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Valerie Holsboer soll mit ihrer Art den falschen Mann gegen sich aufgebracht haben.

© Imago/ Max Stein

Machtkampf in Deutschlands größter Behörde: Warum die einzige Frau im Vorstand gehen soll

Valerie Holsboer könnte als erste Frau im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit abgewählt werden – nach einem langen Machtkampf und vielen Gerüchten.

Es gebe Sitzungen, da würden Männer allein durch ihre Haltung und Lautstärke betonen, wer das Sagen habe. „Sagt die einzige Frau was, gucken alle weg. So etwas kommt vor.“ Valerie Holsboer ist die allererste Frau im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit und war ein halbes Jahr im Amt, als sie dies 2017 in einem Interview erzählte. Damals hat wohl niemand die Sätze so verstanden wie heute. Holsboer soll nämlich ihren Job verlieren. Und das vielleicht, weil sie einem Mann zu selbstbewusst ist.

Vor drei Wochen ging es mit den Gerüchten los. Holsboer, die ihren Posten in der größten Behörde des Landes für fünf Jahre bekommen hat, soll vorzeitig vom Verwaltungsrat abgewählt werden. Womöglich an diesem Freitag, wenn das Gremium tagt. Zwar äußert sich niemand öffentlich zu dem sonderbaren Vorgang. Getuschelt wird aber umso mehr.

Im dreiköpfigen Vorstand ist die 42-Jährige für Personal und Finanzen zuständig. Eine Erklärung lautet: Sie macht ihren Job nicht gut genug. Immer wieder Fehler, wenig Fachkunde, zu wenig eigene Akzente. Ihr sei es nicht gelungen, die Bundesagentur für die aktuellen Herausforderungen wie das Aufbrechen langer, verhärteter Arbeitslosigkeit umzubauen.

„Frau Holsboer war der Größe der Aufgaben nicht gewachsen“, heißt es aus dem Umfeld des Verwaltungsrats. Dieser kontrolliert zusammen mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen die Arbeit des Vorstands. Die Volljuristin habe zwar viel Energie in das Thema Gleichberechtigung und gutes Betriebsklima gesteckt, sagen Kritiker. Das würde aber nicht genügen. Sich jetzt als Opfer darzustellen, sei bloß der Ausweg einer Gescheiterten, um das Gesicht nicht zu verlieren.

Mitarbeiter loben sie, unterschreiben Petition

Die, die Valerie Holsboer lange kennen, glauben all dem nicht. Alexander van Bömmel ist Vizepräsident des Bundesverbands der Systemgastronomie. Von 1999 bis 2007 sei der Verband eine „Katastrophe“ gewesen, im „Kriegszustand“ mit der Gewerkschaft. Dann wurde Holsboer seine Chefin, habe Strukturen ganz neu aufgebaut, die Konflikte mit der Arbeitnehmerseite gelöst, einen neuen Tarifvertrag ausgehandelt. „Ich kenne sie als jemanden, der unglaublich gut Menschen mitnehmen kann, zuhört, führungsstark und konstruktiv ist. Ihre Arbeit wirkt bis heute nach“, erzählt Bömmel am Telefon.

In kurzer Zeit habe sie sich in unbekannte Themen eingearbeitet. „So wie sie unseren Verband geführt hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie die Finanzen nicht im Blick hat. Und gab es nicht die Meldung, dass die Arbeitsagentur 2018 einen Rekordüberschuss erzielt hat?“

Petition an die Bundesregierung

Auf der letzten Personalversammlung der Behörde applaudierten ihr die Beschäftigten, manche stehend. Sie setzen sich für Holsboer in den sozialen Netzwerken ein. Werner Motzet, ein führender Mitarbeiter der Arbeitsagentur, hat eine Petition an die Bundesregierung formuliert. Darin schreibt er: „Die in den Medien aufgestellten Behauptungen entbehren jeder Grundlage, sie sind – aus welchen Gründen auch immer – aus der Luft gegriffen und einfach falsch!“ Mehr als tausend Mitarbeiter haben unterschrieben. Sie loben ein anderes Miteinander, eine neue Lern- und Führungskultur.

