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Systemrelevant: Ein Viertel des ärztlichen Personals in den reichen Ländern kommt aus dem Ausland und ein Sechstel der Krankenschwestern und Pfleger.

© Waltraud Grubitzsch/pa-dpa

Migration in der Corona-Krise: Weniger Einwanderung wird zum Problem für die reichen Nationen

Immer weniger und gefährdet: Einwanderer halten gerade unter Corona die reichen Staaten am Laufen. Deutschland will mit einer "Digitaloffensive" reagieren.

Bundeskanzlerin hat den Anteil von Migrantinnen und Migranten zur Bewältigung der Corona-Pandemie gewürdigt: Ihre Vereine und Verbände hätten "Multiplikatorenfunktion", sagte Angela Merkel nach dem 12. Integrationsgipfel, zu der sie am Montag etwa 300 Akteure der Einwanderungsgesellschaft ins Kanzleramt geladen hatte.

Die Corona-Krise mache es aber nötig, noch mehr auf die Integration setzen". Gerade Eingewanderte gerieten in der Krise als erste unter Druck, entsprechend gelte "dem Zusammenhalt der Gesellschaft unser besonders Augenmerk", sagte Merkel. "Es bleibt noch sehr, sehr viel zu tun."

Die OECD hatte unmittelbar zuvor vor zurückgehenden Migrationszahlen durch die Corona-Pandemie gewarnt – auch für das Funktionieren und den Wohlstand des reichen Nordens der Welt. Die Zahl der Aufenthaltsgenehmigungen und Visa habe sich durch Grenzschließungen und Einreiseverbote in allen OECD-Ländern – das ist die Organisation der 37 wirtschaftsstärksten Staaten der Welt – so drastisch reduziert wie nie zuvor, nämlich um 46 Prozent in der ersten Jahreshälfte 2020.

Fast alle Länder hätten so auf die Krise reagiert. Dabei seien eingewanderte Arbeitskräfte in vielen Schlüsselsektoren der Wirtschaft stark vertreten, stellten ein Drittel – in Deutschland ein Viertel - der Beschäftigten im Verkehr, als Reinigungskräfte, in der Lebensmittelproduktion und im IT-Service. Auch in der Krise seien sie an vorderster Front, heißt es in der Studie der OECD: Im Schnitt kämen ein Viertel der Ärztinnen und Ärzte im OECD-Raum aus dem Ausland, in der Schweiz sogar fast die Hälfte. Auch ein Sechstel der Krankenschwestern und -pfleger in den reichen Ländern seien immigriert.

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Ausländisches Personal besonders oft in Schlüsselsektoren beschäftigt

Die Autorinnen der Studie warnen: „In den vergangenen zehn Jahren sind die Migrationszahlen gestiegen und die Integration der Zugewanderten hat sich verbessert. Einige der Integrationsfortschritte könnten jedoch nun von der Corona-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen zunichtegemacht werden.“ Während die Fluchtmigration in den Jahren nach 2015 zurückging, wurde die Arbeitsmigration bis zu diesem Jahr deutlich stärker, mit einem Zuwachs der dauerhaften Einwanderung von mehr als 13 Prozent allein 2019 und einer millionenfachen Steigerung auch der befristeten Arbeitserlaubnisse.

Migrantinnen und Migranten könnten aber nur dann weiter ihren gesellschaftlichen und wirschaftlichen Beitrag in den Aufnahmeländern leisten, wenn ihre Gesundheit und Sicherheit wie die aller anderen Beschäftigten geschützt sei. Aktuell sieht das anders aus: Weil Eingewanderte häufig an vorderster Front – etwa in der Krankenpflege oder in der Logistikindustrie – statt im Homeoffice arbeiten, laufen sie ein höheres Infektionsrisiko.

Zudem begünstigen ihre härteren Lebensbedingungen, beengtes Wohnen und Armut, das Virus. Studien aus mehreren OECD-Ländern zufolge haben sie „ein mindestens doppelt so hohes Infektionsrisiko wie im Inland Geborene“, schreibt die OECD. „Migration bleibt wichtig, um Wirtschaftswachstum und Innovation zu fördern und auf den raschen Wandel der Arbeitsmärkte zu reagieren“, sagte der Generalsekretär der OECD, Angel Gurría, der den Bericht in Paris zusammen mit der Europäischen Innenkommissarin Ylva Johansson vorstellte.

Seehofer kommt nicht zum Gipfel

Es gelte, Rückschritte zu vermeiden, nachdem die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten in den letzten Jahren gut vorangekommen sei. Die unter Corona gestiegene Arbeitslosigkeit entfiel in Deutschland zu 42 Prozent auf Erwerbstätige mit Migrationshintergrund. Ihr Anteil an der Bevölkerung liegt aber bei gut einem Viertel. In ausnahmslos allen Ländern, für die sie über Daten verfügt, so die OECD, sei die Arbeitslosenzahl der Einwanderer stärker gestiegen als die der im Inland Geborenen. Wie die Welt sich von der Krise erhole, werde „von der Migrations- und Integrationspolitik unserer Regierungen abhängen“, heißt es in ihrer Studie.

Integration in Zeiten der Pandemie war auch das Schwerpunktthema des 12. Integrationsgipfels der Bundesregierung an diesem Montag. Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz hatte die Lage bereits am Wochenende ähnlich beurteilt wie die OECD. Menschen mit Einwanderungsgeschichte oder Geflüchtete arbeiteten einerseits in den am stärksten betroffenen Branchen, andererseits fielen nun wichtige Integrationsangebote für sie aus oder würden stark eingeschränkt, erklärte die CDU-Politikerin.

Daher setze der Nationale Aktionsplan Integration auf eine „Digitaloffensive“, um Sprachförderung, Beratung und Arbeitsmarktintegration trotz physischen Abstands anzubieten. Kein Thema war auf der offiziellen Tagesordnung des Gipfels die von der OECD monierte drastisch gesunkene Zahl derer, die Deutschland überhaupt erreichen – sei es als Arbeitskräfte oder als Flüchtlinge. Zuletzt hatte die weitere harte Weigerung der EU, auch Deutschlands, Schlagzeilen gemacht, nach dem Brand des überfüllten Flüchtlingslagers Moria auf der griechischen Insel Lesbos, die dort Lebenden alle aufzunehmen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer fehlte beim Treffen im Kanzleramt. Sein Sprecher hatte dazu in der vergangenen Woche auf Nachfrage keine Erklärung präsentieren können. Der CSU-Politiker war schon 2018 einem Integrationsgipfel ferngeblieben und verwies zur Begründung auf den Text einer Teilnehmerin. Die Publizistin Ferda Ataman hatte geschrieben, "Heimat" in der Zuständigkeit seines Hauses sei ein Angebot an Rechte und enthalte ein Blut-und-Boden-Konzept.  

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