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Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel im Oktober in Toulouse.

© Regis Duvignau/REUTERS

Streit über die Zukunft der Nato: Frankreichs Fundamentalkritik kommt schlecht an

Nach den Worten von Regierungssprecher Seibert gab es beim Dinner von Merkel und Macron keinen Streit. Die Nato hat aber weiter Gesprächsbedarf.

Was Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron bei einem Abendessen in Berlin im Rahmen des 30-jährigen Jubiläums zum Mauerfall zu sagen hatte, hörte sich stark nach einem Machtwort an. Nach der Darstellung der „New York Times“ zeigte Merkel bei dem Dinner ihren Unmut über Macrons „Hirntod“-Äußerung zur Nato. In Brüssel wird dies allerdings weniger als Ausdruck eines deutsch-französischen Zerwürfnisses, sondern als Zeichen für eine zunehmende Isolation Frankreichs auf internationaler Bühne gesehen.

Merkel hatte dem Bericht zufolge dem französischen Präsidenten bei der letzten Begegnung in Berlin vorgehalten, dass sie stets die Scherben zusammenkehren müsse, die Macron hinterlasse. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte am Montag zwar, dass es „in der Erinnerung der Bundeskanzlerin“ bei dem Abendessen in Berlin „weder Klage, noch Wut, noch Streit“, gegeben habe. Allerdings hatte Merkel zuvor den Dissens mit Macron, der in einem Interview mit der britischen Zeitschrift „The Economist“ vom „Hirntod“ der Nato gesprochen hatte, öffentlich gemacht. „Der französische Präsident hat drastische Worte gewählt, das ist nicht meine Sicht“, hatte Merkel gesagt.

Vorbereitungen für den Nato-Jubiläumsgipfel

Macrons Analyse zum Zustand des Militärbündnisses zielte darauf, dass sich weder die USA beim Truppenabzug in Syrien noch die Türkei beim Einmarsch im Norden des Landes innerhalb der Nato abgesprochen hatten. Auch wenn die deutliche Wortwahl des Präsidenten der Kanzlerin nicht gefiel, wird die Debatte über die politische Koordination innerhalb des Bündnisses vor dem Nato-Gipfel Anfang Dezember in London weitergehen. Beim Treffen der Außenminister des Bündnisses lagen am vergangenen Mittwoch sowohl ein Reformvorschlag des deutschen Chefdiplomaten Heiko Maas (SPD) als auch ein Vorstoß von dessen französischem Amtskollegen Jean-Yves Le Drian auf dem Tisch. Und beim Jubiläumsgipfel zum 70-jährigen Bestehen der Nato wird es auch um den Reformbedarf gehen, den sowohl Berlin als auch Paris einfordern.

Frankreichs Vorschlag zur Nato stößt nicht auf Gegenliebe

Die Vorschläge aus Berlin und Paris ähneln sich zwar, sind aber keineswegs deckungsgleich. Maas schlägt eine Expertenkommission vor, die in enger Abstimmung mit dem Nordatlantikrat, dem wichtigsten Entscheidungsgremium des Bündnisses, Vorschläge zur konzeptionellen und politischen Weiterentwicklung der Nato vorlegen soll. Beim Vorstoß von Maas’ Amtskollegen Le Drian, denen zufolge eine Expertengruppe unter anderem das künftige Verhältnis der Nato zu Russland und China erörtern soll, fehlt allerdings die permanente Rückkopplung an den Nordatlantikrat. „Gegenüber dem französischen Vorschlag gibt es eine weit verbreitete Vorsicht im Bündnis, weil sich damit eine Fundamentalkritik an der Nato verbindet“, heißt es in Diplomatenkreisen.

Auch innerhalb der EU ist Frankreich in die Isolation geraten, wie sich seit Wochen beim Streit um die Erweiterung der Gemeinschaft zeigt. Merkel hatte beim letzten EU-Gipfel im Oktober hinnehmen müssen, dass Macron den Start von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien blockierte. Während Merkel und der Großteil der übrigen Staats- und Regierungschefs bei dem Treffen in Brüssel geostrategische Überlegungen zugunsten von Nordmazedonien und Albanien ins Feld führte, möchte Macron erst einmal neue Regeln für den Erweiterungsprozess ausarbeiten. Frankreichs Vorstellungen zielen darauf ab, die gegenwärtige Erweiterungsprozedur, bei der drei Dutzend Beitrittskapitel abgearbeitet werden müssen, zu Gunsten eines neuen Verfahrens aufzugeben. Den Pariser Vorstellungen zufolge dürfen Beitrittskandidaten künftig schon frühzeitig von EU-Geldern profitieren, allerdings können einmal begonnene Beitrittsgespräche auch wieder auf Eis gelegt werden.

In der Diskussion über Nordmazedonien stand Macron allein

Auch wenn es beim letzten EU-Gipfel Merkel und Macron gewesen waren, die unterschiedliche Ansichten vertreten hatten, geht der Streit über die Erweiterung über einen deutsch-französischen Dissens hinaus. „Es ist eher so, dass Frankreich aus dem Konsens ausbricht“, heißt es in EU-Diplomatenkreisen. Vor allem im Fall Nordmazedoniens zeigte sich dies in deutlicher Weise. Beim Gipfel im Oktober waren alle Staats- und Regierungschefs einhellig der Meinung, dass die Bemühungen der Regierung in Skopje, die sogar den Landesnamen angesichts der Beitrittsperspektive geändert hatte, honoriert werden sollten – bis auf Macron.

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