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Die schnelle Impfstoff-Zulassung ist ein Erfolg für Boris Johnson.

© JOHN SIBLEY/AFP

Zulassung für Corona-Impfstoff: Warum war Großbritannien so viel schneller?

Das Vereinigte Königreich hat als erstes Land den Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer zugelassen. Warum ging das so schnell? Versuch einer Erklärung.

Großbritannien hat am Mittwoch den Coronavirus-Impfstoff von Biontech und Pfizer zugelassen – schneller als die Europäische Union oder die USA. Am Brexit liegt es, im Gegensatz zu anderslautenden Behauptungen von Politikern in London, nicht. Aber woran dann?

Bei den Zulassungsverfahren der EU und Großbritanniens gibt es viele Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede. Den offiziellen Antrag auf Zulassung für ihren Impfstoff stellten Biontech und Pfizer am 30. November zeitgleich bei der Europäische Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, Ema) sowie der britischen Agentur, der Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA).

Richtig ist demnach: Großbritannien hat nicht mal zwei Tage nach offizieller Antragstellung einer Zulassung stattgegeben. Bereits Anfang nächster Woche sollen erste Impfungen durchgeführt werden. Nach Angaben von Premierminister Boris Johnson sollen zunächst Bewohner von Pflegeheimen, medizinisches Personal, alte und gesundheitlich gefährdete Menschen geimpft werden.

Wie die Ema erhielt auch die britische MHRA die Daten von Pfizer und Biontech bereits vor der Antragstellung in einem beschleunigten sogenannten Rolling-Review-Verfahren.

Beschleunigtes Prüfverfahren

Dabei beginnen Gutachter mit der Beurteilung des möglichen Impfstoffs, noch bevor alle Daten für den herkömmlichen Zulassungsantrag eingereicht sind. Anders als in den USA stützen sich die Expertinnen und Experten der EU wie Großbritanniens dabei nicht auf das Rohmaterial der Daten, sondern in erster Linie auf die Analysen der Impfstoff-Hersteller.

In Großbritannien wurde die Überprüfung des Biontech-Impfstoffes vom „National Institute for Biological Standards and Control“ (NIBSC) durchgeführt, das zur MHRA gehört. Die finale Prüfungsphase begann erst wenige Tage vor der Zulassung.

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Gleicher Antragszeitpunkt, gleicher Prüfungsprozess – warum braucht die Ema trotzdem länger?

Die EU-Abgeordnete Jutta Paulus (Bündnis 90/Die Grüne), Mitglied im Ausschuss für Umwelt und Gesundheit, sagte am Donnerstag im Deutschlandfunk: „Wir haben immer wieder eingefordert – und mit gutem Grund –, dass in dem Verfahren Gründlichkeit und Sicherheit vor Schnelligkeit gehen muss.“

Außerdem habe die Ema am 11. Dezember eine öffentliche Anhörung angekündigt, bei der sich verschiedene Gruppen einbringen und Fragen zum Impfstoff stellen könnten. Bei der Veranstaltung, die per Livestream verfolgt werden kann, werden Interessensgruppen und Menschen etwa aus dem akademischen Bereich oder Mitarbeitende des Gesundheitswesens angehört.

Transparenz für ein höheres Vertrauen

Paulus sagte, sie halte dieses Treffen gerade mit Hinblick auf die vielen, die einer Impfung sehr skeptisch gegenüber stünden, für äußerst wichtig. Sie hoffe, dass mit Transparenz und Gründlichkeit ein höheres Maß an Vertrauen für die Impfung erreicht werden könne.

Großbritannien wehrte sich allerdings gegen Vorwürfe, nicht gründlich genug vorgegangen zu sein. Am Donnerstag hatte die Leiterin der britischen MHRA, June Raine, zum wiederholten Male versichert, dass bei der Zulassung „keinerlei Abkürzungen genommen wurden“.

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Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock hatte erklärt, dass es eindeutig sei, dass die schnelle Zulassung aufgrund einer Gesetzesänderung möglich war, die nur dank des Brexits gemacht werden konnte. Diese Aussage hält einer Überprüfung allerdings nicht stand.

Großbritannien war schnell - aber nicht wegen des Brexits

Weit vor dem Brexit, nämlich 2012, implementierte Großbritannien mit den „Human Medicines Regulations“ EU-Recht. „Regulation 174“ dieses Gesetzes sieht vor, dass die Erlaubnis für medizinische Produkte nicht von der EU kommen muss, wenn es etwa um die Bekämpfung der Verbreitung von Krankheitserregern geht.

Gesundheitsminister Spahn machte am Mittwoch deutlich, dass auch Deutschland einen Weg wie Großbritannien hätte wählen können, sich aber bewusst dagegen entschieden habe. In der EU gehe es um eine bedingte Marktzulassung, die eine umfassendere Prüfung durch die Ema nötig mache. In Großbritannien handelt es sich stattdessen um eine befristete Notfallzulassung.

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Alle EU-Mitgliedsstaaten haben sich gemeinsam gegen Alleingänge bei der Impfstoff-Zulassung entschieden. In einer Erklärung, die von der Europäischen Kommission im Oktober veröffentlicht wurde, hieß es, dass sich alle Mitgliedstaaten auf eine „koordinierte Herangehensweise“ geeinigt hätten. Die Arbeit der Ema könnte also auch deswegen mehr Zeit benötigen, weil sie die Standpunkte aller 27 EU-Mitgliedsstaaten berücksichtigen muss.

Das bedeutet: Für Großbritannien fielen zum einen Prüfschritte weg – wie etwa eine öffentliche Anhörung –, zum anderen musste die britische Behörde keine Koordinationsaufgabe zwischen vielen Ländern erfüllen, wie es die europäische muss. Beides führt offensichtlich zu einer längeren Prüfungsphase in der EU.

Nutzen muss Risiken überwiegen

Entscheidend für eine Zulassung auf europäischer Ebene ist: Die Vorteile eines Impfstoffes müssen weitaus größer sein als mögliche Nebenwirkungen oder potenzielle Risiken.

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) mit Wissenschaftlern aus allen europäischen Zulassungsbehörden übernimmt die Beurteilung des neuen Mittels. Eine bedingte Zulassung gilt für ein Jahr und kann verlängert werden.

Der Entscheidungsprozess der Ema sieht so aus: Experten geben Einschätzungen zur Wirkung des Arzneimittels ab und äußern sich zu Unsicherheiten der Daten. Außerdem können sie dem Antragssteller weitere Fragen stellen.

Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) bewertet die Arzneimittelsicherheit. Fällt die Entscheidung der Ema positiv aus, muss in einem weiteren Schritt noch die EU-Kommission einer Zulassung zustimmen.

Mit einer Entscheidung auf europäischer Ebene wird nun Ende Dezember gerechnet. Ein Kommissionssprecher sagte am Dienstag, das Zulassungsverfahren könnte nach einer Ema-Empfehlung binnen Tagen abgeschlossen sein. Vor der Entscheidung der Kommission werde Rücksprache mit einem Expertengremium gehalten, in dem alle EU-Staaten vertreten sind. Dieses muss mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. Am 29. Dezember soll das Ergebnis der Prüfung vorliegen. (mit dpa)

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