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Zehner, zwanziger und fünfziger Schweizer Franken Banknoten. Das Währungssystems steht bei der Volksabstimmung am 10. Juni 2018 in der Schweiz zur Debatte. Die Vollgeldinitiative will der Nationalbank die Geldschöpfung vorbehalten und Spareinlagen sicherer machen.

© Gaetan Bally/KEYSTONE/dpa

Referendum in der Schweiz: Wie das "Vollgeld" Bankenkrisen verhindern soll

Die Schweizer haben heute über ein neues Geldsystem abgestimmt - und lehnen es laut Hochrechnungen mehrheitlich ab. Das umstrittene Konzept würde die Finanzwelt revolutionieren.

Woher unser Geld kommt, wusste Hansruedi Weber bis vor zehn Jahren selbst nicht. Dabei hatte der ehemalige Primarschullehrer schon Volkswirtschaftslehre und Philosophie studiert. Doch erst 2007 fand er heraus: „Das meiste Geld machen die Geschäftsbanken selbst.“ Und ihm fiel auf, dass das kaum jemand wusste. „Die Bürger werden belogen“, sagte sich Weber. Und wurde Präsident des „Vereins für Monetäre Modernisierung“.

Weber und sein Verein sind die Initiatoren einer Abstimmung an diesem Sonntag in der Schweiz über das Geldsystem. Ihr Ziel: Alles Geld soll in Zukunft von der Zentralbank kommen. Denn tatsächlich schöpfen die Schweizer Geschäftsbanken bislang einen Großteil des Geldes selbst, genauso wie die meisten Geschäftsbanken weltweit. Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt zwar die Euro-Noten drucken und die Münzen prägen. Doch Bargeld macht nur 14 Prozent der Euro-Bestände aus. Die restlichen 86 Prozent sind Zahlen in den Computern der Banken, sogenanntes Buchgeld.

"Geld kommt nicht aus dem Nichts"

„Die Bank tut so, als ob sie eigene Mittel zur Verfügung stellt, wenn sie einen Kredit vergibt. Dabei kommt das Geld aus dem Nichts“, sagt Weber. Aus dem Nichts? Vergibt eine Bank einen Kredit, schreibt sie den Betrag dem Girokonto des Kreditnehmers gut. Dafür benötigt sie entgegen der verbreiteten Meinung keine Einlagen anderer Bankkunden. Vergibt die Bank einen Kredit, notiert sie auf der Vermögensseite ihrer Bilanz die Höhe der Forderungen gegen den Kreditnehmer. Dem gegenüber stehen ihre Schulden an den Kreditnehmer, dessen Konto. Anstatt dass Banken Einlagen der Kunden benötigen, um einen Kredit zu vergeben, schaffen sie also Einlagen, indem sie den Kredit vergeben.

Früher trugen Banken dieses neu geschaffene Geld in ein Kontobuch ein, daher heißt es noch immer Buchgeld. Der Kreditnehmer kann mit seiner EC-Karte direkt mit Buchgeld von seinem Girokonto bezahlen. Andere akzeptieren dieses Geld, denn sie vertrauen darauf, dass der Kreditnehmer das Geld irgendwann wieder an die Bank zurückzahlen wird. Dann verschwindet das Buchgeld wieder (siehe Grafik).

Vereinfachte Darstellung des bestehenden Geldsystems.
Vereinfachte Darstellung des bestehenden Geldsystems.

© Gitta Pieper-Meyer/TSP

Da immer eine ähnlich große Menge an Krediten aufgenommen wie zurückgezahlt wird, bleibt die Menge an Buchgeld kurzfristig mehr oder weniger stabil. Das ist wichtig. Denn steigt die Geldmenge bei einer gleichbleibenden Menge an Gütern und Dienstleistungen, erhöhen sich die Preise. Das Geld verliert an Wert (Inflation). Gibt es weniger Geld bei gleichen Produktionsmengen, kommt es zur Deflation: das Geld wird mehr wert. Da eine Deflation gefährlicher ist als eine Inflation, peilt die EZB eine Inflationsrate von zwei Prozent an. Doch kann eine Notenbank überhaupt die Geldmenge beeinflussen, wenn die Geschäftsbanken das Geld selbst schaffen?

Kritik: Zentralbank steuert immer nur indirekt

„Die Zentralbank kann die Geldmenge sehr gut steuern“, sagt Frank Heinemann, Professor für Geldtheorie an der TU Berlin. Denn unbegrenzt können die Geschäftsbanken das Buchgeld auch nicht schöpfen. Für 100 Euro Buchgeld braucht die Bank mindestens einen Euro von der Zentralbank, die sogenannte Mindestreserve von derzeit einem Prozent. Nur die Banken können sich die Mindestreserve direkt von der Zentralbank leihen. Dafür verlangt die EZB ein Pfand, etwa in Form von Staatsanleihen. Außerdem müssen die Banken auf ihren Kredit bei der EZB den Leitzins zahlen, über dessen Höhe alle sechs Wochen entschieden wird. Steigt der Leitzins, vergeben Banken meist weniger Kredite, denn sie müssen auch von ihren Kunden höhere Kredite fordern - die Geldmenge sinkt. Ist der Zins niedriger, vergeben Banken mehr Kredite – die Geldmenge steigt.

„Das sind nur indirekte Versuche, die Geldschöpfung anzukurbeln“, kritisiert Klaus Karwat. Er ist Vorsitzender der „Monetative“, ein Zusammenschluss deutscher Vollgeld-Befürworter. Karwat argumentiert, die indirekte Steuerung funktioniere nur schlecht.

