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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

© REUTERS/Youssef Boudlal

Macron-Biografie: Theater der Republik

Niemand kennt Emmanuel Macron wirklich - so lautet das Urteil der Journalistin Anne Fulda über Frankreichs neuen Präsidenten. Ihre Biografie ist jetzt auf Deutsch erschienen.

Emmanuel Macron ist nicht zu fassen. Er ist ein Mann, der auf vielen Klaviaturen gleichzeitig spielen kann. Er war erfolgreich als Investmentbanker bei Rothschild, stieg dann in die Politik ein, wo er im April 2016 mit der Gründung seiner Bewegung „En Marche“ Anlauf auf das Präsidentenamt nahm. Dort ist er angekommen, weil die Franzosen von den althergebrachten Parteien die Nase voll haben, und gerade schafft er sich seine eigene Mehrheit im Parlament.

Dabei ist Macron selbst Teil des Systems. Macron, so schreibt es Anne Fulda in ihrer nun auf Deutsch im Aufbau-Verlag erschienenen Biografie des 39-Jährigen, habe sich „dem System angepasst, das ihn hervorgebracht hat, um sich umso besser von ihm abheben zu können und schließlich sogar als Anti-System-Kandidat aufzutreten“.

Der System-Vertreter Macron als Anti-System-Kandidat

Die Franzosen haben sich dafür entschieden, der Erneuerung und dem vermeintlichen Anti-System-Kandidaten eine Chance zu geben. Doch wer ist der politische Aufsteiger wirklich, der vor einem Jahr einer breiteren Öffentlichkeit noch unbekannt war? Der Journalistin Anne Fulda ist es gelungen, einen Blick hinter die allzu glatte Fassade Macrons zu werfen. Seit vielen Jahren beobachtet sie für den „Figaro“ die politische Szene in Frankreich. Ihr Fazit zur Persönlichkeit des siegreichen Kandidaten wird nicht allen Macron-Fans gefallen: „Niemand kennt ihn wirklich.“

Vor über einem Jahrzehnt geriet die Autorin Anne Fulda selbst wegen einer Liaison mit dem damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy in die Schlagzeilen. Das war kein Zufall: Medien und Politik pflegen in Frankreich eine Nähe, die von vielen Bürgern zu Recht kritisch gesehen wird. Die Nähe zu den Journalisten ist Macrons Vorgänger François Hollande nicht gut bekommen. Mit seinen gelegentlich haarsträubenden Plaudereien, welche die Journalisten Gérard Davet und Fabrice Lhomme in ihrem Buch „Ein Präsident sollte so etwas nicht sagen“ veröffentlichten, machte sich Hollande zum Gespött der Öffentlichkeit. Macron hingegen will Distanz zu den Medien schaffen. Er selbst möchte entscheiden, welches Bild von ihm in der Öffentlichkeit entsteht.

Der Präsident will sein eigenes "storytelling" durchsetzen

Je mehr Macron allerdings sein eigenes "storytelling" betreibt, umso größer ist der Reiz, an der Präsidenten-Fassade zu kratzen. Im Original lautet der Untertitel von Fuldas Buch „Un jeune homme si parfait“ („Ein allzu perfekter junger Mann“), womit der skeptische Blick auf den politischen Blitzaufsteiger deutlich wird. So hinterfragt die Autorin die von Macron im Wahlkampf immer wieder wiederholte Geschichte von der herausragenden Rolle seiner Großmutter „Manette“, die für den jungen Macron wie eine zweite Mutter war und seine Begeisterung für Literatur und Poesie weckte. Anne Fulda hat indes mit den beiden gesprochen, die Macron mit am besten kennen und dennoch bei seinen Wahlkampfreden nicht erwähnt wurden: seinen Eltern, die seit 2010 geschieden sind.

Sein Vater spricht von einer "zurechtgebastelten" Kindheit

Bis heute hat sich der Vater, der Neurologe Jean-Michel Macron, einen „scharfen Blick“ auf seinen Sohn bewahrt. Über das Image seines Sohnes sagt er: „Man hat ihm eine Kindheit mit idyllischen Bildern zurechtgebastelt, die sich gut verkaufen. Mit einer Großmutter, die Lehrerin und einer Urgroßmutter, die Analphabetin war. Ganz im Sinne der Dritten Republik! Und in diesem Schema fliegen die Eltern eben raus!“

Vater Jean-Michel, auch das kommt zur Sprache, war anfangs „etwas fassungslos“, als er von dem Verhältnis seines Sohnes mit seiner Theaterlehrerin Brigitte Auzière an der Jesuitenschule „La Providence“ in Amiens erfuhr. Anders als die Großmutter „Manette“ haben ihm die Eltern die Liebesgeschichte mit der Frau, die er 2007 heiratete, anfangs übel genommen. Das gibt Macron, mit dem Fulda ebenfalls sprach, auch unumwunden zu: „Es ist sehr hart, aber es macht einen stark, so was zu durchleben.“

Dabei besteht die Besonderheit des Ehepaares Macron nach der Auffassung von Fulda gar nicht so sehr in dem Altersunterschied von 24 Jahren, der sie trennt. Bemerkenswert sei vielmehr die Tatsache, dass Brigitte die „Erste, die Einzige, die einzig Wahre“ im Leben Macrons ist – diejenige, für die er sich dafür entschied, auf eigene Kinder zu verzichten. Fulda weist darauf hin, dass die Rolle von Brigitte Macron, die vor wichtigen Reden ihres Mannes quasi als Coach Texte auf Schwachpunkte durchgeht, an ihre Aufgabe als Theaterlehrerin des jungen Macron erinnert. Es war aber keinesfalls Brigitte Macron, die seinen Weg vom Investmentbanking in die Politik befürwortete – eher im Gegenteil. Sie scheint vielmehr diejenige zu sein, die ihren gelegentlich von Hybris befallenen Ehemann erdet. "Er hält sich für Jesus!", sagte sie einmal einem Vertrauten.

Aufrichtige oder gespielte Zuneigung bei Macron?

Zweifellos – und das erklärt auch die Beziehung zur späteren Ehefrau – fühlte sich Macron schon in jungen Jahren stets von Erwachsenen stärker intellektuell angezogen als von Gleichaltrigen. Macron suchte die Nähe von Mentoren, verstand es aber auch, sich rechtzeitig von ihnen abzunabeln. Neben dem großen Talent Macrons für den zwischenmenschlichen Kontakt gibt es bei ihm auch so etwas wie ein Muster, die Nähe von Vaterfiguren zu suchen, die seine Karriere beförderten. Die bekanntesteste unter ihnen ist François Hollande. Erst spät erkannte der frühere Staatschef, dass ihn der Zögling vom Thron stoßen wollte.

Ist der große Kommunikator Macron in Wahrheit einer, der sein Interesse für die Menschen nur spielt – so wie im Theater? Da lässt Anne Fulda einen hochrangigen Manager zu Wort kommen, der den Präsidenten gut kennt: „Emmanuel ist kein Schwindler. Und wo die Grenze zwischen aufrichtiger und gespielter Zuneigung verläuft, lässt sich schwer feststellen.“

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