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Eine "argumentative Radikalisierung" sei zu beobachten, sagen die Forscher.

© Michael Kappeler, dpa

Studie zu Judenhass: Antisemitismus im Internet nimmt massiv zu

Gewaltphantasien und NS-Vergleiche: Eine Studie belegt einen rasanten Anstieg von Antisemitismus im Netz. Judenhass ist demnach „integraler Bestandteil der Webkommunikation 2.0“.

Sie tummeln sich überall im Internet, in den Kommentarspalten der Online-Medien, in sozialen Netzwerken und auf Ratgeberseiten: radikale Antisemiten. Oft suchen sie harmlose Webseiten auf und verbreiten dort ihren Hass gegen Juden. Zum Beispiel in einem großen Nachhilfeforum, das täglich tausende Schüler für ihre Hausaufgaben nutzen. Zwischen Biologie-Referaten und Mathe-Klausuren steht auf einmal dieser Satz: „Juden töten Frauen und Kinder und zeigen keine Reue.“ Das sei die „Wahrheit“, ist dahinter in Großbuchstaben zu lesen.

Das Beispiel stammt aus einer aktuellen Studie über den Antisemitismus im Netz, die am Mittwoch an der Technischen Universität in Berlin vorgestellt wurde. Vier Jahre lang hat ein Forscherteam um die Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel den Hass auf Juden im Netz untersucht. Mehr als 250.000 Einträge auf rund 66.000 Webseiten haben die Forscher ausgewertet.

Unterschiedliche Milieus

Die Ergebnisse der Untersuchung sind erschreckend. Der Antisemitismus im Internet hat massiv zugenommen. Judenfeindschaft sei heute ein „integraler Teil der Webkommunikation 2.0“, heißt es in der Studie. Fanden sich 2007 in den Kommentarbereichen deutscher Online-Qualitätsmedien noch knapp acht Prozent antisemitischer Botschaften, stellten die Forscher im Jahr 2017 bereits einen Anteil von mehr as 30 Prozent fest.

Gleichzeitig sei eine „argumentative Radikalisierung“ zu beobachten, bilanzieren die Forscher. Gewaltfantasien und NS-Vergleiche häuften sich ebenso wie die Beschimpfung von Juden als Unmenschen oder Schädlinge. Selbst Solidaritätsaktionen gegen Antisemitismus würden genutzt, um den Hass auf Juden anzuheizen. So seien 37 Prozent der Online-Kommentare zum Aktionstag „Berlin trägt Kippa“ aus dem vergangenen April antisemitischer Natur gewesen.

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Die Ablehnung von Juden ließe sich in den unterschiedlichsten Milieus feststellen, sagt Studienleiterin Schwarz-Friesel. Nicht nur Neonazis und Rechtsextreme äußerten sich bei Facebook und Co. regelmäßig antisemitisch. Auch bei linken und gut bürgerlichen Internetnutzern fänden sich oft judenfeindliche Aussagen. Der Unterschied zu den Rechten sei, dass Linke und liberal Eingestellte das Wort „Jude“ oft vermieden – und lieber von „Zionisten“ redeten, um ihren Antisemitismus hinter vermeintlicher Israelkritik zu verstecken.

Hartnäckige Stereotype

Der israelbezogene Antisemitismus sei eine „besonders dominante Erscheinungsform von Judenhass im Web 2.0“, heißt es in der Studie. Rund jeder dritte der untersuchten Online-Kommentare falle in diese Kategorie.

Mehrheitlich – zu 54 Prozent – speise sich der Antisemitismus im Netz jedoch aus klassischen Vorurteilen über Juden, sagt Schwarz-Friesel. Ihr Team sei erstaunt gewesen, wie hartnäckig sich uralte antijüdische Stereotype hielten. Häufig stammten sie aus der NS-Zeit oder gingen sogar bis ins Mittelalter zurück.

Die alten Vorstellungen, wie die vom „ewigen Juden“, fänden sich auch in vielen antisemitischen Kommentaren, die von Muslimen aus Deutschland verfasst würden, sagt Schwarz-Friesel. Der israelbezogene Judenhass spiele dabei mit 35 Prozent eine wichtige Rolle – allerdings keine größere als im Durchschnitt aller untersuchten Online-Beiträge. „Es gibt einen importierten Antisemitismus“, sagt Schwarz-Friesel. „Der ist aber beileibe nicht das größte Problem, das wir in Deutschland mit Antisemitismus haben.“ Viel gefährlicher sei der Judenhass aus der Mitte der Gesellschaft. Der finde im Netz rasende Verbreitung. Dabei stießen Antisemiten in Deutschland zu selten auf entschiedene Gegenrede, kritisiert Schwarz-Freisel. Im Web 2.0 habe sich in Sachen längst „Normalisierung“ eingestellt. Das „Feld des Sagbaren“ habe sich in den vergangenen Jahren „exorbitant vergrößert“.

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