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Strauß und Stoiber

© dpa

Stoiber: Der Unvollendbare

Hinter der Fassade Stoiber versteckte sich stets der Musterschüler Edmund Rüdiger. Der hat bis zuletzt derart regiert, dass den Nachfolgern nun nicht viel zu regieren bleibt. Ein Abschied vom bayerischen Ministerpräsidenten.

Von Robert Birnbaum

Er hat das also auch noch hingekriegt. "Jaaa, meine sehr verehrten Damen, meine Herren" - Blick über die Brille, Lächeln fürs Foto, Blick runter aufs Manuskript, und dann gehts los. "Nationales Leuchtturmprojekt", "Leitprojekt von nationaler Bedeutung", "endgültiger Durchbruch", "Spittzzenrunde". So schön spitz wie Edmund Stoiber kann keiner "Spittzzenrunde" sagen, spitzenmäßig. Wenn in ein paar Jahren ein weißer Magnetbahnblitz vom Münchner Hauptbahnhof zum Flughafen Franz Josef Strauß gleitet, wird es ein Stoiberapid sein. "Das ist mit Sicherheit kein Abschiedsgeschenk für mich", sagt Stoiber. "Der Transrapid ist ein deutsches Projekt." Er meint das ernst, aber es stimmt nicht. Es ist ein Abschiedsgeschenk - nicht für ihn, von ihm. Für sein Bayern! Für sein Deutschland! Die Eitelkeit des Edmund Stoiber ist nämlich von etwas anderer Art als bei gewöhnlichen Leuten.

Die Frau gehört beinahe zum Inventar der Staatskanzlei, so lange arbeitet sie schon in dem Quader am Münchner Franz-Josef-Strauß-Ring 1, aus dem heraus Bayern regiert wird. Neulich hat ihr Stoiber zum ersten Mal die Hand gegeben. Er hat sogar "Guten Morgen" gesagt. Der Chef sei, sagt die Frau, auch in den letzten Wochen nicht mehr so viel mit diesem Gesicht umhergelaufen. Dieses Gesicht - die leicht somnambule, leicht zerfurchte Miene des sorgenden Landesvaters, der noch auf dem Weg zu ganz und gar profanen Orten die nächsten schwierigen Entscheidungen hin- und her- und wiederum zu bedenken hat und deshalb einfach nicht jeden bemerken kann. Das war nie böse gemeint oder überheblich. Jetzt, sagt die Frau, jetzt lacht er öfter. Hätte man ja auch nicht gedacht, dass nach knapp drei politischen Jahrzehnten Edmund Stoiber noch mal eine neue Variante auftauchen könnte, der Mensch im Inneren der Maschine, gewissermaßen.

Immer auf der Jagd nach dem besten Zeugnis

Dabei hat es diesen Menschen immer gegeben: den schüchternen, unsicheren, zaudernden Edmund Rüdiger Rudi, Sohn eines Bürokaufmanns aus dem oberbayerischen Oberaudorf. Er hat immer dringesteckt in dem Herrn Ministerpräsidenten, dem seine Schranzen die Stichworte zugeflüstert und den roten Teppich ausgerollt haben, auf dass sie selbst wichtiger daherkamen: Der Junge aus kleinen Verhältnissen, der in den kargen Jahren nach dem Krieg am liebsten ein berühmter Fußballspieler geworden wäre, aber zum Gymnasium hat gehen dürfen und später ein Prädikatsexamen vom Jurastudium nach Hause gebracht hat. Der Politiker Stoiber ist ohne diesen Edmund Rüdiger sogar überhaupt nicht zu verstehen. Manche Politiker sind auf Macht aus, andere auf Ruhm, wieder andere haben ein bestimmtes Projekt vor Augen. Stoiber aber hat einfach jeden Tag neu dafür gerackert, dass er immer wieder so ein schönes Zeugnis heimbringt: Generalsekretär - Sehr gut. Strauß' rechte Hand - Sehr gut. Staatskanzleichef - Sehr gut. Innenminister - Sehr gut. Ministerpräsident - Sehr gut. CSU-Vorsitzender - Sehr gut. Gesamtnote Bayern - Spitze!

Es ist ein warmer, sonniger Tag im März 2005, ein Sonntag. Die Pyramiden von Teotihuacan ragen in den blauen Himmel. Teotihuacan, "der Ort, wo der Mensch zu Gott wird", war die heilige Stadt der Azteken. Edmund Stoiber sind die Azteken egal. Er hat morgens im Hotel in Mexiko schon gemurrt, dass man ihn einen ganzen wertvollen Tag lang zum Tourismus zwingt. Stoiber bleibt ein Stück zurück. Hah, das Handy funktioniert! Stoiber steigt die steilen Stufen der Mondpyramide hoch - trainiert ist er ja, Skifahrer, Bergwanderer - und redet dabei auf das Handy ein. Oben auf der Plattform wirft er einen Blick in die Runde. Kameras klicken. Beim Abstieg hat er schon wieder das Handy am Ohr. "Ja, Angela?"

