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Auch unter Freunden von "Charlie Hebdo" kommt langsam Kritik auf, ob sich die Redaktion immer richtig verhalten hat.

© AFP

Terror und Satire: Was "Charlie Hebdo" falsch gemacht haben könnte

Nach der Terrorwarnung in München intensiviert sich die Angst vor der Terrorgefahr. Eine Einschätzung zu den Gründen für die Anschläge in Paris im Januar 2015 lieferte einer unserer meist kommentierten Texte des vergangenen Jahres.

Kurt Tucholsky war sicher nicht in Höchstform, als er der Satire bescheinigte, sie dürfe alles. Denn man muss kein saudi-arabischer Zensor sein, um zu wissen, dass das natürlich nicht stimmt. Denn Satire, die sich über Minderheiten, Unterdrückte, Entrechtete lustig macht, ist kein Spaß, sondern bestenfalls pubertär und schlimmstenfalls ein Herrschaftsinstrument.

Das Problem besteht nun allerdings darin, dass Minderheiten und Unterdrückte so furchtbar schwer zu definieren und abzugrenzen sind. Daraus ergeben sich Missverständnisse, die in den Händen der falschen Leute... Ich will natürlich auf Paris hinaus und auf den in Paris heftig diskutierten Umstand, dass der Mitgründer des Magazins „Charlie Hebdo“, Henri Roussel, den getöteten Chefredakteur Stéphane Charbonnier noch posthum kritisiert: Er sei ein „sturer Dickkopf“ gewesen, der seine Redaktion „in den Tod getrieben“ habe.

Die erste Reaktion: Das macht man nicht. Einem, der von Islamisten ermordet wurde, weil denen seine Attacken auf Mohammed nicht gefielen, wirft man nicht vor, dass er quasi selbst schuld sei an diesem unmenschlichen Gemetzel. Die zweite Reaktion: Es ist irgendwie was dran an diesem natürlich hoch emotionalen Vorwurf Roussels. Nämlich der Gedanke, dass die Reaktion Charbonniers, auf jeden Protest, jede Drohung und schließlich den Brandanschlag 2011 mit neuem, schärferem Spott zu antworten, zur Eskalation beigetragen hat.

Verletzlich und unvorsichtig

„Ich glaube, wir sind verletzliche Unvorsichtige und Schwachsinnige, die ein unnötiges Risiko eingegangen sind“, sagte damals Georges Wolinski, der nun ebenfalls erschossen wurde. Schärfer lässt sich diese Kritik nicht formulieren; man muss keiner „Charlie“-Redaktionskonferenz beigewohnt haben, um zu ahnen, dass es da immer wieder hart zur Sache ging um die Schlüsselfrage: Ist es das wert?

Sehr wahrscheinlich hätte es den brutalen Anschlag nicht gegeben, wenn Charbonnier rechtzeitig beschlossen hätte, seine satirischen Attacken mehr auf die französische Regierung, auf Marine Le Pen oder andere mächtige Schlüsselgestalten der Politik zu fokussieren. Das Verbrechen ist damit nicht entschuldigt, aber es enthebt Satiriker nicht der Pflicht, über die Ziele ihrer Arbeit nachzudenken. Wer dann beschließt, ein offensichtlich vorhandenes religiöses Gefühl einmal nicht zu verletzen, der ist damit noch lange kein Feind der Pressefreiheit. Sondern er kann durchaus ein Freund der Vernunft sein.

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