Nach der Finanzkrise 2008 stagnierte die Kreditvergabe trotz niedriger Zinsen, in manchen Monaten fiel sie sogar. Um das Inflationsziel zu erreichen, kauft die EZB daher seit 2015 Anleihen, dadurch steigt die Geldmenge. Die Inflation stieg aber nur langsam, die Aktien- und Immobilienpreise deutlich schneller, und durch die niedrigen Zinsen gehen Sparer leer aus. Wer kann diese Zustände ändern? „Wir müssen mehr konsumieren“, sagt Professor Heinemann. Das System als solches sei nicht verantwortlich.

Karwat und Weber aber tun genau das. Ihre Lösung: Vollgeld. Im Gegensatz zum Teilreserve-System kommt im Vollgeld- System das gesamte Geld von der Zentralbank. Geschäftsbanken dürften kein Buchgeld mehr schöpfen. „Das System funktioniert so, wie die Leute schon jetzt denken, dass es funktioniert“, sagt Weber. Banken müssten sich die komplette Summe, die sie verleihen möchten, von Sparern oder von der Zentralbank leihen, erst dann können sie weiterverleihen.

"Man braucht keine Schulden mehr, um Geld zu schaffen"

„Wenn es nur noch ein Geld gibt, kann die Zentralbank direkt Geld in die Welt bringen“, erklärt Karwat. Dazu schlägt die „Monetative“ drei Optionen vor: Die Zentralbank könnte neues Geld dem Staat zur Verfügung stellen, der es ausgibt und in Umlauf bringt; jeder Bürger könnte dieselbe Menge Geld erhalten oder die Zentralbank vergäbe Kredite an die Geschäftsbanken, die das Geld verleihen. Die Geldschöpfung hätte die Zentralbank also wieder im Griff, nur sie könnte Geld in Umlauf bringen. „Man braucht so keine Schulden mehr, um neues Geld zu schaffen“, glaubt Karwat. Das mache das System stabiler. Finanzblasen würden ausbleiben, Bankenrettungen mit Steuermilliarden gehörten der Vergangenheit an.

Einige Ökonomen haben die Initiatoren auf ihrer Seite. Einer der prominentesten ist der kürzlich verstorbene Hans- Christoph Binswanger, Doktorvater von Josef Ackermann und ehemaliger Professor für Geldtheorie an der Universität St. Gallen. Auch Hansruedi Weber hat Vorlesungen bei ihm besucht. Michael Kumhof und Jaromir Benes, damals Ökonomen beim Internationalen Währungsfonds, berechneten 2012 die Vorteile eines dem Vollgeld-System ähnlichen Geldsystems. Sie nahmen an, dass die Geschäftsbanken statt ein Prozent, 100 Prozent ihrer Kredite mit Zentralbankgeld decken müssten. Ihre Ergebnisse: ein höheres Produktionsniveau, die Beseitigung von Inflation und kreditbedingten Krisen, weniger Privat- und Staatsschulden. Ähnliche Pläne für ein Vollgeld hatten Ökonomen schon bei der großen Finanzkrise 1933. Doch die Weltwirtschaft erholte sich auch im alten System, so dass es bis heute keinen Praxistest gibt.

Misstrauen bei den meisten Volkswirten

Die meisten Banker, Politiker und Ökonomen misstrauen dem Vollgeldsystem. „Die Vollgeldinitiative gefährdet eine der leistungsfähigsten Volkswirtschaften der Welt und setzt leichtsinnig und verantwortungslos Arbeitsplätze, Steuereinnahmen, ein sicheres Wirtschaftssystem und den Wohlstand in der Schweiz aufs Spiel“, lautet die Position der Schweizerische Bankiersvereinigung, einem Zusammenschluss der Schweizer Geschäftsbanken. Und auch der Bundesrat der Schweiz rät Bürgern, gegen die Initiative zu stimmen.

Viele Makroökonomen, die sich mit Geldpolitik beschäftigen, sehen keine Notwendigkeit für radikale Reformen. Sie bezweifeln, dass in einem Vollgeldsystem die Zentralbank die Kreditnachfrage genau steuern könnte. Die Folge wären ihrer Meinung nach zu wenig Kredite und in der Folge ein schwächeres Wachstum. Außerdem befürchten sie, dass der Staat neue Anreize bekäme, sich selbst durch eine Einflussnahme auf die Zentralbank zu bereichern. Schließlich würden ihm im Vollgeldsystem hohe Gewinne durch die Geldschöpfung zufallen.

Nach aktuellen Umfragen dürften der Vollgeld-Initiative nur 34 Prozent der Schweizer zustimmen. Doch die Diskussion um ein neues Geldsystem ist auch anderswo in Gange. 19 Initiativen für eine entsprechende Geldreform haben sich seit Beginn der Finanzkrise in Europa gegründet. In Island holte das Parlament 2015 sogar Expertenmeinungen zur Einführung von Vollgeld ein.

Erste Hochrechnungen: Klare Mehrheit gegen das Vollgeld

Gemäß einer ersten Hochrechnung im Auftrag des Schweizer Fernsehens haben sich bis Sonntagmittag 74 Prozent der Wahlberechtigten gegen die Initiative ausgesprochen, meldet die Nachrichtenagentur Reuters.

Roland Lindenblatt

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