zum Hauptinhalt
Zwiegespräch in Petersburg: Außenminister Gabriel traf Anfang Juni den russischen Präsidenten Putin.

© AFP

Sigmar Gabriel und Russland: „Bedenkliche Nähe zu Gazprom“

Politiker von CDU und Grünen kritisieren Außenminister Sigmar Gabriel wegen seiner Äußerungen zu amerikanischen Russland-Sanktionen.

Die Erklärung, die das Auswärtige Amt am Donnerstagnachmittag verschickte, wirkte gleich in doppelter Hinsicht ungewöhnlich. Die kritische Stellungnahme zu den vom US-Senat in der Nacht zuvor beschlossenen Russland-Sanktionen war zum einen in einem derart eindringlichen und scharfen Ton verfasst, wie er von deutschen Diplomaten seit Jahren nicht zu hören war, und sicherheitshalber gleich mit mehreren Ausrufezeichen versehen worden. Zum anderen hatte Außenminister Sigmar Gabriel die Erklärung nicht allein verantwortet, sondern mit Österreichs Bundeskanzler Christian Kern verfasst. Eine Abstimmung des Textes mit der deutschen Kanzlerin gab es dagegen vorab nicht, wie Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert am Freitag bestätigte. Zugleich betonte er, es gebe eine „große inhaltliche Übereinstimmung“ zwischen Kanzlerin und Außenminister in dieser Frage. Die Kanzlerin teile die Sorgen, die in dem Text zum Ausdruck gebracht würden.

Die beiden Sozialdemokraten Gabriel und Kern werfen dem US-Senat vor, mit „völkerrechtswidrigen extraterritorialen Sanktionen gegen europäische Unternehmen“ zu drohen. Der Beschluss des Senats ermöglicht neue Sanktionen gegen diejenigen, die Russland beim Bau einer Pipeline unterstützen oder in ein solches Projekt investieren. An anderer Stelle bekräftigen die Senatoren, es sei die Politik der USA, die geplante Pipeline Nord Stream 2 abzulehnen. Die Erdgasleitung soll wie die bereits bestehende Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee von Russland nach Deutschland verlaufen. Der US-Senat betonte, Nord Stream 2 habe „schädliche Auswirkungen auf die Energiesicherheit der Europäischen Union, auf die Entwicklung des Gasmarktes in Mittel- und Osteuropa und auf die Energiereformen in der Ukraine“. Gabriel und Kern warfen den US-Senatoren vor, außenpolitische mit wirtschaftlichen Interessen zu verbinden. So gehe es eigentlich „um den Verkauf amerikanischen Flüssiggases und die Verdrängung russischer Erdgaslieferungen vom europäischen Markt“.

"Lobbyeinfluss von Gazprom in der SPD"

Massive Kritik an Gabriels Vorstoß kam am Freitag vom Koalitionspartner: „Außenminister Gabriel hat sich in der Vertretung der Interessen des russischen Staatskonzerns Gazprom zu einer Einseitigkeit und einer Tonlage hinreißen lassen, die nicht die Interessen Deutschlands widerspiegeln“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen dem Tagesspiegel. Gabriels Einlassungen zeigten, „wie groß der Lobbyeinfluss von Gazprom in der SPD ist“, betonte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. Wenn der US-Senat sich für Maßnahmen ausspreche, die darauf abzielten, US-Präsident Donald Trump in seiner Russlandpolitik einzuhegen, so sei das unterstützenswert und verdiene eine „respektvoll-sachliche Auseinandersetzung“.

Der Senatsbeschluss bringt vom früheren US-Präsidenten Barack Obama verhängte Sanktionen in Gesetzesform und verhindert damit, dass Trump diese im Alleingang aufheben kann. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck warf Gabriel eine „bedenkliche Nähe zu Gazprom“ vor. Der Außenminister kommentiere den Sanktionsbeschluss des US-Senats „mit einem beunruhigend ähnlichen Argument“ wie der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von Gazprom, Alexander Medwedew. Dieser hatte am Donnerstag erklärt, mit den geplanten Sanktionen solle der Export von amerikanischem Flüssiggas in die Europäische Union befördert werden.

