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Nichts wird in ausländischen Onlineshops so häufig bestellt wie Schuhe und Kleidung.

© Getty Images/iStockphoto

Geoblocking im Onlinehandel: Endlich grenzenlos shoppen?

Die EU hat Verbrauchern das Einkaufen im Ausland per Internet erleichtert. Doch die Resonanz bei Kunden ist bislang bescheiden und Händler sind genervt.

Von Markus Lücker

Die Diskriminierung beim Onlineshopping hat ein Ende – nur ist das bislang kaum jemandem aufgefallen. Im vergangenen Dezember trat die EU-Verordnung mit der Nummer „2018/302“ in Kraft. Ihr Ziel: den Grenzen überschreitenden Einzelhandel in der Europäischen Union stärken und Schluss machen mit dem sogenannten Geoblocking.

Vorher konnte etwa ein spanischer Schuster bestimmen, dass er Onlinebestellungen nicht ins Ausland liefert. Oder dass er seine Ware maximal bis nach Belgien sendet, aber nicht weiter in den Osten der EU. Oder dass die Preise im Onlineshop für nicht-spanische Kunden höher sind als für Landsleute. Manche Internetseite war aber auch einfach so unflexibel programmiert, dass sie keine lettische Anschrift oder slowenische Kreditkarte akzeptiert hat. All das sind Formen von Diskriminierung, gegen die sich die Verordnung „2018/302“ richtet.

Eigentlich ein große Sache, doch so richtig herumgesprochen hat sich die Errungenschaft offensichtlich noch nicht. „Mein Team kriegt zum Thema aktuell zwei bis drei Anrufe pro Woche“, sagt Ann-Katrin Zabel vom Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz. Es kommen Fragen, es kommen Beschwerden. Manchmal zu kleinen Onlineshops und manchmal zu Großunternehmen wie Zalando und Amazon.

Für gewöhnlich verweist Zabels Team dann an die Bundesnetzagentur, die die Verordnung durchsetzen soll. Auch hier liegt die Zahl der Meldungen laut Sprecher im niedrigen zweistelligen Bereich. Ein Aufstand selbstbewusster EU-Bürger, die auf ihre Rechte pochen, sieht anders aus.

Der Versand muss überarbeitet werden

Nur die Händler sind beunruhigt. Verbraucherschützerin Zabel erzählt davon, wie sie kürzlich einen Vortrag vor Kleinunternehmern gehalten hat: „Die sehen vor allem den großen Verwaltungsaufwand, der nun auf sie zukommen könnte.“ So müssen Händler zum Teil ihr Versandsystem überarbeiten. Der spanische Schuster darf auch weiterhin seine Auslieferungen bis Belgien begrenzen, er muss nun aber bei einem deutschen Kunden eine Lösung finden, wie der an seine Bestellung kommen kann – durch zusätzliche Kosten oder indem der Kunde einen eigenen Lieferdienst beauftragt.

Bei riesigen Onlinehändlern mag das kein Mehraufwand sein. Für den kleinen Schuh-Shop, der pro Jahr vielleicht drei Bestellungen aus dem Ausland bekommt, dürfte das anders sein. „Wir müssen die Händler erst noch von den Chancen überzeugen“, weiß Ann-Katrin Zabel.
Denn Chancen gibt es durchaus. Wie aus einer Studie der Wirtschaftsprüfungsfirma PwC hervorgeht, geben die Deutschen pro Jahr mehr als fünf Milliarden Euro in ausländischen Onlineshops aus. Und die Zahlen steigen. 71 Prozent haben in den letzten zwei Jahren bei Händlern außerhalb Deutschlands bestellt. Zwei Jahre zuvor waren es noch 56 Prozent. Rund die Hälfte der Kunden bestellten Kleidung und Schuhe. Danach folgen Unterhaltungselektronik, Videospiele, Musik, Filme und Bücher.

Bestellen bei Nachbarn

Oft kommt die Lieferung aus anderen EU-Ländern. Unter den Kunden ausländischer Onlineshops kaufte fast jeder Zweite bei einer britischen Plattform ein. Davor liegt nur noch China mit 59 Prozent. Abgesehen von den USA auf Rang drei werden alle vorderen Plätze von EU-Staaten belegt: Österreich, Niederlande, Frankreich, Italien und Spanien. Auf die Länderdaten und das Verbot von Geoblocking blickend prophezeit PwC: „Mit dem Wegfall wird sich der Wettbewerb zukünftig weiter verschärfen.“

Schon jetzt sind 40 Prozent der Befragten überzeugt, dass der Sitz eines Onlineshops in zwei Jahren zumindest für den Konsumenten bedeutungslos sein wird. Dem stehen nach Meinung von Juristin Sandra May jedoch mehrere Punkte im Weg. May arbeitet für den Händlerbund, ein europaweit agierendes Netzwerk von Beratern und Lobbyisten für den Bereich E-Commerce.

Als Hindernisse benennt sie die wirtschaftlichen Schäden, die Händlern durch Retouren entstehen sowie die rechtliche Unsicherheit. Ganz oben auf ihrer Liste steht aber: „In der EU gelten 28 verschiedene Mehrwertsteuersätze.“ Damit der Handel innerhalb der Union weiter wachsen kann, müsse hier für Harmonie gesorgt werden. Zudem sollten Teile der Logistik wie Transportdokumente digitalisiert werden.

Die Mehrwertsteuer in der EU

Zumindest bei der Mehrwertsteuer bahnen sich Änderungen an. Bis 2021 will die Europäische Kommission das System überarbeiten. Händler sollen Verkäufe in andere EU-Staaten nur noch auf einer Online-Plattform eintragen müssen, die jeweils die Finanzbehörde des Landes leitet. Außerdem sollen kleinere Unternehmen und Start-ups entlastet werden.

Wer wie der spanische Schuster pro Jahr nur ein paar Artikel über die eigene Landesgrenze hinweg verkauft, darf diese Exporte zukünftig bei der Mehrwertsteuer wie eine Bestellung aus dem Inland behandeln. Das gilt bis zu einer Schwelle von 10.000 Euro pro Jahr. EU-weit sollen 430.000 Unternehmen von den Änderungen profitieren. Diese und weitere Reformen am Steuersystem sollen auch Betrügereien verhindern. So gehen den Mitgliedstaaten jährlich bis zu 50 Milliarden Euro bei grenzüberschreitenden Verkäufen verloren.
Auch die Verordnung zum Geoblocking weißt noch einige Lücken auf. Von seinen neuen Exporten begeistert, könnte der spanische Schuster etwa einen zweiten deutschsprachigen Onlineshop einrichten. Die Preise könnte er hier ganz nach Belieben hochschrauben. Er müsste dem Kunden nur die Chance geben, wieder zur Originalseite zu wechseln. Einen Hinweis auf unterschiedliche Preise braucht es nicht. Die neue Shoppingfreiheit hat ihre Grenzen.

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