Auch außerhalb der Behörde hat Holsboer Fürsprecher. Die grüne Haushaltspolitikerin Ekin Deligöz, die seit fünf Jahren als Hauptberichterstatterin die Zahlen der Bundesagentur prüft, sagte über die Vorständin: "Sachlich, fachlich immer gut vorbereitet und eine kompetente Gesprächspartnerin.“ In den zwei Jahren, in denen Holsboer im Amt sei, habe die BA sehr gute Zahlen präsentiert. Ein Blick in die Statistik der Langzeitarbeitslosigkeit zeigt außerdem: Sie ist seit 2017 deutlich gesunken. Holsboer soll außerdem arbeitgeberfreundliche Instrumente beim sogenannten sozialen Arbeitsmarkt auf den Weg gebracht haben.

Geht es vielmehr um einen politischen Machtkampf?

Dass jemand überhaupt aus dem Vorstand der Arbeitsagentur geworfen wurde, geschah einmal. Anfang des Jahrtausends musste der Behördenchef Florian Gerster gehen – wegen eines Skandals um millionenschwere Beraterverträge. Immer mal wieder sorgt die Behörde für negative Schlagzeilen. 2013 hieß es zum Beispiel: Die Arbeitsagentur trickse sich die Statistik schön! Der damalige Chef Frank-Jürgen Weise räumte Fehlanreize ein – und blieb. Von Holsboer ist kein großer Fehltritt bekannt. Welchen Grund könnte es noch geben, dass sie trotzdem gehen soll? „Ich glaube, dass andere Valerie anstrengend finden. Sie will Sachen verändern, fordert Menschen“, sagt Bömmel. „Das kommt in so einer Herrenriege wahrscheinlich nicht gut an.“

Ein Name fällt bei dieser Interpretation des Konflikts jedes Mal: Peter Clever. Der 64-Jährige ist Volkswirt, Rheinländer, seit mehr als 15 Jahren Mitglied im Verwaltungsrat der Arbeitsagentur und stellvertretender Chef des Gremiums. Gerüchten nach soll er hinter der Intrige stecken. Zunächst verwundert das, weil er der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) Holsboer vorgeschlagen hatte. Die Arbeitgeber-Seite, zu der er gehört, soll sich von ihr einen Gegenpol zum Vorstandschef und Sozialdemokraten Detlef Scheele versprochen haben.

Doch dann verhielt sie sich angeblich nicht so loyal wie Clever das erwartet hatte. Schon im Herbst 2017, als Holsboer im Interview von männlichen Machtdemonstrationen sprach, sollte zwischen ihr und ihrem Kritiker vermittelt werden. Es störte Holsboer, dass Clever sie ständig anschreie. Es heißt, der durchaus als aufbrausend bekannte Clever habe gegen sie gestichelt, gar getobt. Einmal soll er ein Gesetzbuch über den Tisch in ihre Richtung geworfen haben. Die Vermittlung scheiterte.

Konflikte zwischen alter Klüngelei und neuer Kultur

Geht es hier also vielmehr um einen politischen Machtkampf? Zeigen sich exemplarisch die Konflikte zwischen alter Klüngelei und einer neuen Kultur, die da nur stört? Mann gegen Frau? Werden in der Behörde Beleidigungen und Ausraster geduldet, damit alles so bleibt wie es war und ist? Ist es möglich, dass ausgerechnet eine Institution, die Menschen bei der Arbeitssuche hilft, jemanden leichtfertig entlässt?

Am Mittwochabend ist Valerie Holsboer in Frankfurt von dem renommierten Personalmagazin „Haufe“ als eine der 17Top-Managerinnen und Manager Deutschlands gekürt worden. In der Laudatio wurde sie als „couragierte Erneuerin“ bezeichnet, die hohe persönliche Risiken auf sich nehme. Sie habe versucht, die „verkrustete Führungskultur“ der Behörde aufzubrechen und Prozesse zu digitalisieren. Es hieß: Das habe ihr viele Anhänger, aber auch „mächtige Gegner“ eingebracht.

Auf der Sitzung des Verwaltungsrats wird ihre Abwahl wahrscheinlich dennoch beantragt. Dem müsste allerdings noch die Regierung zustimmen. Im Frühjahr wurde Valerie Holsboer gefragt, was ihre wichtigste Lehre aus den vergangenen zwei Jahren sei, wie man nicht nur in einen Vorstand komme, sondern sich dort auch halte? Sie meinte: Ganz entscheidend sei Widerstandsfähigkeit und Frustrationstoleranz.

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