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Kremlchef Wladimir Putin (links) und US-Präsident Donald Trump.

© Evan Vucci/dpa

US-Sanktionen gegen Russland: Wird Deutschland in einen Handelskrieg hineingezogen?

Amerika will Russland mit Sanktionen belegen, weil sich Moskau womöglich in den Wahlkampf eingemischt hat. Davon könnten auch deutsche Unternehmen betroffen sein.

Es ist der vorerst letzte Akt in einem diplomatischen Schlagabtausch zwischen Russland und den USA. Mit der Ankündigung, 755 US-Diplomaten und Botschaftsmitarbeiter müssten ihre Arbeit in Russland einstellen, hat Präsident Wladimir Putin auf die geplanten US-Sanktionen reagiert. Die amerikanischen Sanktionen, die unter anderem den russischen Konzern Gazprom treffen und den USA einen Vorteil bei der Energieversorgung der Europäer verschaffen könnten, gelten unter anderem als Retourkutsche für die mutmaßliche Einmischung Moskaus in den US-Wahlkampf. Trotzdem stoßen die amerikanischen Sanktionen vor allem bei Vertretern der SPD in der Bundesregierung auf Kritik. Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) bezeichnete die Russland-Sanktionen als einen Verstoß gegen das Völkerrecht. Der Hintergrund: Von US-Strafmaßnahmen könnten auch deutsche Firmen betroffen sein, die sich an dem umstrittenen russischen Pipeline-Projekt Nord Stream 2 in der Ostsee beteiligen.

Was bezwecken die USA mit den Sanktionen und welche Strafmaßnahmen könnten hinzukommen?

Die Sanktionsbeschlüsse gegen Russland werden in den USA vor allem als innenpolitischer Kampf zwischen Präsident und Parlament betrachtet. Der Kongress möchte Donald Trump die Hände in der Russlandpolitik binden. Das offizielle Hauptziel lautet, Russland für die Einmischung in den US-Wahlkampf und sein kriegerisches Vorgehen in der Ukraine zu bestrafen. Trump, der möglicherweise bei seinem Wahlsieg von russischer Hilfe profitierte, soll daran gehindert werden, eigenmächtig Sanktionen gegen Russland aufzuheben oder zu lindern.

Der Aspekt, der Deutschland und Europa bewegt – müssen hiesige Firmen, die an Energiegeschäften mit Russland beteiligt sind, Sanktionen fürchten? – kommt in der breiten Berichterstattung der US-Medien kaum vor. Ebenso wenig die Drohung der Bundesregierung und der EU-Kommission mit Gegenmaßnahmen. Nur die Nutzer spezieller US-Wirtschaftsmedien wie Bloomberg News finden Informationen dazu in den Nachrichten, ohne eine spezielle Suche danach zu starten. Die Behauptung von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), die Vereinigten Staaten wollten russische Gasexporte nach Europa erschweren, um EU-Staaten statt dessen mit ihrem Flüssiggas zu beliefern, findet in den USA keinen Widerhall. Das wäre auf absehbare Zeit auch gar nicht möglich, da die Infrastruktur dafür auf beiden Seiten des Atlantiks fehlt.

Von weiteren Strafmaßnahmen als Reaktion auf die von Russland verhängten Gegensanktionen ist in den USA bisher keine Rede. Präsident Putin bringt mit den verhängten Ausweisungen von US-Diplomaten deren offiziellen Personalstand in Russland auf die Zahl der russischen Diplomaten in den USA. Neue Wirtschaftssanktionen hat Moskau ohnehin nicht verhängt, da es sich damit schaden würde. Russland ist dringend auf Investitionen und Know-how aus dem Westen angewiesen.

Welche Branchen sind womöglich betroffen?

Bei dem vom Kongress beschlossenen Gesetz geht es um sogenannte „exterritoriale Wirkungen“, was die Sanktionen so gefährlich für europäische – und damit auch deutsche – Unternehmen macht. Sollte zum Beispiel eine Strafmaßnahme gegen die Nordseepipeline Nord Stream 2 verhängt werden, würde das jeden Materiallieferanten, Service-Leister und jedes Bauunternehmen, das daran beteiligt ist, treffen. Und zwar auch bei dessen Geschäften in den Vereinigten Staaten.

Denn das ist wohl der wahre Hintergrund für die Aufregung in Deutschland: Die Sanktionen würden zwar russische Projekte treffen. Wer daran beteiligt ist, muss allerdings dann auch mit einer Sanktionierung seiner Geschäfte mit den USA rechnen.

Wie agiert die Bundesregierung?