Wagenknecht sieht ebenfalls wirtschaftliche Motive hinter Sanktionen

Indirekte Unterstützung erhielt der Außenminister dagegen von der Linkspartei. „Die Russland-Sanktionen dienen in erster Linie der Förderung wirtschaftlicher Interessen von US-Konzernen“, erklärte Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Es gehe den USA nur darum, mehr Abnehmer für ihr Flüssiggas zu finden und russische Gasexporte in die EU zurückzudrängen. Wagenknecht forderte ein Ende der EU-Sanktionen gegen Russland.

Gabriel und Kern hatten beide vor Kurzem das Internationale Wirtschaftsforum in St. Petersburg besucht. Österreichs Bundeskanzler sprach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über eine mögliche Wiederbelebung des Pipelineprojekts South Stream. Auch bei diesem Projekt wäre die österreichische OMV Partner von Gazprom. Bei Gabriels Abendessen mit Putin in St. Petersburg war noch ein alter Bekannter anwesend: Altkanzler Gerhard Schröder, der Verwaltungsratschef von Nord Stream 2 und dessen Vorgänger Nord Stream ist. In seiner Zeit als Wirtschaftsminister hatte sich Gabriel bereits für die neue Ostsee-Pipeline stark gemacht. Während eines Besuchs in Moskau 2015 besprach er mit Putin, wie sich bei dem Projekt eine Einmischung von außen beschränken ließe – gemeint war die EU.

Gazprom einziger Gesellschafter von Nord Stream 2

Das Pipelineunternehmen Nord Stream 2 gehört zu 100 Prozent dem Energiekonzern Gazprom, der vom russischen Staat kontrolliert wird. Ursprünglich wollten sich auch die deutschen Unternehmen Wintershall und Uniper, die österreichische OMV, der britisch-niederländische Konzern Shell und das französische Energieunternehmen Engie an Nord Stream 2 beteiligen, doch kartellrechtliche Probleme in Polen machten den Firmen im vergangenen Jahr einen Strich durch die Rechnung. Dennoch wollen sie das Pipeline-Projekt weiter unterstützen: Im April verpflichteten sich die fünf Konzerne, gemeinsam die Hälfte der Kosten zu tragen. Der Bau der Ostsee-Pipeline soll Ende 2019 abgeschlossen sein.

Das Projekt stieß von Anfang an besonders in osteuropäischen Staaten auf Kritik. Die baltischen Staaten und Polen sehen dadurch ihre Sicherheit bedroht, zudem gibt es die Befürchtung, Moskau könnte nach Inbetriebnahme Gaslieferungen in die Ukraine einstellen.

EU-Kommission hat massive Bedenken

Kritik an dem Pipeline-Projekt kommt aber keineswegs allein aus Osteuropa oder aus dem US-Senat: Mittlerweile hat auch die EU-Kommission massive Bedenken geltend gemacht: „Die Kommission ist der Auffassung, dass das Projekt nicht zu den Zielen der Energieunion beiträgt, wonach neuen Lieferquellen, Routen und Lieferanten Zugang gewährt werden soll, und dass es einem einzelnen Lieferanten erlauben könnte, seine Position auf dem Gasmarkt der Europäischen Union weiter auszubauen, und zu einer weiteren Konzentration der Lieferrouten führen könnte“, erklärte die Kommission in der vergangenen Woche. Der Bau von Nord Stream 2 würde bestehende Transportrouten gefährden, besonders die durch die Ukraine, hieß es in Brüssel. Die EU-Kommission will daher mit Russland über den Rechtsrahmen verhandeln und hat dafür bei den Mitgliedstaaten um ein Mandat gebeten. Dieser Prozess könnte das Projekt verzögern.

Zur Startseite