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Nicht zu fassen. Lucas Tousart und Hertha BSC waren bei der Niederlage gegen Eintracht Frankfurt selbst ein bisschen erschüttert von ihrem Auftritt.

© dpa

Saisonstart der Extreme: Hertha BSC sucht die Grautöne

Niederlage, Sieg, Niederlage: Weil Hertha BSC gegen Eintracht Frankfurt ein paar personelle Ausfälle zu viel hat, geht der Zickzackkurs der Mannschaft weiter.

Exakt eine Minute und dreiunddreißig Sekunden waren am Freitagabend im Olympiastadion gespielt, als die erstmals wieder zugelassenen Fans von Hertha BSC in der Ostkurve jeglichen Realismus über Bord warfen. Passiert war auf dem Feld noch nichts, aber das 0:0 gegen Eintracht Frankfurt reichte Hertha zum zwischenzeitlichen Sprung auf Platz eins der Blitztabelle in der Fußball-Bundesliga. „Spitzenreiter! Spitzenreiter!“, riefen die Fans, und dann erinnerten sie sich an einen Gassenhauer aus der Saison 2008/09: „Wir hol’n die Meisterschaft …“

Natürlich kam in diesem Moment einiges zusammen: die Freude, endlich wieder im Stadion zu sein, ein gewisser Spaß an der Selbstironie, aber eben auch ein grundsätzlich gutes Gefühl, was das Potenzial der eigenen Mannschaft angeht. 43 Minuten und 27 Sekunden später war dieses Gefühl komplett verflogen. Stattdessen kehrten die herthatypischen Zweifel zurück.

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„Wir waren fast wie eine Schülermannschaft – das muss man so hart sagen“, befand Torhüter Alexander Schwolow nach der 1:3 (0:2)-Niederlage gegen die Frankfurter.  „Wir haben die erste Halbzeit verpennt. Das hat mit dem Anlaufen vorne angefangen und mit dem Zweikampfverhalten hinten aufgehört.“ In der zweiten Halbzeit wurde es besser, aber immer noch nicht durchgehend gut. Und so war dieses Spiel ein weiteres Plädoyer für die Grautöne. Wie eigentlich Herthas gesamter Saisonstart. „Wir müssen davon wegkommen, dass wir nach jedem Spiel Endabrechnungen machen“, sagte Trainer Bruno Labbadia. „Nach einem Sieg ist nicht alles Weltklasse, nach einer Niederlage nicht alles schlecht.“

Von Schwarz zu Weiß zu Schwarz: Drei Pflichtspiele liegen hinter Labbadia und seinem Team, und Hertha hat einen formschönen Zickzackkurs hingelegt. Dem Pokalaus gegen den Zweitligaaufsteiger Braunschweig folgte ein überzeugender Sieg beim Fast-Absteiger Werder Bremen. Folgte eine Heimniederlage gegen eine abgebrühte Frankfurter Mannschaft. „Wir hatten immer das Gefühl: Wir sind der Chef auf dem Platz“, sagte deren Trainer Adi Hütter.

Nur für den Lerneffekt ist das Spiel gut

Von den drei bisherigen Gegnern ist die Eintracht vermutlich der seriöseste Maßstab für Herthas wahre Leistungsstärke: eine Mannschaft, die in der Abschlusstabelle der Vorsaison einen Platz vor den Berlinern lag und tendenziell in einer ähnlichen Preisklasse verortet wird; die Hertha am Freitag allerdings in fast allen relevanten Punkten überlegen war. In Sachen Geschlossenheit, Reife, Struktur, Abgezocktheit. „Wir nehmen sehr viel mit aus diesem Spiel, auch wenn es nicht schön ist“, sagte Labbadia.

So wie sich der Trainer in den Wochen der Vorbereitung geäußert hat, dürfte er von dem Auftritt gegen die Eintracht noch am wenigsten überrascht gewesen sein. Labbadia hat immer wieder von einem Prozess gesprochen hat, von dem Weg, den die Mannschaft zu gehen habe. „Trotzdem heißt das nicht, dass wir das Spiel nicht gewinnen können“, sagte er.

Auf dem Papier verfügt Hertha über einen Kader mit Qualität und Potenzial, aber entscheidend ist am Ende der Auftritt auf dem Platz. Und der war gegen Frankfurt nicht gut. „Wir sind voll in diesem Lernprozess drin“, sagte Torhüter Schwolow. „Da wird es auch einen oder anderen Rückschlag geben. Trotzdem darf uns so was wie die erste Halbzeit nicht passieren.“

Gleich drei Wechsel zu zweiten Halbzeit

Trainer Labbadia hatte gehofft, dass die Mannschaft von dem positiven Erlebnis des Bremen-Spiels profitieren könne. Stattdessen klagte er am Tag danach über „einige personelle Ausfälle“. Schon in der Pause sah sich Herthas Trainer zu massiven Eingriffen gezwungen. Gleich drei neue Spieler schickte er zur zweiten Halbzeit aufs Feld, Krzysztof Piatek, Peter Pekarik und Vladimir Darida blieben dafür in der Kabine.

Piatek war nahezu unsichtbar geblieben, hatte in 45 Minuten gerade sieben Mal den Ball berührt. Aber auch Pekarik und Darida, die in den ersten beiden Spielen überzeugt hatten, waren über das Feld gehuscht wie Gespenster, die Angst haben, entdeckt zu werden. Wenn selbst die Alten und Erfahrenen ihre Fähigkeiten nicht auf den Platz bringen, wird es natürlich für die gesamte Mannschaft schwierig.

Matheus Cunha ist für die Selecao nominiert

Das galt auch für Matheus Cunha und Dedryck Boyata. Für die beiden Spieler also, die für Herthas Performance von besonderer Bedeutung sind, der eine in der Offensive, der andere in der Defensive. Boyata, gerade erst zum Kapitän gewählt, verschuldete nach einer knappen halben Stunde den Elfmeter, der die Frankfurter in Führung brachte. Fünf Minuten später dann ließ er Eintrachts Stürmer Bas Dost nahezu unbehelligt zum 2:0 einköpfen.

Matheus Cunha hatte am Tag des Spiels gegen die Frankfurter erfahren, dass er erstmals für die brasilianische Nationalmannschaft nominiert worden ist. Diese Nachricht habe ihn unheimlich berührt, berichtete Trainer Labbadia, aber die Hoffnung, dass sie ihn auch beflügeln würde, erfüllte sich nicht. „Es hat ihn eher gehemmt“, sagte Labbadia. Cunha traf viele falsche Entscheidungen, ging für den Geschmack seines Trainers zu oft ins Dribbling und war dadurch kein Faktor in Herthas Offensivspiel. „Er hatte nicht den Tag, den wir gebraucht haben“, sagte Labbadia.

Cunha muss manchmal noch seine Mitte finden, nicht überdrehen, weder im Guten noch im Schlechten. Das gilt noch viel mehr für Hertha als Ganzes. Aber so einfach ist das nicht. Am kommenden Sonntag treten die Berliner bei den Bayern in München an. Es könnte also wieder extrem werden. So oder so.

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