbevölkerung zufolge, werden jedes Jahr 80 Millionen Frauen ungewollt schwanger. Bähr fasst zusammen: „Es gibt Studien ohne Ende, die zu dem Schluss kommen, dass Frauen weniger Kinder hätten, wenn sie selbst über Verhütung entscheiden könnten.“

Doch diese Entscheidung wird ihnen oft verwehrt: Im wirtschaftlich angeschlagenen Venezuela kosten Kondome mittlerweile mehr als 600 Dollar. Und in vielen afrikanischen Ländern mangelt es nicht nur an der regelmäßigen Verfügbarkeit, sondern auch an der Toleranz: „Keine Kinder zu haben, ist für die jungen Frauen in diesen Ländern ein großes Stigma. Die Verwandten wollen das nicht sehen“, so Bähr.

"Wo die Kindersterblichkeit hoch ist, sorgen Familien vor"

Die hohe Kindersterblichkeit trage ebenfalls dazu bei, dass Frauen in Entwicklungsländern tendenziell mehr Kinder wollten als in Industrieländern. „Wenn eine Frau sich sicher sein kann, dass alle ihre Kinder überleben, will sie weniger bekommen. Aber wo die Kindersterblichkeit hoch ist, sorgen Familien vor. Viele Kinder zu haben, ist für sie eine Art Sicherheit.“

Der weltweite Durchschnitt betrage zweieinhalb Kinder pro Frau, schreibt die Stiftung Weltbevölkerung. In Deutschland bekommen Frauen durchschnittlich nur 1,4 Kinder. In den 49 am wenigsten entwickelten Ländern allerdings, sind es mehr als vier. Und in Niger kommen Frauen sogar auf rund acht. Und während die Säuglingssterblichkeit im weltweiten Durchschnitt bei 0,3 Prozent der Lebendgeborenen liegt, beträgt sie im Niger das Zwanzigfache: Sechs Prozent. Und in der Zentralafrikanischen Republik beträgt sie sogar 11 Prozent – mehr als jedes Zehnte Kind stirbt hier bereits im Säuglingsalter.

Hauptgewinn der Sterilisationslotterie: Ein neues Auto

Anstatt Verhütung zu ermöglichen, kritisiert Bähr, würde es immer so dargestellt, als könnte man nur mit drastischen Mitteln wie der chinesischen Ein-Kind-Politik etwas gegen das Bevölkerungswachstum tun. Weil die chinesische Bevölkerung überaltert und in ihrer Zahl schrumpft, wurde diese Politik inzwischen auf zwei Kinder erhöht. Doch die UN gehen davon aus, dass China im Jahr 2022 trotzdem als bevölkerungsreichstes Land abgelöst wird: Von Indien. Obwohl der indische Staat sich einiges einfallen lässt, um das Wachstum zu verlangsamen.

Indien versucht mit ungewöhnlichen Methoden, das Bevölkerungswachstum zu verlangsamen.
Indien versucht mit ungewöhnlichen Methoden, das Bevölkerungswachstum zu verlangsamen.

© AFP

Wie die ARD berichtete, bekommen Inder 600 Rupien auf die Hand, wenn sie sich sterilisieren lassen – das entspricht in etwa dem Tagessatz eines Arbeiters im Süden des Landes. Und im Bundesstaat Rajasthan gibt es sogar eine Sterilisations-Lotterie: Wer die Behandlung durchführen lässt, kann ein neues Auto gewinnen, zusätzlich zu den 600 Rupien.

Die Universallösung

Die UN rechnen damit, dass die Kinderzahl pro Frau auch in Entwicklungsländern sinken wird. Das beruht allerdings auf bestimmten Annahmen: „Die UN haben in ihren Projektionen umfassende Entwicklungshilfe zur Verbesserung der Gesundheit, für Familienplanung und Frauenförderung eingeplant“, sagt Renate Bähr, „Damit die Kinderzahl tatsächlich sinkt, muss diese Hilfe auch geleistet werden.“

Über sieben Millionen Minderjährige würden jährlich ein Kind bekommen – und müssten deshalb ihre Ausbildung abbrechen, falls sie als Mädchen überhaupt eine anfangen konnten. Dabei sei die Bildung der Frauen am wichtigsten, gibt Reiner Klingholz zu bedenken, der Geschäftsführer des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. „Wenn Mädchen die Chance haben, eine Sekundarschule zu besuchen, halbieren sich die Kinderzahlen in etwa.“

Zudem steige die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Neugeborenen um 100 Prozent, wenn die Mutter eine Sekundarschule besucht hat. Was unter anderem daran liege, dass gebildete Menschen Wissen besser einordnen könnten und Zusammenhänge verstehen: „Beispielsweise, dass das Abkochen von Wasser Keime vernichtet, oder was Impfungen bewirken.“ Der Einfluss der Väter sei hingegen begrenzt, weil sie weniger Zeit mit den Kindern verbrächten: „Alles, was man sozial vererben kann, geht im Wesentlichen über die Mütter“, sagt Klingholz.

Aktuell, so zählt die UN Population Division, wird die Menschheit pro Minute um 159 Menschen zahlreicher – das sind etwa 83 Millionen pro Jahr. 2006 waren es noch 144 pro Minute, also rund 76 Millionen jährlich. „Wir sitzen auf einem begrenzten Planeten, der nur begrenzt Menschen tragen kann“, kommentiert Reiner Klingholz, „Wenn wir nichts unternehmen, steuern wir also auf ein Problem zu – in jeder Hinsicht.“

Der Geozid der Industrieländer

Nach Einschätzungen des Weltklimarats (IPCC) ist Afrika der durch den Klimawandel am meisten bedrohte Kontinent: Rund 70 Prozent der Bevölkerung leben von Landwirtschaft – durch das veränderte Klima könnte im südlichen Afrika die durchschnittliche Produktivität der Landwirtschaft bis 2080 um 14 Prozent sinken.

Dabei trage Afrika kaum zum weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen bei: Mit nur drei Prozent der internationalen Gesamtmenge. Allein in Deutschland würden pro Kopf jährlich etwa zehnmal so viele Treibhausgase ausgestoßen wie in Afrika südliche der Sahara. Der Klimawandel, wegen seiner vernichtenden Wirkung auch Geozid genannt, wird nämlich von den Industrienationen verursacht – also von einem kleinen Teil der Weltbevölkerung, zum Nachteil des größeren.

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