Schon unmittelbar nach den Beschlüssen in Washington hatte Außenminister Gabriel deutliche Worte gefunden. Deutschland werde „nicht akzeptieren“, wenn Sanktionen sich gegen deutsche Unternehmen richten. Wirtschaftsministerin Zypries legte nun noch einmal nach, nannte das Gesetz „völkerrechtswidrig“ und kündigte Gegenmaßnahmen an. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hingegen vermutet hinter den scharfen Tönen der beiden SPD-Minister eher wahltaktische Gründe. Nach seiner Einschätzung wollen Gabriel und Zypries ihre Unterstützung für deutsche Unternehmen dokumentieren, störten jedoch zugleich mit ihren scharfen Vorwürfen Gespräche mit der US-Seite. Zwar lehne auch er gesetzliche Regelungen der Amerikaner ab, die gegen die Interessen Deutschlands stehen, betont Röttgen. Dies sicherzustellen erfordere aber „transatlantischen Dialog und Koordination“ statt Drohungen. Hintergrund ist auch der Streit Nord Stream 2, die Röttgen als „mit den Energiezielen der EU nicht vereinbar“ bezeichnet, während das in der SPD eher nicht so gesehen wird. Den Sozialdemokraten wird dabei unterstellt, dass sie in ihrer Einschätzung auch durch Ex-Kanzler Gerhard Schröder beeinflusst sind, der den Aufsichtsrat des Projektes führt.

Was bedeutet das für den Handel in Europa?

An dem Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 sind auf europäischer Seite Energieversorger aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden beteiligt. Die möglichen US-Sanktionen zeigen beim französischen Energiekonzern Engie, der neben den Konzernen Uniper, Wintershall, OMV und Royal Dutch Shell an 50 Prozent der Projektkosten von 9,5 Milliarden Euro beteiligt ist, bereits Wirkung. Falls die US-Sanktionen auch für das Projekt Nord Stream 2 anwendbar seien, will der französische Energieversorger aus der weiteren Finanzierung der Ostsee-Pipeline aussteigen. Allerdings möchte das Unternehmen erst einmal abwarten, wie die US-Sanktionen tatsächlich umgesetzt werden.

Ähnlich abwartend verhält man sich auch bei der EU-Kommission in Brüssel. „Wir haben positiv zur Kenntnis genommen, dass das verabschiedete Gesetz einen deutlichen Hinweis enthält, dem zufolge diese Sanktionen eng mit Verbündeten abgestimmt werden müssen“, sagte eine Sprecherin der Kommission dem Tagesspiegel. „Wir erwarten, dass dies auch geschieht“, sagte sie weiter.

Zuvor war das US-Sanktionsgesetz auf Drängen der EU-Kommission entschärft worden. Laut einer ursprünglichen Fassung hätten die Strafmaßnahmen bereits bei europäischen Energieprojekten gegriffen, bei denen Russland einen verhältnismäßig geringen Anteil hat. Dies gilt beispielsweise für das aserbaidschanische Offshore-Vorhaben Schah Denis 2 im Kaspischen Meer, wo die Gasförderung vor allem von BP vorangetrieben wird. Der russische Minieralölkonzern Lukoil ist bei Schah Denis 2 nur mit einem Anteil von zehn Prozent beteiligt – dennoch wäre die Förderung im Kaspischen Meer nach der ursprünglichen Fassung des US-Gesetzes bedroht gewesen. Das ist nun nicht mehr der Fall, weil Energieprojekte nur dann ins Visier der USA geraten können, wenn Russlands Anteil mindestens 33 Prozent beträgt.

Trotz dieser Entschärfung will man aber in Brüssel genau beobachten, wie das Sanktionsgesetz im Detail umgesetzt wird. Offenbar ist Kommissionschef Jean-Claude Juncker bereit, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, falls durch US-Sanktionen europäische Energieinteressen berührt werden. „America first kann nicht bedeuten, dass Europas Interessen an letzter Stelle kommen“, hatte Juncker in der vergangenen Woche erklärt. Allerdings ist das Projekt Nord Stream 2 innerhalb der EU sehr umstritten. Polen und zahlreiche andere osteuropäische EU-Partner warnen davor, dass die Erweiterung der bestehenden Ostsee-Pipeline die Abhängigkeit von Russland vergrößern könnte.

Was will Putin?

Spätestens mit dem Kongressbeschluss zur Verschärfung der Sanktionen dürfte für den russischen Präsidenten klar sein, dass es mit der erhofften Annäherung an die USA auf absehbare Zeit nichts werden wird. Unmittelbar nach der Wahl Trumps im vergangenen Jahr hatte Putin noch erklärt, dass er auf eine „Normalisierung“ des Verhältnisses zwischen Moskau und Washington setzte. Die Tonlage Putins hat sich aber nach dem Sanktionsbeschluss des Kongresses geändert. Es sei „nicht in nächster Zeit“ zu erwarten, „dass sich die Situation zum Bessern verändern wird“, sagte Putin in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview mit dem Sender Rossia 24. Wie der Kremlchef weitere Wirtschaftssanktionen der USA beantworten würde, darüber kann man derzeit nur spekulieren. Es wäre indes nicht überraschend, wenn Moskau ähnlich wie im Jahr 2012 „asymmetrisch“ reagieren würde. Damals verhängten die USA nach dem Tod des Anwalts Sergej Magnitski Einreiseverbote für russische Beamte – und der Kreml antwortete mit einem Verbot für Amerikaner, russische Kinder zu adoptieren.

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