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Der russische Präsident Wladimir Putin (links) und Verteidigungsminister Sergej Schoigu.

© Foto: dpa/Alexander Zemlianichenko

Russische Misserfolge in der Ukraine: Sergej Schoigu – einst Putins Liebling, nun der Sündenbock

Die Invasion der Ukraine ist ins Stocken geraten, russische Einheiten werden zurückgedrängt. Der Schuldige für das Dilemma ist in Moskau schnell gefunden.

Die Kritik am mangelnden Fortschritt bei der Invasion der Ukraine und Niederlagen von Putins Armee nimmt auch in Russland zu. Eine neue Anweisung aus dem Kreml erlaubt es den staatlichen Fernsehsendern, über Rückschläge zu berichten. Ein Sündenbock wurde in Moskau schnell gefunden: Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu.

Vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine galt der heute 67-Jährige als Putins Liebling. Aufnahmen zeigen die beiden im gemeinsamen Urlaub, auf der Jagd – teilweise in identischen Outfits, teilweise oberkörperfrei. Bei der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und im Syrien-Krieg war der Verteidigungsminister vorne mit dabei.

Als die schnellen Erfolge zu Beginn des Ukraine-Krieges ausblieben, verschwand er für mehr als zwei Wochen von der Bildfläche. Die Gründe sind bis heute unklar. Aus dem Kreml hieß es damals, der Minister sei mit dem laufenden Militäreinsatz beschäftigt und hätte deswegen kaum Zeit für öffentliche Auftritte.

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu (links) und Russlands Präsident Wladimir Putin beim Angeln in der Teilrepublik Tuwa, der Heimat des Ministers (Archivbild). 
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu (links) und Russlands Präsident Wladimir Putin beim Angeln in der Teilrepublik Tuwa, der Heimat des Ministers (Archivbild). 

© imago/ITAR-TASS

Ist der „Held Russlands“ in Ungnade gefallen?

Seine politische Karriere begann der gebürtige Sibirer 1994 als Ministerpräsident für Katastrophenschutz unter Boris Jelzin. Die Russ:innen bewunderten ihn für seine zupackende Art. Der Minister war immer dort, wo es brenzlig wurde: Terroranschläge, Gasexplosionen, Naturkatastrophen. Schoigu wusste sich in Szene zu setzen. 1999 wurde er für seine Arbeit als „Held der Russischen Föderation“ ausgezeichnet.

Dreizehn Jahre später ernannte Putin seinen Parteifreund zum Verteidigungsminister. Zu diesem Zeitpunkt war Schoigu bereits im Rang eines Armeegenerals, ohne jemals gedient zu haben. Diese Tatsache wird im nun angekreidet.

Der russische Minister für Katastrophenschutz Sergej Schoigu und der russische Premierminister Wladimir Putin besichtigen 2010 die Absturzstelle des Flugzeugs des damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski in der Region Smolensk.
Der russische Minister für Katastrophenschutz Sergej Schoigu und der russische Premierminister Wladimir Putin besichtigen 2010 die Absturzstelle des Flugzeugs des damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski in der Region Smolensk.

© IMAGO / ITAR-TASS

Bereits Ende August berichteten britische Geheimdienste, dass Offiziere und Soldaten den Minister nicht ernst nähmen. Schoigu habe den Großteil seiner Karriere vor der Berufung zum Minister im Bausektor und anderen Bereichen verbracht. Ihm fehle militärische Erfahrung.

Das britische Verteidigungsministerium geht in seinem Lagebericht auch davon aus, dass Schoigu nicht mehr direkt an Wladimir Putin berichtet. Der Kremlchef soll aktuelle Informationen aus der Ukraine stattdessen direkt von den Kommandeuren erhalten.

Die ausbleibenden Erfolge, die Präsident Putin gleich zu Beginn des Angriffskrieges ausgegeben hatte, scheinen dem Minister angekreidet zu werden. Und nun auch die nicht mehr zu verheimlichenden Rückschläge und Niederlagen der russischen Armee.

Putin-Vertraute kritisieren Schoigu

Prominente Kritiker des Verteidigungsministers kommen aus dem innersten Machtzirkel des Kremlchefs. Tschetschenen-Führer Ramzan Kadyrow und der Chef der Söldnertruppe „Wagner“, Jewgeni Prigoschin, machen ihrem Ärger auf ihren Telegram-Kanälen Luft und wettern gegen das Verteidigungsministerium in Moskau, dem sie die Schuld für die Misere in der Ukraine geben.

Kadyrow – der wegen seiner Brutalität auch den Beinamen „Putins Bluthund“ trägt – bemängelte am vergangenen Wochenende den „Mangel an grundlegender militärischer Unterstützung“. Am Mittwoch sei er trotz der Kritik laut eigener Aussage zum Generaloberst der russischen Armee befördert worden. Für die „große Wertschätzung“ sei er Putin „unglaublich dankbar“, schrieb Kadyrow bei Telegram.

Drastischere Worte kommen aus der völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Region Cherson: Der von Russland eingesetzte Vize-Verwaltungschef Kirill Stremousow riet dem Minister in einer Videobotschaft, sich das Leben zu nehmen, berichten mehrere Medien. „In der Tat sagen viele: Wenn sie ein Verteidigungsminister wären, der einen solchen Zustand zugelassen hätte, hätten sie sich als Offiziere selbst erschießen können“, wird Stremousow zitiert.

Putin distanziert sich nach Experteneinschätzung zunehmend von Schoigu

Die US-Militärexperten vom Think Tank „Institute For The Study Of War“ (ISW) sehen derweil auch eine zunehmende Distanzierung des Kremlchefs von seinem Verteidigungsminister. Nach der zunehmenden innenpolitischen Kritik an der Teilmobilisierung habe er die Schuld auf Schoigu und sein Ministerium geschoben.

Am Mittwoch schwächte Putin die Mobilmachung ab und unterschrieb ein Dekret, welches Studierende vom Militärdienst verschont. Russischen Medien habe er gesagt, er habe die Änderung vorgenommen, weil „das Verteidigungsministerium nicht rechtzeitig Änderungen am rechtlichen Rahmen für die Liste derjenigen vorgenommen hat, die nicht mobilisierungspflichtig sind“.

Das ISW sieht die direkte Kritik am Verteidigungsministerium auch als eine implizite Kritik an Schoigu, „den Putin anscheinend als Sündenbock für das Scheitern von Putins Invasion in der Ukraine einsetzen will“.

Russische Militärblogger und Politiker nehmen sich die Kritik an Schoigu zu Herzen und drehen sie weiter, berichtet das ISW in seinem Lagebericht von Mittwoch. Andrej Kartapolow, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der Duma, hätte im Staatsfernsehen gesagt, alle Russen wüssten, dass das Verteidigungsministerium lüge und damit aufhören müsse.

Der Militärblogger Igor Strelkow kommentierte den Auftritt Kartapolows auf Telegram mit den Worten: „(…) es waren das Verteidigungsministerium und sein Chef, die einen unschätzbaren und enormen Beitrag dazu geleistet haben, dass wir jetzt an der Schwelle zu einer politischen und militärischen Katastrophe stehen.“ Der Hauptverantwortliche – Sergei Schoigu werde bald „Sperrholz“ sein.

Doch die Abberufung Schoigus aus dem Verteidigungsministerium könnte noch dauert, analysiert das ISW. Putin werde den Rauswurf des unbeliebten Ministers „wahrscheinlich so lange hinauszögern, wie er es für möglich hält, um Schoigu weiterhin für die anhaltenden militärischen Misserfolge verantwortlich zu machen“.

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