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Seit 1995 wird in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie nach Tarif 35 Stunden gearbeitet. Im Osten sind es drei Stunden mehr.

© dpa/dpaweb

Arbeitszeit im Osten: Häuserkampf oder Verhandlungslösung

Die IG Metall will im nächsten Jahrzehnt die Arbeitszeiten in Osten auf Westniveau kürzen. Die Arbeitgeber sind gespalten.

Es war schon spät in der Nacht und der Tarifkompromiss beinahe unter Dach und Fach, als es noch einmal brenzlig wurde. Die Lohnprozente waren vereinbart, doch dann wollten die Vertreter der IG Metall an diesem 5. Februar 2018 in Stuttgart von den Arbeitgebern die verbindliche Zusage, dass sie in den folgenden Monaten über eine Arbeitszeitverkürzung im Osten verhandeln würden. Die Nerven lagen blank, Teilnehmer berichten von drohenden Handgreiflichkeiten. Dazu kam es nicht, die Sozialpartner verständigten sich vielmehr auf eine Gesprächsverpflichtung, die dann in der zweiten Jahreshälfte auch tatsächlich eingehalten wurde.

Ärger über das Eckpunktepapier

Neun Monate später, Mitte November, verständigte sich der für Berlin, Brandenburg und Sachsen zuständige Arbeitgeberverband (VME) mit der IG Metall über ein Eckpunktepapier: Die im Osten geltende tarifliche Wochenarbeitszeit von 38 Stunden soll in mehreren Schritten und unter Berücksichtung der wirtschaftlichen Situation der Betriebe in Richtung 35-Stunden-Woche reduziert werden. Bereits seit 1995 arbeiten die Metaller im Westen 35 Stunden. Im Osten verlor die Gewerkschaft 2003 einen Arbeitskampf um die Arbeitszeitverkürzung und hat sich seitdem nicht mehr getraut, das Thema anzufassen. Bis jetzt.

Unmut gibt es vor allem in den Großbetrieben

Vor allem in den Großbetrieben, oftmals Töchter von Westkonzernen, wollen die Belegschaften nicht auf ewig drei Stunden länger arbeiten als die Kollegen in den alten Ländern. „Die Perspektive einer Angleichung der Arbeitsbedingungen spielt im Osten eine herausragende Rolle“, sagt Olivier Höbel, IG Metall- Chef von Berlin, Brandenburg und Sachsen und qua Funktion auch Verhandlungsführer der Gewerkschaft. Als Höbel vor zwei Monaten das Eckpunktepapier vereinbarte, sah das nach Verständigung aus. Einzelne Betriebe hätten demnach die Arbeitszeit erstmals zum 1. April 2020 verkürzen können. In einem Modell unterschiedlicher Geschwindigkeiten sieht das Papier einen „Gesamteinführungszeitraum bis 2030“ vor. 40 Jahre nach der Vereinigung wären dann also die Arbeitszeiten in der größten deutschen Industriebranche angeglichen. Der Regionalverband VME unter der Leitung von Christian Amsinck, der auch als Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände in Berlin-Brandenburg fungiert, unterschrieb die  Eckpunkte unter der Bedingung einer Kostenkompensation und weiteren Arbeitszeitflexibilisierungen. Details wollten die Tarifparteien bis Mitte 2019 aushandeln. So weit, so gut. Dann intervenierten die großen Verbände aus dem Westen.

Die Berliner wurden zurückgepfiffen

„Das Papier ist tot“, heißt es inzwischen bei Gesamtmetall, dem Dachverband der Arbeitgeber. Ursprünglich hatte sich Gesamtmetallchef Oliver Zander nicht für das Thema interessiert und ließ den Berliner VME  machen. Doch als das Eckpunktepapier plötzlich auf dem Tisch lag, waren vor allem die mächtigen Arbeitgeberverbände in Baden-Württemberg und Bayern sauer, weil sie nicht rechtzeitig informiert worden waren. Dabei liegen die Zentralen großer Verbandsmitglieder, die im Osten Tausende beschäftigen, im Süden und Südwesten. Zum Beispiel Porsche und BMW, Siemens und Bosch.

Amsinck wurde zurückgepfiffen und muss nun am Dienstag in der Gesamtmetallzentrale am Potsdamer Platz auf Verständnis und ein Verhandlungsmandat hoffen: Der Vorstand des Dachverbandes, in dem die Großen aus dem Süden den Ton angeben, befasst sich mit dem weiteren Vorgehen in Sachen Arbeitszeit Ost.

Im Osten wird einen Monat länger gearbeitet

Eine schnelle Verkürzung der Arbeitszeit kommt für die Arbeitgeber nicht in Frage. Auch Amsinck will die Themen „Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Demografie“ mit in Betracht ziehen. Die IG Metall wiederum mosert zwar, weil die Kollegen im Osten „rund einen Monat länger im Jahr arbeiten als im Westen“ (Höbel). Aber da die Gewerkschaft viel zu wenige Mitglieder hat und überhaupt kaum Firmen im Osten Tarif zahlen, sind die Durchsetzungsbedingungen für die Gewerkschaft mindestens ebenso schlecht wie 2003. Für einen Arbeitskampf in Ostdeutschland ist die IG Metall zu schwach. Auch deshalb hat die Gewerkschaft jetzt acht Betriebsratsvorsitzende westdeutscher Konzerne in einer gemeinsamen Erklärung an ihre Unternehmensleitungen appellieren lassen: „Setzen Sie sich in Ihren Verbänden aktiv dafür ein, dass bei Gesamtmetall am 22.01. der Weg für ergebnisorientierte Verhandlungen im ersten Halbjahr 2019 zur Angleichung der Arbeitszeit freigemacht wird.“

Die Betriebsräte machen Druck

Und wenn nicht? Die Betriebsräte von Daimler, ZF, Porsche, Bosch, VW, BMW, Mahle und Siemens warnen vor einem „hochgradig riskanten Verhalten“. Die Arbeitgeber hätten am Dienstag die Wahl zwischen einer Regelung im Flächentarif „mit einer schnellen Einführung für die stärkeren Unternehmen und längeren Zeiträumen für die schwächeren“. Oder aber die „IG Metall wird das Thema andernfalls Betrieb für Betrieb durchsetzen, wenn es nicht zu einer Lösung mit den Verbänden kommt“, heißt es im Schreiben der Betriebsratschefs. Dann droht also Häuserkampf. Dort, wo die IG Metall gut organisiert ist, und das gilt für Porsche und BMW in Leipzig ebenso wie für VW in Zwickau und Chemnitz, kann sie die kürzere Arbeitszeiten dann mit Protestaktionen durchsetzen.

"Eine Frage der sozialen Einheit"

Olivier Höbel hofft unverdrossen auf eine Verhandlungslösung für die komplette Branche. Die Betriebsräte argumentieren gesamtdeutsch: 30 Jahre nach der Einheit sei die Angleichung der Arbeitsbedingungen „eine Frage der sozialen Einheit und der Gerechtigkeit“. Und da auch die Arbeitgeberverbände kein Interesse an einem Wahlsieg der AfD in den im Herbst anstehenden Landtagswahlen haben, sei jetzt die Zeit reif für einen Fahrplan Richtung 35 Stunden.

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