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Das inzwischen renovierte "Bataclan" bleibt am Jahrestag des Anschlags für die Öffentlichkeit geschlossen.

© imago/PanoramiC

Jahrestag des Terrors von Paris am 13. November: Der Ausnahmezustand ist zur Regel geworden

Heute jährt sich zum ersten Mal der verheerendste Anschlag der französischen Nachkriegsgeschichte. Frankreichs Gesellschaft hat sich widerstandsfähig gezeigt.

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Politische Erklärungen zum Jahrestag des 13. November soll es an diesem Wochenende in Frankreich nicht geben. Vor einem Jahr starben bei islamistischen Anschlägen vor dem Stade de France, vor den Cafés im Osten der Hauptstadt und im Konzertsaal „Bataclan“ in Paris 130 Menschen. Anschließend verhängte François Hollande einen Ausnahmezustand, der bis heute gilt. Es gäbe also einiges, was Frankreichs Staatschef am Jahrestag des verheerendsten Angriffs im Nachbarland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hätte einordnen und erklären können. Aber die Angehörigen der Opfer waren dagegen, dass an diesem Sonntag große Reden gehalten werden. Der Jahrestag der Anschläge wird vor allem im Zeichen des stillen Gedenkens stehen.

"Bataclan" wird am Samstag mit Sting-Konzert wiedereröffnet

So soll das inzwischen renovierte „Bataclan“, wo vor einem Jahr 90 Menschen starben, nach dem an diesem Samstag stattfindenden Wiedereröffnungskonzert mit dem britischen Sänger Sting am Jahrestag selbst für die Öffentlichkeit geschlossen bleiben. Hollande will sich am Sonntag mit der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo zu den verschiedenen Orten begeben, wo die Terroristen seinerzeit zuschlugen. Dort sollen Gedenktafeln mit den Namen der Opfer enthüllt werden.

Ausnahmezustand gilt zunächst bis Januar 2017

Aber auch ohne eine öffentliche Ansprache des Präsidenten ist den Franzosen bewusst, wie sehr sich ihr Land seit dem 13. November 2015 verändert hat. Unmittelbar nach den Anschlägen, zu denen sich die Terrormiliz „Islamischer Staat“ bekannte, hatte Hollande seinerzeit von einem „Kriegsakt“ gesprochen. Der Ausnahmezustand, der Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung ermöglicht, hätte ursprünglich im vergangenen Juli auslaufen sollen. Doch raste am 14. Juli, dem Nationalfeiertag, ein Islamist in Nizza mit einem Lkw durch eine feiernde Menschenmenge und tötete 86 Menschen. Daraufhin wurde der Notstand für weitere sechs Monate bis Ende Januar 2017 verlängert.

Aber nicht nur der Ausnahmezustand ist für die Franzosen seit einem Jahr zum Normalfall geworden, sondern auch der Gedanke, dass die Terrorwelle wahrscheinlich noch nicht vorbei ist. Wenige Tage nach dem Anschlag von Nizza sagte Regierungschef Manuel Valls, es werde weitere Attentate geben, und es würden weitere unschuldige Menschen sterben. „Wir dürfen uns an diese Bedrohung nicht gewöhnen, aber wir müssen lernen, mit ihr zu leben“, sagte Valls damals.

Französische Gesellschaft zeigt sich widerstandsfähig

Trotz allem zeigt sich die französische Gesellschaft erstaunlich widerstandsfähig. Unter den Attentätern vom 13. November befanden sich auch mehrere junge Franzosen und Belgier mit arabischen Wurzeln. Aber dennoch hat sich der Großteil der Bevölkerung anschließend nicht zum Hass gegen die Muslime im eigenen Land aufstacheln lassen. Im vergangenen Monat gab die Beobachtungsstelle „Observatoire de l’Islamophobie“ bekannt, dass die Zahl der Straftaten gegen Muslime in Frankreich in diesem Jahr im Vergleich zu 2015 ganz erheblich zurückgegangen ist.

Dennoch ist Frankreich heute weit von dem Zustand entfernt, wie er noch vor dem Beginn der Anschlagsserie herrschte, die mit dem islamistischen Angriff auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 ihren Anfang genommen hatte. Das gesamte politische Koordinatensystem hat sich seither nach rechts verschoben. Wie sehr das Verhältnis zum Islam die Gemüter bewegt, zeigte sich im vergangenen Sommer. Da lieferte sich das Land eine erregte Debatte, ob Burkinis an französischen Stränden etwas zu suchen haben oder nicht.

Auch für Deutschland hatten die Anschläge vom 13. November in Paris eine unmittelbare Wirkung – nicht zuletzt deshalb, weil die ersten Sprengsätze der Selbstmordattentäter während eines Freundschaftsspiels zwischen Deutschland und Frankreich gezündet wurden und ein Millionenpublikum die Detonationen live miterlebte. Wie tief der Schock nach den Anschlägen auch in Deutschland saß, machte Bundespräsident Joachim Gauck seinerzeit bei einer Rede zum Volkstrauertag zwei Tage nach den Attentaten deutlich. „Wir leben in Zeiten, in denen wir Opfer einer neuen Art von Krieg beklagen“, sagte Gauck.

Auch Sicherheitskreise in Deutschland sehen eine "Zäsur"

Deutsche Sicherheitskreise sagen im Rückblick, die Anschläge vom 13. November „waren auch für uns eine Zäsur“. Aus mehreren Gründen. Anders als nach den schweren Anschlägen in Madrid (2004) und in London (2005) befürchteten die Behörden der Bundesrepublik eine auf ihr Land übergreifende Serie von Angriffen. Am 17. November sagte die Polizei in Hannover das Länderspiel Deutschland – Niederlande wegen Terrorwarnungen ab. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verstärkte mit einer unglücklichen Wortwahl noch die Angst vor Anschlägen, als er am Abend in Hannover auf Fragen von Journalisten sagte, „ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“.

Ein weiterer Anlass für die Nervosität bei de Maizière und Behörden war die Erkenntnis, sich geirrt zu haben. „Unsere Vermutung, der IS werde keine Kämpfer über die Flüchtlingsrouten schleusen, weil die Organisation das nicht nötig habe, wurde mit den Anschlägen vom 13. November widerlegt“, sagt ein hochrangiger Experte. Die Terrormiliz hatte Attentäter über die Balkanroute nach Paris geschickt. Den Behörden wurde klar, dass der IS die Palette seiner Möglichkeiten demonstrieren wollte. Auch in der psychologischen Kriegführung. Indem die Terrormiliz die Ängste in der Bevölkerung vor Attentätern im Zustrom der Flüchtlinge scheinbar bestätigte, verstärkte sie rassistische und vor allem antiislamische Ressentiments. In der Erwartung, die feindselige Stimmung gegen Muslime würde diese veranlassen, sich aus Wut und Trotz dem IS zuzuwenden.

Sicherheitsexperten sprechen auch von einer Zäsur, weil ihnen durch den 13. November noch mal und auf brutale Weise klar wurde, dass bei der Terrorabwehr die Zusammenarbeit der Behörden in Europa gestärkt werden muss. Ausgerechnet am Tag der Anschläge hatten deutsche und niederländische Nachrichtendienstler über eine bessere Kooperation gesprochen. Die Konsequenz: In den Niederlanden hat die europäische „Counter Terrorism Group“, ein Verbund von 30 Nachrichtendiensten, eine Plattform zum schnellen Austausch von Informationen über den Terror eingerichtet.

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