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Eine Waschmaschine wird per App gesteuert (Symbolbild).

© Getty Images

Erfinder des Internets der Dinge: "Alte weiße Männer sind das Problem"

Kevin Ashton, Erfinder des Internets der Dinge, im Tagesspiegel-Interview über die nächsten großen Innovationen und die größten Hemmnisse des Fortschritts.

Kevin Ashton hat Ende der Neunziger den Begriff „Internet der Dinge“ geprägt. Der Brite arbeitete damals für den Konsumgüterkonzern Procter & Gamble und suchte eine technische Lösung, um den Verkauf einzelner Produkte zu verfolgen. So wurde er 1999 Mitbegründer des Auto-ID Center am Massachusetts Institute of Technology (MIT) im US-amerikanischen Cambridge und entwickelte dort unter anderem den Standard für RFID-Chips und Sensoren.

Herr Ashton, kürzlich wollte ich ein Sonderangebot im Supermarkt kaufen, doch schon am ersten Tag war es vergriffen. Wollten sie das Problem nicht schon vor 20 Jahren gelöst haben?

Ja, ich hätte auch gedacht, dass es längst gelöst wäre. Denn in Ihrem Fall war die Nachfrage größer als erwartet, es gibt also eine Störung im System, die mit Informationen zu tun hat. Deswegen könnten Echtzeit-Daten über den Verkauf helfen. Ende der neunziger Jahre gab es die Aufgabe, eine passende Technologie zu einem erschwinglichen Preis zu entwickeln, und das haben wir getan.

Das waren die RFID-Chips, mit denen Gegenstände geortet werden können.

Genau. Wir haben die Technologie entwickelt und günstig gemacht. Für mich war das der Beginn des Internets der Dinge, denn wenn Sensoren die Informationen in Echtzeit übermitteln, können viele Probleme in der Logistik gelöst werden. Daher habe ich damals auch vorhergesagt, dass wir bald in einer Welt leben, wo selten Produkte ausverkauft sind. Und doch ist es immer noch nicht so.

Was ist das Problem?

Alte weiße Männer. Als ich 1999 angefangen habe, war ich gerade 30 geworden und ziemlich naiv. Ich dachte, wenn man gute Technologie entwickelt und ein überzeugendes Geschäftsmodell, werden Leute das annehmen. Aber so ist es nicht. Die wollen tun, was sie immer getan haben. Man hört immer die gleichen Ausreden und merkt irgendwann, sie wollen einfach nicht. Daher ist die Geschichte der Wirtschaft eine Geschichte von alten weißen Männern, die sich nicht ändern wollten und aus dem Geschäft gedrängt wurden.

Wie lange dauert es noch, bis das geschieht und die Läden vernetzt werden?

Vielleicht bald, denn Angst kann die Einführung von Technologie befördern. In der Zwischenzeit haben die großen Online-Händler ihre Technologien entwickelt. Nun bewegt sich Amazon in den stationären Handel, und sie werden womöglich vieles, was sie gelernt haben, auch auf die Läden übertragen. Und wenn plötzlich andere kommen, ziehen auch Händler nach, die sich lange verweigert haben.

Ist das Internet der Dinge wichtiger für Konsumenten oder Industrie?

Beides. In fast jeder Branche gibt es derzeit Projekte, doch die Unternehmensanwendungen sind oft schwierig zu erklären. Einerseits ist es oft nicht so futuristisch, wie es sich manche vorstellen, und andererseits muss man die Industrie kennen, um den Nutzen zu verstehen.

Kevin Ashton. "Ob Google oder BMW die Daten gehören, ist gar nicht so relevant. Sondern, ob der Konsument versteht, was damit passiert."
Kevin Ashton. "Ob Google oder BMW die Daten gehören, ist gar nicht so relevant. Sondern, ob der Konsument versteht, was damit passiert."

© Larry D. Moore - Wikimedia

Wo werden wir im Alltag künftig das Internet der Dinge erleben?

Viele Leute nutzen das Internet der Dinge schon. Google Maps auf dem Smartphone oder Fahrdienste wie Uber sind auch Internet der Dinge, das funktioniert durch Sensoren, GPS und Vernetzung. Dazu kommen jetzt Gesichtserkennung und Sprachsysteme wie Alexa, mit denen wir auch im Haushalt Lampen oder Thermostate steuern. Und ganz viel tut sich derzeit in der Autobranche. In den nächsten 15 oder 20 Jahren werden viele Fahrzeuge autonom fahren.

Wo stehen da die Deutschen? Führen da noch die alten weißen Männer?

Jeder ist ein alter weißer Mann in der Autoindustrie.

Die USA haben Tesla-Visionär Elon Musk und Deutschland hat manipulierte Diesel.