Vor wenigen Wochen hat ein christdemokratischer Ministerpräsident kopfschüttelnd zu Protokoll gegeben: "Der ruft immer noch wegen Kleinigkeiten an." Welch ein Missverständnis! Vor Stoiber gibt es keine Kleinigkeiten. Immer hat er sich um alles gekümmert. Das hat immer alle genervt, aber sie haben ihn gewähren lassen. In Bayern gab es immer eine CSU neben, trotz und außer Stoiber. In Berlin nicht, da war beides identisch. Die Ära Stoiber gestaltete sich infolgedessen für das übrige CSU-Spitzenpersonal außerordentlich bequem: Wer einen Draht nach oben hatte, brauchte nur daran zu ziehen. Den Rest hat der Chef erledigt, durchgerechnet, durchgeboxt. Bei der großen Schwesterpartei im Konrad-Adenauer- Haus haben sie sich dann vor Wut immer eine von den kultigen Stolperreden vorgespielt, von der "glodernden Lut", vom "Schadbären", von der "Kompetenzkompetenz" oder die hier: "Wenn Sie vom Flug - äh, vom Hauptbahnhof starten - Sie steigen in den Hauptbahnhof ein - Sie fahren mit dem Transrapid in zehn Minuten an den Flughafen in - an den Flughafen Franz-Josef Strauß - dann starten Sie praktisch hier am Hauptbahnhof in München!" Er hat aber den Transrapid gekriegt.

Der Edmund, hat mal einer gesagt, der ihn lange und gut kennt, ist so unermüdlich, weil er gar nicht an ein Ziel gelangen kann. Der ist ein Unvollendbarer.

Diese Einsicht hat übrigens dem Gewährsmann ein ruhiges Gewissen verschafft, weil er zum engeren Kreis derer gehört, die den Unvollendbaren beim legendären Putsch im Wildbad Kreuth vor vollendete Tatsachen gestellt haben. Die Tatsachen hießen bekanntlich: Günther Beckstein - künftiger Ministerpräsident; Erwin Huber - künftiger Parteichef. Edmund Stoiber - Rücktritt. Ihm blieb nur noch, wenigstens den Schein der Freiwilligkeit zu wahren. Mit ein paar Sätzen vor schnell einbestellten Fernsehkameras ging am 18. Januar die letzte große Karriere zu Ende, die die CSU auf absehbare Zeit hervorbringen wird.

Bewunderung für Strauß

Diese Prognose ist nicht einmal besonders gewagt. Stoiber war der letzte Aktive aus der historischen Ära Strauß; der Letzte, der noch erzählen kann, wie er und Gerold Tandler und Theo Waigel im Januar 1987 hinten im Flugzeug die Aktenmappen festhalten, während Strauß vorne den Piloten anbrüllt, dass er gefälligst in Moskau landen soll, weil der Tank sowieso bald leer ist und das Sauwetter am Boden ihm, Strauß, schnuppe ist, weil Michail Gorbatschow wartet! Stoiber hat Strauß immer bewundert, weil der im kleinen Finger mehr politisches Gespür hatte als sich sein Adlatus nächtelang anlesen konnte. Stoiber ist der Letzte, der in Bayern lange Zeit noch aus dem Vollen schöpfen konnte, Aufbau klug fördern statt Abbau verwalten, was bekanntlich noch mehr Klugheit erfordert - Stoiber hat den Konflikt um Verwaltungsreform und Sparprogramme nicht gescheut, aber selbst er hat alle Autorität einsetzen müssen. Stoiber ist fast der letzte aus der Generation, die aus der Honoratiorenpartei CSU die Volkspartei gemacht hat und aus der Volkspartei die Staatspartei. Er hat sogar davon noch die Steigerung geschafft, die Zweidrittelpartei.

Fast wäre er Kanzler geworden; nur da war der andere große Aufsteiger der Republik vor, der es vom Fußballplatz zum allseits beliebten Klassenrüpel gebracht hat statt zum allseits geachteten Musterschüler. Soll ihm trotzdem erst mal einer alles nachmachen!

