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Mesut Özil wurde von vielen Seiten für das Scheitern bei der WM verantwortlich gemacht.

© Federico Gambarini/dpa

Update

Rücktritt aus der Nationalmannschaft: Die Abrechnung des Mesut Özil

Lange schweigt Mesut Özil zum Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Dann erklärt er sich, wirft dem DFB Rassismus vor - und tritt aus der Nationalelf zurück. Die Geschichte eines Eklats.

Von
  • Johannes Nedo
  • Katrin Schulze

Für seinen härtesten Angriff hat sich Mesut Özil viel Zeit gelassen. Um kurz nach 20 Uhr am Sonntagabend veröffentlichte der 29-Jährige den dritten Teil eines öffentlichen Briefs, in dem er sich nicht nur zum Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan erklärte, sondern schließlich auch seinen Rücktritt aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mitteilte. Özil begründete seine Entscheidung vor allem mit dem Rassismus, den er erlebt habe. Er bezog sich nicht nur auf Fans, die ihn aufs Übelste beleidigt hätten, sondern auch auf den Chef des weltweit größten Einzelsportverbands der Welt. So barsch wie Özil ist vielleicht noch nie jemand den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Reinhard Grindel, angegangen.

„Mit schwerem Herzen und nach langer Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, so lange ich dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre“, schrieb Özil in dem Brief, den er auf Englisch über Twitter und Facebook verbreitete. Er fühle sich vom Deutschen Fußball-Bund und vor allem von Grindel schlecht behandelt: „Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und seine Unfähigkeit, seinen Job ordentlich zu erledigen.“

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Die mehr als deutlichen Worte von Mesut Özil bekommen nur noch mehr Wucht, wenn man bedenkt, dass der türkischstämmige Fußballer vom englischen Premier-League-Klub FC Arsenal zwei Monate lang zu der Affäre nichts gesagt hatte – obwohl innerhalb der deutschen Mannschaft und des DFB ganz offensichtlich viel über und mit Özil diskutiert worden ist.

Am 13. Mai traf sich Mesut Özil gemeinsam mit seinem deutschen Nationalmannschaftskollegen Ilkay Gündogan in London mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Die Fotos, die dabei entstanden, beschäftigten fortan ganz Deutschland. Wie kann sich ein deutscher Nationalspieler mit einem Autokraten wie Erdogan ablichten lassen? Nicht nur Politiker aller Parteien gaben ihre Meinung ab, ganz Deutschland diskutierte über die Wirkung dieses einen Bildes. Die meisten empörten sich. Doch einer schwieg beharrlich: Mesut Özil.

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Nun, mehr als zwei Monate nach dem Fototermin, rüttelt er in seinem Brief den DFB und ganz Deutschland auf. Bis zum Sonntagabend reagierte DFB-Präsident Grindel zwar nicht, doch so deutliche Worte eines führenden Nationalspielers können nicht ohne Wirkung bleiben. Neben Grindel kritisierte Özil die Medien, Politiker und einige DFB-Sponsoren, die ihn aus ihren Werbekampagnen entfernt hatten.

Scharfe Kritik von Grünen-Politiker Özdemir

Dass sich Özil so lange vorher nicht geäußert hatte, war zum einen klug, weil zu der Kritik an ihm auch viel Unflätiges kam, etwa von der AfD. Andererseits hatte etwa der langjährige Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir auch angemerkt: „Anstatt Erdogan diese geschmacklose Wahlkampfhilfe zu leisten, wünsche ich mir von den Spielern, dass sie sich aufs Fußballspielen konzentrieren.“ Özdemir erinnerte Özil und Gündogan etwa daran, „noch einmal die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nachzuschlagen“. Özil und sein Umfeld hatten sich allerdings offenbar entschlossen, die Sache zunächst ruhen zu lassen.

Ein wachsweicher Satz bei einem flugs organisierten Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist von ihm überliefert („Ich bin hier aufgewachsen und stehe zu meinem Land“). Und auch beim Medientag der Nationalmannschaft am 5. Juni im Trainingslager in Südtirol war Özil der einzige Spieler, der nicht erschien. Gündogan äußerte sich wenigstens in einer kleinen Runde.

Özils Schweigen hingegen hielt an. Während der Weltmeisterschaft in Russland schickte er nur kurze, sportliche Allgemeinplätze über die sozialen Netzwerke heraus. Und weil auch die gesamte Führungsebene des DFB inklusive Bundestrainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff das Thema nicht ordentlich aufarbeiteten, belasteten die Erdogan-Fotos zu einem gewissen Grad die gesamte Nationalmannschaft. Das gaben Führungsspieler wie Kapitän Manuel Neuer oder Thomas Müller zu.

Die Causa Özil war nur eines von vielen Problemen im Team des Weltmeisters von 2014. Allerdings entglitt das sogenannte „Erdogate“ allen Beteiligten beim DFB – und überschattete dann auch Özils sportliche Leistungen. Dass der Offensivspieler etwa bei der Niederlage gegen Südkorea im letzten WM-Vorrundenspiel einer der Besten auf dem Platz war, spielte keine Rolle mehr. Vielmehr wurde Özil von zahlreichen Fans zu einem der Hauptverantwortlichen für das frühe WM-Aus abgestempelt.

Letztlich suggerierte sogar der DFB, dass Özil eine Mitschuld am Desaster trug. Statt klar die rassistischen Anfeindungen gegen Özil zu verurteilen, forderten Grindel und Bierhoff in ihrer WM- Nachlese, Özil solle sich doch nun aber endlich öffentlich erklären. Bierhoff deutete zudem an, es wäre womöglich besser gewesen, Özil doch nicht mitzunehmen – aufgrund all der Aufregung um die Erdogan-Fotos und seiner ausbleibenden Reaktion dazu. Prompt standen auch Grindel und Bierhoff in der Kritik. Jetzt, nach diesen Einlassungen von Özil, müssen beide mit noch mehr Gegenwehr rechnen.

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