Das zeigt aber auch, wie viel Software jetzt schon in Autos steckt. Ich denke, die deutschen Autobauer wissen genau, was kommt und tun, was sie können, um bereit dafür zu sein. Die alten weißen Männer sitzen in den Händler-Netzwerken. Sie verdienen einerseits Geld damit, ein Auto zu verkaufen. Das meiste Geld kommt dann von den jährlichen Inspektionen. Bei einem selbstfahrenden Auto kann vieles davon über Nacht per Softwareupdate eingespielt werden. Aus Kundensicht ist es natürlich schöner, mit einem verbesserten Auto aufzuwachen, als zum Händler zu fahren. Tesla macht das schon so, doch die Frage ist, ob sich die deutschen Autobauer von ihren Händlern lösen können, um die Vorteile des Internets der Dinge zu nutzen.

Eine große Frage ist auch, wem dann all die Daten der Autofahrer gehören.

Ob Google oder BMW die Daten gehören, ist gar nicht so relevant. Entscheidend ist, ob der Konsument versteht, was mit seinen Daten passiert. Und da müssen die Regierungen viel mehr regulatorischen Druck ausüben. Momentan ist es so wie damals, als vor 50 Jahren Fertiglebensmittel auf den Markt kamen. Es gab keine Regeln, was über die Zutaten draufstehen musste. Die Industrie sagte nur: Vertraut uns, das schmeckt lecker und mehr müsst ihr nicht wissen. Bis dann standardisierte Label mit Inhaltsstoffen kamen. Solche nutzerfreundlichen Label brauchen wir auch für Informationsprodukte. Es sollte draufstehen, wie viele Daten man gerade teilt. Wer das nicht will, sollte das Produkt nicht nutzen oder zu einem Wettbewerber gehen, der die Privatsphäre schützt.

Genau so argumentiert Apple schon jetzt?

Mag sein. Aber alle relevanten Informationen sind in den AGB versteckt. Die liest zwar keiner, aber jeder klickt an, er habe sie gelesen. Daher müssen die Regierungen mehr Transparenz von den Technologiekonzernen erzwingen.

Werden sie das auch tun?

Nein, denn wir haben da wieder das Alte-Weiße-Männer-Problem von Leuten, die über Dinge entscheiden, die sie nicht verstehen. Zudem werden Entscheidungen immer mehr von Spenden beeinflusst. Außerdem haben die Regierungen einen Interessenskonflikt, denn sie würden selbst gern wissen, wo jemand gerade im selbstfahrenden Auto unterwegs ist, wenn er im Verdacht steht, etwas Unerlaubtes zu tun. Und auch die meisten Menschen wollen Privatsphäre für sich und keine Privatsphäre für jeden anderen. Die Regierung soll natürlich nicht wissen, wo ich im Auto fahre, bei einem möglichen Terroristen natürlich doch.

Welche neuen Anwendungen kommen außer dem Roboterauto noch auf uns zu?

Ein großer asiatischer Hersteller von Haushaltsgeräten hat mich gefragt, was eine smarte, vernetzte Waschmaschine können sollte. Ich habe geantwortet, sie sollte meine Sachen bügeln, falten und in den Schrank legen. Die dachten natürlich an eine App, um die Maschine anzuschalten, aber das interessiert mich nicht. Man muss überlegen, was das eigentliche Problem der Menschen ist, doch so denken die Waschmaschinenleute nicht.

Und wann gibt es den Wäscheroboter?

Es wird sehr viel Technologie für selbstfahrende Autos entwickelt, die dann auch in anderen Bereichen genutzt werden kann. Und ich habe kürzlich schon einen Nähroboter gesehen. Wenn es die gibt, kann es auch Faltroboter geben. Viele Probleme, die heute sehr kompliziert scheinen, werden in zehn, zwanzig Jahren für Roboter einfach zu lösen sein.

Was passiert dann mit den Leuten, die nähen oder bügeln?

In der Vergangenheit hat die Automatisierung für viele interessantere Arbeit und eine Steigerung in Alphabetisierung und Bildung gebracht. Die Alphabetisierung ist erst in den letzten 200 Jahren populär und notwendig geworden, weil Automatisierung Arbeit an Webstühlen oder in der Landwirtschaft verdrängt hat. Ich denke jedenfalls nicht, dass ein Nähroboter, der die Arbeit in Sweatshops abschafft, schlecht für die Menschheit wäre. Generell scheint doch die Automatisierung eine gute Sache zu sein. Wer will schon Traktoren abschaffen und selbst ein Feld pflügen?

Die arbeitslosen Näher sehen das womöglich anders.

Für die etablierte Generation ist das in der Tat ein Problem, die Kinder werden es dagegen viel besser haben. Allerdings stellt sich irgendwann generell die Frage, warum wir überhaupt arbeiten müssen? Ich bin kein Marxist, aber es wäre doch toll, wenn die Grundbedürfnisse von Maschinen erfüllt würden und die Leute hätten Zeit, schlechte Bilder zu malen, schlechte Musik zu machen oder sich um ihre Kinder zu kümmern. Inzwischen denken viele über Ideen wie ein Grundeinkommen nach. Und wir brauchen solche neuen Wege, um die Früchte der Arbeit unserer Maschinen zu verteilen.

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