Deshalb hat er auch nie ganz verstanden, weshalb er gehen soll. Erst vor kurzem hat er in seiner letzten Regierungserklärung sein Programm "Bayern 2020" vorgestellt. Beim Parteitag im Freitag wird das neue Grundsatzprogramm verabschiedet, in dem allerlei Konservatives steht, aber auch sehr viel von der Stoiberschen Moderne. Es wird von Norden aus ja oft übersehen, dass in der bayerischen Rhetorik zwar das Betreuungsgeld für die Mutter daheim dominiert, in der bayerischen Wirklichkeit aber Stoibers Töchter, die dem Vater klar gemacht haben, dass junge Frauen nicht studieren, um danach besser kochen zu können.

"Ich übergebe meinen Nachfolgern ein wohl bestelltes Feld", hat Stoiber in seiner Abschiedsrede im Landtag gesagt. Das ist massiv untertrieben. Er hat bis zuletzt derart regiert, dass seinen Nachfolgern nicht viel zu regieren übrig bleibt. Nachfolger sind ja auch eigentlich nie richtig vorgesehen gewesen. Und die es jetzt werden sollen - Weggefährten, knapp jünger als der Scheidende -, die haben nur zu gut gewusst, weshalb sie so lange gezögert haben mit dem Putsch. Stoiber vererbt ihnen nicht nur alles, was er erreicht hat - eine Bürde, die schwer genug wiegt, weil er so vieles erreicht hat. Sie erben auch seinen Abstieg.

Der begann an jenem schicksalhaften Tag im Herbst 2005, als Edmund Stoiber zu Angela Merkel ging. Er sah sich genötigt, die Kollegin Parteichefin zu ersuchen, dieser Annette Schavan doch bitte klarzumachen, dass dem zukünftigen Super-Wirtschaftsminister Stoiber noch ein paar Referate aus ihrem Forschungsministerium zur vollen Wirksamkeit fehlten. Merkel hat ihm geantwortet, er solle solche Kleinigkeiten bitte mit der Frau Schavan selbst aushandeln.

In dem Moment muss Stoiber begriffen haben, dass er sich verkalkuliert hatte im Glauben, die große Koalition werde von drei Parteichefs geführt statt von einer Kanzlerin. Als Franz Müntefering den SPD-Vorsitz hinwarf, war das nur noch Anlass zum Abschied von Berlin. Machtmathematisch eine richtige Entscheidung, psychologisch die Katastrophe. Die Bayern spürten, dass es ein Rückzug aus Angst vor künftiger Schwäche war. Wenn der alte Löwe aber Schwäche zeigt, wird er selbst zum Gejagten. Erlegt hat ihn die bespitzelte Landrätin Gabriele Pauli, zuletzt er sich selbst mit jenem fatalen Satz, der die Schlagzeile produzierte: "Stoiber will bis 2013 bleiben."

Was bleibt jetzt?

Am Montag hat der CSU-Vorstand zum letzten Mal unter seiner Leitung getagt. "Formidabel" sei der Zustand der Partei, hat Stoiber resümiert, in Umfragen wieder weit über 50 Prozent, und den neunmonatigen Nachfolgewahlkampf mit Anstand bewältigt. Spitzenmäßig mal wieder.

Stimmt, sie haben sich wirklich nicht zerfleischt. Stattdessen sind sie in der Zwangspause erstarrt. Erwin Huber hat noch am Dienstag als Verkehrsminister bloß wiederholen dürfen, dass der Transrapid ein Leuchtturm sein wird. Er rächt sich mit freundlich verpackter Satire. "Gestern war der Ministerpräsident so großzügig, uns noch ein Glas Champagner zu genehmigen", berichtet Huber und dass ihm das in all seinen Jahren in der Staatskanzlei nie zugestoßen sei. Man kann dem kleinen Niederbayern ansehen, dass er am liebsten noch "Ist gut jetzt, Edmund" gesagt hätte.

Aber Huber weiß, dass es nicht so kommt, Zapfenstreich im Hofgarten, Ehrung, Rührung und gut jetzt. Deshalb haben sie ja zwischen München und Berlin seit Monaten hin und her überlegt, was tun mit dem hyperaktiven Frührentner. Hanns-Seidel-Stiftung? Geht nicht - Hans Zehetmair hat wissen lassen, dass sie ihn erschießen müssten, weil er freiwillig den Vorsitz nicht räumt. Außerdem schlecht, die Stiftung sitzt in München. Aber dann ist jemand auf die Idee gekommen. "Sonderbeauftragter des Präsidenten der Europäischen Kommission für den Bürokratieabbau". Passt alles. In Brüssel haben die Bayern eine weiträumige Landesvertretung mit einem mächtigen Chefschreibtisch aus schwarzem Stein für viele Akten. Brüssel ist weit genug weg von München und Berlin. Und Bürokratieabbau in der EU ist eine sehr umfassende Aufgabe.   Praktisch wie geschaffen für einen Unvollendbaren.

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